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Etat 2023 : Die Warnung

Der Finanzminister, Christian Lindner, blickt schon auf 2024, Union und AfD kritisieren Tricksereien mit Sondervermögen.

28.11.2022
2024-01-13T18:16:03.3600Z
6 Min

Der Haushalt 2023 ist beschlossen. Nach langen und intensiven Beratungen in den Fachausschüssen sowie im Haushaltsausschuss passierte der Haushaltsentwurf vergangenen Freitag in namentlicher Abstimmung das Hohe Haus. 378 Abgeordnete der Koalitionsfraktionen und ein fraktionsloser Abgeordneter stimmten mit Ja, 283 Abgeordnete der Oppositionsfraktionen mit Nein - Enthaltungen gab es keine. Damit kann der Bund im kommenden Jahr mit Ausgaben in Höhe von 476,29 Milliarden Euro rechnen. Das sind noch einmal 31,1 Milliarden Euro mehr als im Regierungsentwurf. Gegenüber dem laufenden Jahr fallen die Ausgaben allerdings um 19,5 Milliarden Euro geringer aus. Das gilt auch für die Neuverschuldung: Zwar liegt sie mit 45,61 Milliarden Euro deutlich über der noch im Regierungsentwurf veranschlagten (17,25 Milliarden Euro), aber noch deutlicher unter der für diese Jahr eingeplanten Verschuldung von 139,18 Milliarden Euro (siehe auch Text unten). Die Schuldenbremse wird, anders als 2020, 2021 und 2022, damit eingehalten - trotz andauernder, vielfältiger Krisen.

Foto: picture-alliance/dpa/Michael Kappeler

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) während der Finanzdebatte am Dienstag.

Hinter den Haushälterinnen und Haushältern der Fraktionen liegen intensive Beratungen. Über 67 Stunden beriet der Haushaltsausschuss den Regierungsentwurf, davon allein rund 18 Stunden in der berühmt-berüchtigten Bereinigungssitzung. 1.554 Änderungsanträge lagen zu dem 3.289 Seiten umfassenden Haushaltsplan vor. Die 1.014 von den Oppositionsfraktionen eingebrachten Vorschläge fanden im Haushaltsausschuss erwartungsgemäß keine Mehrheit. Das gleiche Schicksal ereilte die 25 vergangene Woche ins Plenum eingebrachten Änderungs- und Entschließungsanträge von CDU/CSU, AfD und Die Linke.

Koalition setzt 538 Änderungsanträge durch

Mehr Erfolg war, wenig überraschend, den 538 Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen beschieden. Damit, so betonte Sven-Christian Kindler zum Auftakt der vergangenen Haushaltswoche, hätten die Koalitionsfraktionen gezeigt, "wer der Haushaltsgesetzgeber ist". Der Entwurf des Bundeshaushaltsplans sei "an entscheidenden Stellen verbessert und auch korrigiert" worden, sagte der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion. Ähnlich bilanzierte es der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Achim Post. Bundesfinanzminister Christian Lindner habe einen "klugen, einen sehr klugen Haushaltsentwurf" vorgelegt, lobte Post, "er wurde in den Beratungen noch ein bisschen verbessert".

Oppositionsseitig sieht man das natürlich anders. Für die CDU/CSU-Fraktion nahm sich Mathias Middelberg in der Dienstagsdebatte insbesondere den Finanzminister vor. Dieser gebe vor, 2023 die Schuldenbremse einzuhalten, dabei sei er ein "Schuldenbremsenumgehungsminister". Der Haushalt 2023 werde zwar "formal ausgeglichen" sein, aber nur, weil Lindner 2021 und 2022 "so viele Schulden auf Vorrat" angesammelt habe. So bemängelte der Unionsfraktionsvize, dass die Nettokreditaufnahme von 200 Milliarden Euro im Wirtschaftsstabilisierungsfonds ins Jahr 2022 gebucht werde, obwohl die Ausgaben erst 2023 und 2024 anfallen würden.

Die Union findet, der Finanzminister ist ein "Rekordschuldenmacher"

Und Lindner ist für Middelberg auch ein "Rekordschuldenmacher", wie er vorrechnete: 60 Milliarden Euro Neuverschuldung im Nachtragshaushalt für 2021, rund 140 Milliarden Euro im Haushalt 2022, 100 Milliarden Euro für das Sondervermögen Bundeswehr, 200 Milliarden Euro für den "Doppel-Wumms" im Wirtschaftsstabilisierungsfonds. "Das sind zusammen insgesamt 500 Milliarden Euro in einem Jahr. Das ist die höchste Neuverschuldung, die es in dieser Republik je gab", kritisierte der Christdemokrat. Durch die hohen Schulden und die steigenden Zinskosten würden auch die künftigen Spielräume enger. "Das wird die Handlungsspielräume, gerade der Jüngeren, in Zukunft dramatisch eingrenzen, auch für ein wichtiges Thema wie etwa Klimapolitik." Der Haushalt sei daher weder ehrlich noch nachhaltig, befand Middelberg.


