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Interview : "Es wird eine Insolvenzwelle geben"

Der CSU-Finanzexperte, Sebastian Brehm, wirft der Regierung vor, Totengräber des Mittelstands zu sein. Er fordert ein hartes Sparprogramm.

26.09.2022
2024-04-19T11:46:35.7200Z
5 Min

Herr Brehm, der jüngste massive Anstieg der Erzeugerpreise könnte sich zu einem echten Inflationshammer mit zweistelligen Preissteigerungsraten auswirken. Reichen dann für Familien 18 Euro mehr Kindergeld und etwas mehr Grundfreibetrag?

Sebastian Brehm: Nein, auf keinen Fall. Es müssen deutliche steuerliche Entlastungsmaßnahmen für kleine und mittlere Einkommen auf den Weg gebracht werden. Das fordern wir seit langem. Auch die FDP hat das immer gefordert. Die Bundesregierung verzeichnet derzeit inflationsbedingte Steuereinnahmen wie nie zuvor. Das Geld muss den Bürgern zurückgegeben werden, auch zum Ausgleich der kalten Progression.

Foto: Deutscher Bundestag/Thomas Köhler/photothek

Sebastian Brehm (CSU) will die Schuldenbremse erhalten und fordert ein hartes Sparprogramm.

Jetzt gibt es etwas zurück, etwa die Energiepreispauschale, für Beschäftigte und Selbstständige lange beschlossen, für Rentner kommt sie bis Jahresende. Diese Pauschale ist steuerpflichtig. Kann das denn richtig sein, weil viele Rentner dadurch in die Steuerpflicht rutschen können?

Sebastian Brehm: Auch ich habe die Pauschale im Rahmen der Einkommensteuervorauszahlung im dritten Quartal erhalten. Diese 300 Euro Energiepreispauschale für jedermann sind der völlig falsche Weg. Gutverdiener und Bundestagsabgeordnete brauchen diese 300 Euro mit Sicherheit nicht. Im unteren Einkommensbereich und für Rentner hätte es mehr Geld geben müssen. Und das hätte steuerfrei sein müssen. Die von der Regierung gewählte Systematik ist völlig falsch.

Um die Entlastungspakete zu finanzieren, wird an eine Übergewinnsteuer für Energieunternehmen gedacht. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schwärmt bereits davon und will über diesen Weg 140 Milliarden Euro umverteilen. Ist das die Lösung?

Sebastian Brehm: Das ist keine Lösung der Probleme. Eine Übergewinnsteuer ist eine reine Neidsteuer. Es ist völlig unklar, was ein Übergewinn oder ein Zufallsgewinn ist. Würde so etwas jetzt eingeführt, wäre eine Ausweitung auf andere Branchen zu befürchten, womit wir in der Planwirtschaft ankämen. Besser wäre es, das Angebot zu verbreitern, etwa durch die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke. Das würde zur Entspannung bei den Energiepreisen beitragen.

Dann kommen wir zu den Konzernen. Uniper zum Beispiel verschlingt mehrstellige Milliardenbeträge an öffentlichen Krediten, und jetzt will der Staat den Konzern auch noch übernehmen. Ist dieser Weg richtig?

Sebastian Brehm: Auch dieser Weg ist falsch. Er führt direkt in die Planwirtschaft. Wenn Gaskonzerne wirklich Unterstützung brauchen, dann kann diese Unterstützung über Darlehen erfolgen wie bei der Lufthansa oder anderen Unternehmen in der Corona-Krise. Und auch nur dann, wenn sich die Anteilseigner hinreichend an einer Rettung beteiligen. Was gar nicht geht, ist das Zahlen von Zuschüssen, wenn gleichzeitig Vorstandsgehälter in der aktuellen Höhe weiterbezahlt und weiter Ausschüttungen an die Gesellschafter oder Aktionäre vorgenommen werden. Das ist klassische Geldvernichtung.


„Die Ampel ist auf dem besten Weg der Totengräber des Mittelstandes zu werden.“
Sebastian Brehm (CSU)

Ein anderer Vorschlag zur Entlastung der Bürger und Unternehmen ist die Deckelung der Strom- und Gaspreise. Was halten Sie davon?

Sebastian Brehm: Für eine Entspannung bei den Strom- und Gaspreisen ist zunächst eine Verbreiterung des Angebots nötigt. Dazu gehören dringend die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke und eine Reaktivierung von Kohlekraftwerken auf breiter Front. Derzeit kauft Deutschland beim Gas alles, was auf dem Markt verfügbar ist und heizt damit die Preise in ganz Europa an. Eine Gaspreisdeckelung wäre angebracht, aber ich glaube, dass die Regierung ablehnen wird.

