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Gastkommentare : Bürgergeld: Alter Wein in neuen Schläuchen?

Ist das Bürgergeld ein umetikettiertes Hartz IV? Ein Pro und Contra von Margaret Heckel und Eva Quadbeck.

17.10.2022
2024-03-14T15:22:42.3600Z
4 Min

Pro

Chance vertan

Foto: Michael Lüder
Margaret Heckel
ist als freie Journalistin tätig.
Foto: Michael Lüder

Beim Bürgergeld gehe es um "einen Sozialstaat auf der Höhe der Zeit" schreibt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil auf der ministeriumseigenen Webseite. Menschen, die in Not sind, sollten "verlässlich abgesichert werden". Diese Wortwahl ist eindeutig: Wieder ist das Ziel nicht, Menschen so zu aktivieren, dass sie ihr Leben eigenverantwortlich meistern können. Bei der Vorgängerleistung Hartz IV gab es wenigstens noch anfangs die Idee vom "Fordern und Fördern". Kaum etwas wurde davon umgesetzt. Nun soll ein "Kooperationsplan" für die Arbeitsaufnahme erarbeitet werden, der allerdings in den ersten sechs Monaten nicht mehr sanktioniert wird.

Angesichts des Arbeits- und Fachkräftemangels ist das kontraproduktiv. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Gelegenheit günstig, Menschen so in Arbeit zu bringen, dass sie selbst für sich sorgen können? Leider wird diese Strategie beim Bürgergeld ebenso wenig genutzt wie bei Hartz IV. Die Gründe sind dieselben - und zwar die Konstruktion der Sozialabgaben. Zwar gibt es über die Midi-Jobs ab Januar 2023 eine Gleitzone bis 2.000 Euro statt wie bei Hartz IV 1.300 Euro im Monat.

Dann setzt die Sozialabgabenpflicht für Arbeitnehmer in voller Höhe ein. So lohnt sich gering bezahlte Arbeit im Vergleich mit dem Bezug von Bürgergeld und gegebenenfalls einem Minijob oft nicht. Ganz anders ist es bei den Steuern: Hier gibt es nicht nur einen Freibetrag, sondern sie steigen entsprechend der Leistungsfähigkeit an. Hier wurde eine Riesen-Chance vertan. Denn es stimmt ja, dass Hartz IV stigmatisiert ist beziehungsweise wurde. Das einzig Gute ist deshalb der neue Name, Bürgergeld. Ansonsten ist es leider alter Wein in neuen Schläuchen.

Contra

Reform mit Substanz

Foto: Andreas Krebs
Eva Quadbeck
ist Chefredakteurin und Leiterin des Hauptstadtbüros vom Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Foto: Andreas Krebs

Bürgergeld klingt gut - klingt nach einer Sozialleistung, bei der die Bürger vom Staat auf Augenhöhe behandelt werden. Genau das ist die im Koalitionsvertrag erklärte Absicht der Ampelregierung. Und in der Tat: Die bisherige Sozialhilfe mit dem verheerenden Namen Hartz IV ändert sich in einigen zentralen Punkten: Der monatliche Satz für Alleinstehende steigt um 50 Euro. Die Regelungen bei Schonvermögen und Wohnungsgröße werden großzügiger. Sanktionen erwischen die Betroffenen nicht mehr so schnell. Kurzum: Der Staat bringt den künftigen Bürgergeld-Beziehern mehr Vertrauen entgegen. Das ist eine Reform mit Substanz.

Abzuwarten bleibt allerdings, ob das neue Vertrauen des Staats auch dazu führen wird, dass tatsächlich mehr Arbeitslose nachhaltig den Weg zurück in den Arbeitsmarkt finden. Da darf man skeptisch sein. Denn die beiden grundlegenden Probleme des bisherigen Hartz-IV-Systems sind nicht behoben. Erstens: Zu viele Menschen richten es sich in einer Kombination aus Hartz-IV-Bezug und Schwarzarbeit ein, wogegen die Behörden nicht genug unternehmen.

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Zweitens: Die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in neue Jobs ist trotz zahlreicher Programme auch in Zeiten, in denen überall Fachkräfte und auch Geringqualifizierte dringend gesucht werden, nicht gelungen. Das lag nicht an mangelnden Finanzen für entsprechende Programme. Vielmehr waren die Konzepte offensichtlich nicht gut. Nun darf man gespannt sein, ob die neue Chefin der Bundesagentur für Arbeit, die frühere Arbeitsministerin Andrea Nahles, in dieser Frage eine Kehrtwende schafft. Sollte das nicht gelingen, müssen die neuen Regeln für das Bürgergeld nachgebessert werden.