E s ist gute Tradition, dass eine Wahlrechtsreform nicht mit den Stimmen der regierenden Mehrheit durchgedrückt wird. Ihre Akzeptanz ist umso größer, je breiter die Mehrheit im Parlament ist, die sie trägt. Die Kämpfe in den vergangenen Jahren um das Wahlrecht haben bereits zu einer unguten Politisierung des Themas geführt. Seit die Ampel den Vorschlag unterbreitet hat, Überhangmandate nicht zu vergeben, gibt es eine Frontstellung zwischen Regierung und Opposition. Und seit der nochmaligen Überarbeitung, die die Streichung der Grundmandatsklausel mit sich brachte, ist das Terrain vergiftet. Vor Wochen waren CDU-Politiker noch schockiert über das Gerede der CSU vom "Wahlbetrug", nun stimmen sie mit ein.
Grund für die Eskalation ist, dass CSU und Linkspartei durch den Wegfall der Grundmandatsklausel existentiell bedroht sind. Eine Partei, die bundesweit weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erzielt, bekommt keine Sitze nach dem Zweitstimmenergebnis zugeteilt, egal wie viel Wahlkreise ihre Kandidaten gewinnen. Denn ein Sieg im Wahlkreis garantiert nach der neuen Rechtslage kein Mandat mehr. Der CSU würden auch die 45 Wahlkreise, die sie 2021 gewonnen hat, nicht helfen, wenn sie unter fünf Prozent rutscht.
Dieses Ergebnis beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit. Die Ampel hatte für ihren Vorstoß mit dem Argument geworben, er sei fair und betreffe alle gleichermaßen. Das stimmt nun nicht mehr. Natürlich ist die CSU ein Sonderfall, aber den gibt es eben schon seit Jahrzehnten. Es ist ein Gebot der politischen Klugheit, darauf Rücksicht zu nehmen. Nun droht die Gefahr, dass jede neue Mehrheit im Bundestag ein neues Wahlrecht beschließt.
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