„Sie lassen mit Ihrer Politik die Menschen in der Kälte allein.“
Sven-Christian Kindler (Bündnis 90/Die Grünen)

Ähnlich argumentierte Peter Boehringer (AfD). Die Neuverschuldung liege 2023 tatsächlich bei fast 190 Milliarden Euro, doch die über Sondervermögen aufgenommenen Schulden würden nicht mitgezählt und so fast 150 Milliarden Euro verschleiert, kritisierte der haushaltspolitische Sprecher seiner Fraktion. "Ein Trick", den die Union zu Zeiten der Großen Koalition mit eingeführte habe, sagte Boehringer in Richtung Middelberg und Union. Er forderte den Bundestag auf, sich einer Normenkontrollklage seiner Fraktion anzuschließen, um den Haushalt vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Auch kritisierte Boehringer die Schuldenpolitik der Bundesregierung und der damit zusammenhängenden steigenden Zinskosten. Die AfD habe über Jahre gefordert, das niedrige Zinsniveau zu nutzen. "Seit 2017 hätte man Nullzinsen, teilweise sogar Negativzinsen für deutsche Neuschulden auf 30 Jahre festschreiben können. Getan hat es der heutige Kanzler nie", sagte der Abgeordnete in Richtung des ehemaligen Finanzministers und heutigen Bundeskanzlers.

Insbesondere die Kritik der Union wollten die Koalitionäre nicht auf sich sitzen lassen. Der Grüne Kindler warf der Union vor, die Finanzierung der Gas- und Strompreisbremse abgelehnt, aber im Haushaltsverfahren keine Alternativen vorgeschlagen zu haben. Er folgerte: Wenn keine Alternativen vorgelegt werden, dann lehne die Union die Hilfen ab. "Sie lassen mit Ihrer Politik die Menschen in der Kälte allein."

Vorwürfe an die Union

Christoph Meyer (FDP) warf der Union Doppelstandards vor. 2020 habe die Union das "Kunststück" fertiggebracht, auf der einen Seite die Schuldenbremse nicht einzuhalten, 60 Milliarden Euro aus dem Kernetat zu entnehmen und auf der anderen Seite 600 Milliarden Euro über ein Sondervermögen ins Schaufenster zu stellen. "Sie sind nicht nur keinen Deut besser, wenn Sie das kritisieren; vielmehr haben Sie es schlimmer gemacht. Wir ordnen die Finanzen und tun das, was Sie in den letzten Jahren nicht auf den Weg gebracht haben", schoss der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Liberalen.

Thorsten Rudolph (SPD) stellte der Kritik der Opposition die "seriöse und verantwortungsvolle Finanzpolitik" der Ampel entgegen. Dazu gehöre es auch, dass die krisenbedingten Mittel für die Bundeswehr und Energiehilfen "jeweils gesondert ausgewiesen werden: transparent und mit klarer Zweckbestimmung", begründete der Haushaltspolitiker die Nutzung von Sondervermögen. Auch die Einhaltung der Schuldenbremse zähle dazu. Die "Solidität der Koalition" zeige sich dabei in "zwei der wichtigsten Kennziffern": So werde zum einen die Schuldenquote in den nächsten Jahren "trotz aller Entlastungspakete und Abwehrschirme" leicht sinken. Zum anderen plane der Bund mit Rekordinvestitionen in Höhe von 71 Milliarden Euro. "Die für 2023 geplante Neuverschuldung wird gerade nicht verfrühstückt, sondern komplett und vollständig in die Zukunft unseres Landes investiert, damit unsere Kinder es besser haben", sagte der Sozialdemokrat.

Linke kiritisiert Steuerpolitik der Bundesregierung

Die Kritik von Seiten der Linken hatte eine deutlich andere Schlagseite als von Union und AfD. Gesine Lötzsch kritisierte insbesondere die Steuerpolitik der Koalition. Krisen seien immer ein "Geschenk für Vermögende", beschleunigten sie doch die Umverteilung von unten nach oben. "Sie müssen diese dreiste Umverteilung endlich stoppen. Alles andere ist ein Skandal", forderte die haushaltspolitische Sprecherin der Fraktion. Doch die Bundesregierung weigere sich beharrlich, "Krisengewinne" zu besteuern. "Selbst die mickrige Zufallsgewinnsteuer steht in den Sternen, und die Stromlobbyisten sorgen dafür, dass diese Steuer auf ein Minimum eingedampft wird", kritisierte Lötzsch in der Dienstagsdebatte. Am Freitag - zum Abschluss der Haushaltswoche - legte die Linken-Abgeordnete noch einmal nach. Der Haushalt sei "nicht sozial, nicht friedlich, nicht ökologisch". Einen Schuldigen machte die Haushaltspolitikerin auch aus. Es sei schon erstaunlich, "wie die schwindsüchtige FDP den Kurs dieses Regierungstankers vorgibt". Hätte sie eine Kapitänsbinde an diese Regierung zu verteilen, "würde Sie Herr Lindner bekommen", sagte Lötzsch.

Der so angegriffene Minister nahm es sportlich und bedankte sich bei Lötzsch für die "Worte der Anerkennung". Ernsthafteren Dank richtete er in Richtung aller Haushälterinnen und Haushälter für intensive und konstruktive Beratungen. Der nun beschlossene Haushalt gebe "Orientierung in schwierigen Zeiten". "Wir bewältigen die Krisen, aber wir vernachlässigen die Zukunftsaufgaben dieses Landes nicht", resümierte Lindner.

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Haushaltspolitisch warnte der Liberale davor, sich zu sehr zu rühmen, die Schuldenbremse erreicht zu haben. Das gesamtstaatliche Defizit sei enorm. Der Finanzminister verteidigte zudem die Entscheidung, Gas- und Strompreisbremse über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds zu finanzieren, da man so mehr Flexibilität habe. Frei nach dem Motto "Nach dem Haushalt ist vor dem Haushalt" widmete sich Lindner auch dem Etat 2024. Rücklagen, von denen der Haushalt 2023 noch kräftig profitiert, gebe es nun keine mehr. Gleichzeitig müsse das Ambitionsniveau bei Investitionen ins Klima, bei der Digitalisierung sowie bei der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit noch gesteigert werden. Lindner macht klar: "Der Haushalt 2024 wird noch herausfordernder als dieser."