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Geschützte Kulturgüter : Literatur im Archiv, Mikrofilm im Stollen, Kunst im Bunker

Archive, Depots, Magazine und sogar ein ehemaliges Bergwerk: Wie deutsche Institutionen ihre unersetzbaren Schätze vor Krieg und Katastrophen schützen.

05.09.2022
2024-02-26T11:28:01.3600Z
7 Min

Das blau-weiße Zeichen mit den Dreiecken und einem Quadrat hat jeder schon mal gesehen, wahrscheinlich ohne zu wissen, was es bedeutet. Es hängt an den Eingängen von Baudenkmälern, aber auch an Kultureinrichtungen wie Museen, Bibliotheken und Archiven, und es steht für einen besonderen Schutz. Nach dem "Haager Abkommen" von 1954 sollen Kulturgüter im Kriegsfall vor Zerstörung, Diebstahl und Plünderung bewahrt werden.

Das einzige Objekt, das der Bund in diesem Sinne selbst betreibt, ist der Barbarastollen bei Freiburg. Seit 1961 lagern in diesem alten Bergwerk die wichtigsten historischen Dokumente auf Mikrofilm. In 1640 Edelstahlbehältern mit jeweils 21.000 Metern Filmstreifen lagern insgesamt über 1,4 Milliarden Aufnahmen. Von der Goldenen Bulle von 1356 bis zum Grundgesetz, über die Baupläne des Kölner Doms bis zum Vertragstext des Westfälischen Friedens. Jährlich kommen neue Aufnahmen aus den Landes- und Bundesarchiven hinzu, die bei der Gelegenheit auch ihre Bestände digitalisieren und der Öffentlichkeit zugänglich machen.

Foto: picture alliance / dpa | Patrick Seeger

In Metallbehältern werden im Barbarastollen in Oberried in Baden-Württemberg archivierte Dokumente aufbewahrt. Der Stollen dient der Bundesrepublik seit 1975 als zentrales Langzeitarchiv.

Gute Gründe, am Mikrofilm festzuhalten

"Das sind nicht nur Bildchen von irgendwelchen Urkunden", sagt Bernhard Preuss, Beauftragter für Kulturgutschutz nach der Haager Konvention. So liege nicht nur das Grundgesetz im Barbarastollen, sondern auch über 30.000 Seiten Unterlagen zu seiner Entstehungsgeschichte, sodass man diese auch noch in Jahrhunderten nachvollziehen könne.

Mikrofilm ist eine alte Technik, die aus der Zeit gefallen scheint, doch es gibt weiterhin gute Gründe, an ihr festzuhalten: Während man bei digitalen Formaten auf Technik angewiesen ist, die sich ständig ändert, ist Mikrofilm mit dem bloßen Auge lesbar. Das Material ist beständig, hält mindestens 500 Jahre und die Aufnahmen sind sicher vor Manipulationen. Damit wolle man, so Preuss, Geschichtsfälschung vorbeugen, damit sich auch künftige Generationen ihr Urteil über die Dokumente bilden können.

Barbarastollen: Platz soll für weitere 30 Jahre reichen

"Der Barbarastollen ist unabhängig von der Außenwelt", sagt Preuss. "Man könnte ihn zumauern und mit den Filmen würde nichts passieren. Sie sind perfekt verpackt, sie brauchen keinen Strom." Der Platz soll noch für weitere 30 Jahre reichen. Danach wäre der Stollen theoretisch nach jeder Seite verlängerbar. Nur wie lange Mikrofilm noch hergestellt wird, ist unklar.

Was im Schwarzwald lagert, ist trotz der riesigen Menge nur ein kleiner Teil des deutschen Kulturschatzes. Der Rest liegt in Archiven, den Depots der Museen und in Magazinen der Bibliotheken. Die größte davon, die Deutsche Nationalbibliothek (DNB), gibt es gleich zweimal: in Leipzig und in Frankfurt am Main. Etwa 46 Millionen Medien sind hier versammelt, davon 35 Millionen in physischer Form, zehn Millionen digital. Alles, was seit 1913 in Deutschland in Schrift, Bild und Ton erschienen ist, gibt es hier mindestens einmal. In Frankfurt lagern die Bestände in drei Tiefgeschossen in der Größe von Fußballfeldern. "Die haben Bunkerqualität", sagt Michael Fernau, Repräsentant des Generaldirektors am Standort Leipzig.

