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Gastkommentare : Übernimmt sich der Staat? Ein Pro und Contra

Gibt es inzwischen Rettungsaktionen für jedermann oder sind die nötigen neuen Schulden faktisch geschenkt? Thomas Sigmund und Ulrike Herrmann im Pro und Contra.

28.11.2022
2024-03-11T13:21:49.3600Z
3 Min

Pro

Für jeden ein Bailout

Foto: Handelsblatt/Marc-Steffen Unger
Thomas Sigmund
ist Ressortleiter Politik und Leiter des Hauptstadtbüros vom "Handelsblatt" in Düsseldorf.
Foto: Handelsblatt/Marc-Steffen Unger

Die Bundesregierung hilft den Haushalten und Unternehmen. Getreu dem Kanzlermotto: "You'll will never walk alone" gibt es inzwischen Rettungsaktionen für jedermann. Wie die Kosten gegenfinanziert werden, fragt kaum jemand. Warum auch. Pandemie, Krieg in der Ukraine und dann die Inflation - die Politik kann ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen: die Bürger mit ihrem eigenen Steuergeld retten. Und der Bundesfinanzminister sekundiert: Der Staat kann sich das bei einer Schuldenquote von 70 Prozent auch leisten.

Nur lenkt Christian Lindner damit von seinen Schattenhaushalten ab. Der Doppel-Wumms, also der Energie-Abwehrschirm, kommt nun zum Umwelt- und Klimafonds. Nicht zu vergessen das Sondervermögen für die Bundeswehr. So viel Intransparenz war nie. Das alles wäre noch hinnehmbar, wenn das Land im Aufbruch wäre. Wenn weniger gejammert, sondern umso mehr angepackt würde. Die Jusos schwadronieren aber lieber über die Drei-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich und die Bürger stimmen schon lange mit den Füßen ab: ab in die Rente mit 63. Jedem sei das gegönnt nach einem langen Arbeitsleben. Doch Deutschland wrackt sich langsam aber sicher selbst ab.

Die Staatsquote beträgt inzwischen fast 52 Prozent. Da begann bei Helmut Kohl der Sozialismus. Investitionen in Infrastruktur oder Bildung können schon lange nicht mehr mit den Sozialausgaben mithalten. Dann gibt es auch für jeden und alles einen Fördertopf und noch einen Deckel obendrauf. Von keinem Wirtschaftsverband hört man was dazu. Klar, wer will schon freiwillig die Pfote aus dem Honigtopf nehmen. Doch wenn es mit den Ausgaben so weiter geht, übernimmt sich selbst ein reiches Land wie Deutschland.

Contra

Faktisch geschenkt

Foto: Herby Sachs/WDR
Ulrike Herrmann
ist Redakteurin und Wirtschaftsjournalistin bei "die tageszeitung" in Berlin.
Foto: Herby Sachs/WDR

Es gibt keinen Grund zur Sorge: Für die Bundesregierung ist es mühelos möglich, die nötigen Schulden aufzunehmen, um die Bürger in der Energiekrise zu entlasten. Das zeigt die Reaktion auf den internationalen Finanzmärkten. Momentan muss der deutsche Staat Zinsen von nur 1,9 Prozent bieten, um einen zehnjährigen Kredit zu erhalten. Das ist faktisch geschenkt, denn die Inflation liegt hierzulande bei etwa zehn Prozent. Die Realzinsen betragen also derzeit minus acht Prozent. Oder anders ausgedrückt: Die Investoren sind bereit, einen Verlust von aktuell rund acht Prozent zu machen, damit sie ihr Geld beim deutschen Staat parken können. Da wäre es ziemlich dämlich, wenn der Finanzminister keine Schulden machen würde.

Zudem ist es dringend nötig, dass der Staat eingreift: Die ärmeren Schichten könnten die stark steigenden Energiepreise sonst nicht stemmen. Es wäre aber zutiefst asozial, wenn viele Menschen im Winter frieren müssten, weil sie sich das Gas nicht leisten können. Auch bestünde dann die Gefahr, dass die Solidarität mit der Ukraine rasch endet und auf einen schnellen "Frieden" gedrängt würde, so dass Angriffskrieger Putin sein Ziel doch noch erreicht, die Nachbarn zu unterwerfen.

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Falsch ist nur, dass die Bundesregierung das Geld nach dem "Prinzip Gießkanne" ausgibt. Ob Tankrabatt oder Gaspreisbremse: Die Reichen profitieren besonders, weil sie große Autos fahren und große Villen bewohnen. Dabei sind die Wohlhabenden von der Inflation weit weniger betroffen als die Armen, weil sie nicht große Teile ihres Geldes für Lebensmittel und Energie ausgeben müssen. Statt über Schulden zu diskutieren, müsste das Motto also lauten: Weg mit der Gießkanne!