Aus Sicht des ukrainischen Außenministers besteht kein Zweifel: "Keine Worte der Verurteilung können die russische Armee aufhalten", sagte Dmitro Kuleba am vergangenen Donnerstag vor einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Der beste Weg, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu stoppen, sei "die Lieferung von Waffen an die Ukraine", mahnte er. Kurz darauf erneuerte in der UN-Generaldebatte auch der ukrainische Präsident Wolodomyr Selenskyj, per Video zugeschaltet, seinen Appell an die Staatengemeinschaft. Sein Land brauche mehr Waffen, defensive wie offensive, denn: "Für uns ist das ein Krieg ums Überleben."
Einen Tag zuvor hatte Putin in einer Fernsehansprache mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht, sollte die "territoriale Integrität" Russlands gefährdet werden. Dazu ordnete er eine Teilmobilisierung der russischen Streitkräfte an (siehe Text rechts) und verkündete die Durchführung sogenannter Referenden zur Annexion von vier russisch kontrollierten Gebieten in der Ukraine.
Die neuerliche Zuspitzung im Ukraine-Krieg ist für die Unionsfraktion im Bundestag ein gewichtiger Grund mehr, den Druck auf die Bundesregierung in der Frage der Waffenlieferungen zu erhöhen. In einem Antrag (20/3490) fordert sie die Bundesregierung auf, umgehend Kampf-, Schützen- und Transportpanzer aus Industriebeständen sowie weitere schwere Waffen aus Beständen der Bundeswehr an die Ukraine zu liefern. Es sei ein "schwerer Fehler", urteilte Johann Wadephul (CDU), dass die Regierung einen bereits am 28. April vom Parlament gefassten Beschluss zur Lieferung schwerer Waffen nicht umsetze. Er appellierte an die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen, ihrem Gewissen zu folgen: "Sie alle wissen, worum es geht."
Bisherige Lieferungen Deutschland hat der Ukraine bisher aus Bundeswehr- und Industriebeständen vor allem Artillerie und Flugabwehr-Systeme zur Verfügung gestellt. Erst Ende April, nach dem von Wadephul erwähnten, gemeinsamen verabschiedeten Antrag (20/1550) von CDU/CSU und Koalitionsfraktionen, sagte die Bundesregierung erstmals ein schweres Waffensystem zu und gab grünes Licht für die Lieferung von 30 ausgemusterten Gepard-Flugabwehrpanzern. Es folgten Panzerhaubitzen und Mehrfachraketenwerfer, außerdem indirekte Panzerlieferungen über östliche Nato-Partner. Sie geben seither im sogenannten Ringtausch Panzer sowjetischer Bauart an die Ukraine ab und bekommen dafür modernen Ersatz.
Mitte September kündigte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Lieferung weiterer Mehrfachraketenwerfer inklusive Munition und Ausbildung für die ukrainische Besatzung an, außerdem liefert Deutschland der Ukraine erstmals auch 50 gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Dingo, die in Afghanistan häufig für Patrouillen genutzt wurden. Doch Kampf- und Schützenpanzer sind wieder nicht dabei, und das wird laut Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vorerst auch so bleiben. Wie ein Mantra wiederholte er in den vergangenen Tagen seine Haltung: Deutschland werde in der Panzerfrage "keine Alleingänge" machen, bisher habe auch kein Nato-Verbündeter moderne westliche Panzer an die Ukraine geliefert.
Die Bundesregierung sei sich hier einig, stellte Gabriela Heinrich (SPD), in der Bundestagsdebatte klar. Deutschland werde nur im Verbund mit den westlichen Partnern liefern. Die bisher gelieferten deutschen Waffen hätten außerdem schon maßgeblich zu den jüngsten Erfolgen der ukrainischen Armee beigetragen. "Das hat die Ukraine selbst bestätigt."
Doch innerhalb der Koalition gibt es immer mehr Stimmen, die von Scholz einen Kurswechsel fordern. So sprach sich neben Michael Roth (SPD) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) jüngst etwa auch der Co-Vorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, für die Lieferung weiterer schwerer Waffen aus. Im Bundestag äußerte er sich allerdings zurückhaltender. "Waffensysteme helfen und schützen Leben. Ob das Panzerhaubitzen sind, Schützenpanzer oder Kampfpanzer, am Ende muss die Balance muss stimmen zwischen der Abwägung innerhalb des Bündnisses und dem Bedarf der Ukraine". Klar sei aber: "Wir müssen schneller werden."
Strack-Zimmermann, die als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses schon seit Monaten für mehr Offensivwaffen wirbt, sprach offen über die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition. "Andere Koalitionen würden auch darüber diskutieren", betonte sie zugleich. Ihre Fraktion sei der Meinung, dass Deutschland in der aktuellen militärischen Lage "mindestens den Transportpanzer Fuchs und den Schützenpanzer Marder" liefern müsse. Die von Scholz ausgerufene Zeitenwende bedeute auch, "Führung zu übernehmen und nicht zu warten, bis die Partner uns unbequeme Entscheidungen abnehmen."
Strikt gegen die weitere Unterstützung der Ukraine mit Waffen sind hingegen AfD und Linke. Schwere Waffen würden die Flamme in der Ukraine nur weiter anfachen, warnte Alexander Gauland (AfD). Darüber hinaus handele es sich um einen postsowjetischen Konflikt, der keine deutschen Interessen berühre. Ali Al-Dailami (Die Linke) warf der Bundesregierung vor, den Krieg durch Waffenlieferungen um Jahre zu verlängern. Statt für Waffen sollte sie sich endlich für "Diplomatieoffensiven" einsetzen.
Den Wunsch der Unionsfraktion, direkt über den Antrag abzustimmen, lehnten die Koalitionsfraktionen mit ihrer Mehrheit ab. Er wurde zur weiteren Beratung in den federführenden Auswärtigen Ausschuss überwiesen.
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