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Schub für die Digitalisierung : Aufbruch ungewiss

Digitalminister Volker Wissing will, dass Personalausweis und Führerschein bequem vom Sofa aus beantragt werden können, die Opposition sieht ein Zuständigkeitschaos.

26.09.2022
2024-03-11T09:23:17.3600Z
4 Min
Foto: picture-alliance/SZ Photo/Alessandra Schellnegger

Schlechter Netzempfang soll der Vergangenheit angehören: Künftig sollen unter anderem Digitalmanager in den Landkreisen eingesetzt werden, um vor Ort 5G-Projekte anzustoßen und umzusetzen,

Den Personalausweis oder Führerschein bequem auf dem Smartphone vom heimischen Sofa aus beantragen - das ist Teil der Vision von Digitalminister Volker Wissing (FDP) für den "umfassenden digitalen Aufbruch", den Deutschland brauche - und den er sich von den von seinem Ministerium vorgelegten Strategien erhofft. Am Ende der Legislatur im Jahr 2025 wolle man sich an den in der Digitalstrategie (20/3329) und der Gigabitstrategie (20/2775, siehe Text unten) formulierten Zielen messen lassen, kündigte der Minister zur ersten Beratung der beiden Strategien vergangene Woche im Bundestag an. Ebenfalls diskutiert wurde ein Antrag der Unionsfraktion (20/3493), in dem diese fordert, "das Zuständigkeitschaos in der Digitalpolitik der Bundesregierung" zu beenden und klare Verantwortlichkeiten zu schaffen.

Ministerium definiert Hebelprojekte

Dem digitalen Hinterherhinken Deutschlands will Wissing mit drei Hebelprojekte begegnen: Der erste Hebel liege in den digitalen Identitäten, um datenbasierte Leistungen und Dienste im Netz nutzen zu können, etwa bei Online-Behördengängen, aber auch beim Online-Shopping: "Den Personalausweis beantragen, einen neuen Wohnort mitteilen oder ein neues Unternehmen anmelden", dies müsse künftig in wenigen Minuten von zu Hause aus erledigt werden können, sagte der Minister. Der zweite Hebel betreffe internationale Standards, die Interoperabilität ermöglichen, kündigte Wissing an. Es sei entscheidend, dass Projekte "technisch offen und rechtlich sicher" gestaltet würden.

Den dritten Hebel sehe er im Gigabit-Ausbau und einer besseren Verfügbarkeit von Daten als "Schlüssel für digitale Innovation", betonte Wissing. Bis 2026 solle eine flächendeckend gute Versorgung im mobilen Datennetz erreicht sein. Weiter beschleunigt werden müssten die Genehmigungsverfahren mit den Ländern. Auch ein digitaler Antrag solle ermöglicht werden, sagte Wissing. Unterstützung bekam er von Maximilian Funke-Kaiser (FDP): "Wir machen jetzt Tempo", sagte der Liberale. Die Digitalstrategie sei kein reines Sammelsurium an Einzelvorhaben, sondern setze mit den drei Hebelprojekten an den Grundlagen an.

Opposition moniert "ambitionslose" und "schwammige" Ziele

Teils moderate, teils deutliche Kritik kam von der Opposition. Die CDU-Abgeordnete Nadine Schön sagte, der Strategie fehle es an Visionen: "Digitalpolitik ist mehr als Gigabit-Ausbau", sagte Schön. "Die Ziele sind so ambitionslos, dass man sie sofort erreichen kann", monierte sie mit Blick darauf, dass bis 2025 50 Prozent der Haushalte in Deutschland an Glasfaser angeschlossen sein sollen.

Vieles wolle die Ampel abstrakt verbessern, aber konkrete Aussagen und greifbare Ziele fehlten. "Wie viel mehr Fachkräfte, wie viel mehr Frauen in Digitalberufen sollen es werden?", fragte Schön. Die Union erwarte, dass in allen Punkten mehr Tempo gewonnen werde und die finanzielle Unterfütterung für die Projekte gesichert werde.