In Leipzig könnte es in fünf Jahren eng werden

In Frankfurt gebe es sogar Belüftungen, Toiletten und Küchen, geplant als Schutzräume für die Einwohner des Viertel Nordend. "Es muss schon schlimm kommen, wenn eines der Tiefmagazine geschädigt würde." Die Kapazität in Frankfurt soll bis zum Jahr 2050 reichen. In Leipzig aber soll es bereits in fünf Jahren eng werden. Angesichts der politischen Weltlage ist für Fernau "ziemlich sicher", dass der geplante fünfte Erweiterungsbau Schutzräume bekommen wird. Bereits jetzt hat die DNB Notfallpläne für Feuer, Wasser und Krieg. Ein eigenes Referat für den Bestandsschutz kümmert sich darum und "stellt laufend Überlegungen an", so Fernau. Bei der Wärmeversorgung ist der Standort Leipzig dank Geothermie weitgehend selbständig. Problematisch kann aber ein Stromausfall werden, da die Bücher, die fortlaufend ins Regal gestellt werden, nur elektronisch auffindbar sind, und viele Medien kühl gehalten werden müssen. Zwar habe man eine Notstromversorgung - aber die läuft mit Diesel und der Tank reicht nur für zwei bis drei Wochen. Für den Fall eines Nuklearangriffes gibt es aber keine Sicherheit für digitale Medien. Die sind zwar im mehrfacher Ausführung auf Servern gesichert, doch im Falle eines elektromagnetischen Impulses, wie sie bei Atombombenexplosionen entstehen, wären die Daten vernichtet.


„Die Anlagentechnik ist sagenhaft teuer in Unterhalt, Wartung und Energieverbrauch.“
Kathrin Guinot, Referentin für Brand- und Katastrophenschutz

Leipzig hat selbst bereits erlebt, wie Bestände verlorengingen. Während des Zweiten Weltkrieges wurden Bestände ausgelagert. Dank einer Bestandsliste konnte die sowjetische Besatzungsmacht die Bücher als Kriegsbeute zusammensuchen und mitnehmen, darunter eine Gutenbergbibel. Zwar wurde später einiges wieder zurückgeführt, doch 2006 entschied Moskau, dass der Rest als Kriegsreparation behalten werden soll. Seit dem Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine haben sich Rückgabeverhandlungen ohnehin erledigt.

Retten, was man tragen kann

Der Ukraine-Krieg war auch in Weimar Anlass, sich über Worst-Case-Szenarien Gedanken zu machen. Rund 30 Museen, Schlösser und Parks unterhält die Klassik Stiftung Weimar, zwölf Liegenschaften gehören zum Unesco-Welterbe, darunter die Wohnhäuser von Goethe und Schiller. Spätestens seit dem Brand der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek im Jahr 2004 ist man für Katastrophen besonders sensibilisiert. Nicht nur werden die Meldeanlagen regelmäßig überprüft und man pflegt engen Kontakt zur Berufsfeuerwehr, auch sind in den Häusern Teams geschult, die wichtigsten Kulturschätze zu retten. Kathrin Guinot, Referentin für Brand- und Katastrophenschutz, spricht metaphorisch vom "Tafelsilber" - eine Priorisierungsliste legt fest, was dazu zählt. "Vier Leute schnappen sich dann, was sie tragen können."

Zu den sensibelsten Beständen zählen neben Gemälden auch Bücher und Handschriften. Im Goethe- und Schiller-Archiv, dem ältesten deutschen Literaturarchiv, lagern rund fünf Millionen Manuskriptblätter: von den Weimarer Klassikern über Romantiker wie die von Arnims, bis hin zu Georg Büchner und Friedrich Nietzsche. Die Blätter sind besonders empfindlich für starke Temperaturschwankungen. Sollte im Winter die Heizung ausfallen, könnte ein schneller Temperatursturz dafür sorgen, dass sich Luftfeuchtigkeit festsetzt und das Papier zerstört. Derzeit werden die Objekte darauf vorbereitet, indem man sie an die Außentemperatur anpasst. "Das Material geht mit dem Außenklima mit", sagt Guinot. Besonders empfindliche Objekte lagern in klimastabilen Kisten.

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Mit der voranschreitenden Klimakrise steht auch die Stiftung vor der Herausforderung, dass es immer wärmer und trockener wird. "Die Anlagentechnik ist sagenhaft teuer in Unterhalt, Wartung und Energieverbrauch", sagt Guinot. Daher versuche man, weniger davon einzusetzen. Schon jetzt finden sich Solaranlagen auf den Dächern der Neubauten. Doch bei denkmalgeschützten Altbauten wie Goethes Wohnhaus sind die Möglichkeiten beschränkt.

Lukas Gedziorowski ist Onlineredakteur bei "Deutschlandfunk Kultur" und freier Autor.