Der Gaspreis bereitet mir erhebliche Sorgen. Vielen Betrieben werden derzeit überhaupt keine Verträge mehr für das nächste Jahr angeboten. Sie müssen auf dem Spotmarkt zum zehn- bis zwölffachen Preis im Vergleich zu früher einkaufen. Das kann gerade den Mittelstand ruinieren. Ich mache mir deshalb große Sorgen, wie der Mittelstand die nächsten Monate überleben soll.

Die Mehrwertsteuer auf Gas soll befristet gesenkt werden. Warum nicht dauerhaft?

Sebastian Brehm: Die Befristung ist erst einmal in Ordnung. Es geht jetzt akut um Inflationsbekämpfung. Später kann man sich mit der gesamten Energiebesteuerung befassen. Es war unser Vorschlag, die Steuer zu senken. Die Regierung hat den Vorschlag übernommen. Das ist gut. Aber es ist keine tatsächliche Entlastung, denn gleichzeitig werden Unternehmen und Bürger mit der Gasumlage belastet.

Nachdem sich herausgestellt hat, dass Minister Habecks Betriebspausenpläne für Bäcker und andere Mittelständler nur Wunschträume sind, stellt sich die Frage, wie den Betrieben geholfen werden kann, wenn zum Beispiel die Ölrechnung einer Wäscherei von 2.000 Euro auf 10.000 Euro im Monat steigt.

Sebastian Brehm: Wir sehen dramatische Kostensteigerungen in allen Branchen - ob bei Bäckereien, Metzgereien oder auch in der Landwirtschaft, wenn unter Glas produziert wird. Eine Verzehnfachung der Energiepreise können diese Betriebe nicht tragen. Wir brauchen dringend ein Mittelstandsförderprogramm und Steuersenkungen für den Mittelstand. Bislang aber gibt es kein einziges Programm für den Mittelstand - und in acht Wochen ist Jahresende. Wir werden nicht in einen Habeckschen Stillstand kommen, sondern es wird eine Insolvenzwelle geben. Und im Unterschied zu den Pandemie-Zeiten werden wir Produktionsverlagerungen in andere Länder erleben. Das wird ruinös für den Mittelstand, das Herz unserer Volkswirtschaft und des Arbeitsmarktes. Deshalb ist jetzt Handeln geboten. Entweder die Regierung kann nicht helfen oder sie will es bewusst nicht. Beides ist schlecht. Die Ampel ist auf dem besten Weg der Totengräber des Mittelstandes zu werden.

 

Foto: Deutscher Bundestag/Stella von Saldern
Sebastian Brehm
Sebastian Brehm ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und finanz- und haushaltspolitischer Sprecher der CSU. Als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter vertritt er den Wahlkreis Nürnberg-Nord.
Foto: Deutscher Bundestag/Stella von Saldern

Eine maßgebliche Mitverantwortung an der Inflationsentwicklung trägt auch die Europäische Zentralbank durch ihre Niedrigzinspolitik und Anleihenkäufe. Früher wurde das als Gelddrucken bezeichnet. Gibt es da eine Lösung?

Sebastian Brehm: Die Europäische Zentralbank ist mit ihrer Zinswende viel zu spät dran. Sie muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie ein Treiber dieser Inflation ist. Sie hätte wesentlich früher aus den Anleihenkäufen aussteigen müssen. Und sie muss die Anleihenkäufe jetzt endlich ganz stoppen. Das war zwar angekündigt, wurde aber nicht gemacht. Dann muss sie vorsichtige Zinserhöhungen vornehmen, um die Inflationsentwicklung jetzt nicht auch noch zu befeuern. Eigentlich hätte man schon in der guten Phase die Zinsen erhöhen müssen. Dann könnten die Zinsen jetzt in der schwierigen Wirtschaftslage wieder sinken. Aber jetzt werden in einer schlechten Phase die Zinsen erhöht.

Wirtschaftswissenschaftler sagen, höhere Zinsen führen in eine Rezession.

Sebastian Brehm: Deshalb sollten Zinserhöhungen moderat erfolgen. An Zinserhöhungen auf bis zu fünf Prozent glaube ich nicht. Das würde direkt in eine Rezession führen. 

Bei den vielen Problemen können wir doch die Schuldenbremse vergessen.

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Sebastian Brehm: Auf keinen Fall. Die Schuldenbremse ist absolut notwendig und richtig, vor allem vor dem Hintergrund, dass wir die höchsten Steuereinnahmen für Bund und Länder haben. Denn die Inflation lässt vor allem die Umsatzsteuereinahmen in die Höhe schnellen. Derzeit betreibt die Regierung nichts anderes als Geldverteilung mit der Gießkanne. Wir brauchen aber gezielte Maßnahmen.

Und notwendig ist auch ein hartes Sparprogramm. Dazu gehören eine kritische Analyse der Staatsausgaben, Veränderungen im Sozialsystem, eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit und viele andere Dinge. Wir müssen zurückkommen zur Ordnungspolitik der sozialen Marktwirtschaft und weg von der Umverteilung und Planwirtschaft dieser Bundesregierung.