Anke Domscheit-Berg: Wettbewerb der Funklöcher in Wahlkreis Ost-Prignitz

Scharfe Kritik kam von Anke Domscheit-Berg (Linke): Sie habe Zweifel, dass die vielen schwammigen Ziele auch umgesetzt würden. Die fehlende Beteiligung der Zivilgesellschaft zeige zudem, welchen Interessen die Strategien dienten: "Auf die Digitalstrategie nahmen 18 Mal Lobbyisten der Wirtschaft Einfluss. Dagegen gab es kein einziges Gespräch mit der digitalen Zivilgesellschaft", kritisierte sie.

Sie lud den Minister in die Ost-Prignitz ein, in der "Funklöcher im Wettbewerb miteinander" stünden und nicht die Diensteanbieter. Mit der Gigabit-Strategie mache sich die Bundesregierung zudem zum "Vertriebsmitarbeiter großer Telekommunikationskonzerne", sagte sie mit Blick auf die geplanten Digitalmanager, die in den Landkreisen 5G-Vorhaben anstoßen sollen.

Positiv sei, dass sich die Koalition am Ende der Legislatur messen lassen wolle. Es gebe allerdings weiter ein Gerangel an Zuständigkeiten und ein echtes Digitalministerium fehle, sagte auch Barbara Lenk (AfD). "Die Antwort darauf, was Digitalisierung genau ist, erhält man beim Lesen nicht. Man hat schön klingende Schlagworte, aber dieses Potpourri an Elementen macht noch keine echte Digitalstrategie", sagte sie. Bezogen auf den Digitalrat forderte Lenk, das Gremium aufzulösen, um das "Kompetenzwirrwarr" zu lichten.

SPD: Digitalbudget ist nötig

Unterstützung für Wissing kam aus der Ampel-Koalition. Detlef Müller (SPD) sagte, das Parlament habe zwar einige Zeit darauf warten müssen, aber nun läge eine "digitalpolitische Prioritätenliste für diese Legislatur" vor. Es werde damit sichergestellt, dass der neueste Mobilfunkstandard überall, ob Stadt oder Land, bis 2030 verfügbar sein werde. Er betonte, mehr Daten müssten für die Entwicklung neuer, effizienter Mobilitätslösungen zur Verfügung stehen. "Wenn wir es mit der Priorisierung der Maßnahmen ernst meinen, braucht es das vereinbarte Digitalbudget", sagte er und forderte, dies "gemeinsam und schnell" auf den Weg zu bringen.

Die verschiedenen Digitalvorhaben müssen erstmal aus den Budgets der Ressorts gestemmt werden. Für das im Koalitionsvertrag vorgesehene "Digitalbudget" werde ein Konzept von Wirtschafts-, Finanz- und Digitalministerium sowie vom Kanzleramt erarbeitet, heißt es in der Strategie.

Leistungsfähige Netze bilden Grundlage

Dass dies kommen müsse, betonte auch Maik Außendorf (Grüne). Mit den beiden Strategien sei man "einen großen Schritt" vorangekommen - auch mit Blick auf die Themen Nachhaltigkeit und Klimaneutralität in der Digitalisierung. Grundlage für die Konzepte seien leistungsfähige Netze: "Was wir brauchen, ist schnelles Internet in jedem Haus und an jeder Milchkanne", sagte der Grünen-Digitalpolitiker. Dazu gehörten auch Rufbusse, die per App gerufen werden könnten, oder automatisierte Bewässerungssysteme in der Landwirtschaft.

In der Digitalstrategie werden Projekte in den Bereichen moderne, leistungsfähige und nachhaltige Netze und Verfügbarkeit von Daten, internationale einheitliche technische Normen und Standards sowie sichere und nutzerfreundliche Identitäten und moderne Register priorisiert. Eine besondere Priorität haben auch die Themen Cybersicherheit, Desinformation und Plattformregulierung. Leitmotiv sei die technologische und digitale Souveränität Deutschlands.