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Hitlerputsch : In der Hauptstadt der Republikfeinde

Wolfgang Niess lenkt in "Der Hitlerputsch 1923" den Blick auf den wahren Hochverrat von 1923.

03.04.2023
2024-02-28T12:58:35.3600Z
4 Min

Dieses Buch trägt den falschen Titel. Zumindest dann, wenn Wolfgang Niess seine Grundthese konsequent auf dem Buchcover umgesetzt hätte. Denn der Historiker und Publizist sieht die junge Weimarer Republik im Jahr 1923 viel weniger von Adolf Hitler und seiner NSDAP bedroht als vielmehr von einem Konglomerat nationalistischer, völkischer, separatistischer und monarchistisch gesinnter Gruppierungen, Politiker und Militärs. Sie alle arbeiten am Sturz der aus ihrer Sicht "jüdisch und marxistisch verseuchten" Weimarer Republik. Der Untertitel "Die Geschichte eines Hochverrats" trifft den Kern der Sache da schon deutlich besser. Der titelgebende Hitlerputsch vom 8./9. November 1923 stellt zwar einerseits den Kulminationspunkt eines vielschichtigen Hochverrats dar, zugleich aber auch sein Scheitern.

Niess breitet die bedrohliche Lage der Weimarer Republik Anfang der 1920er Jahre anhand umfangreicher zeitgenössischer Quellen vor seinen Lesern aus. Bayerns Landeshauptstadt wird im Krisenjahr, das von Ruhrbesetzung und Hyperinflation geprägt ist, gleichsam zur brodelnden Hauptstadt der antidemokratischer Republikfeinde von rechts. Auch wenn die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler, der sich vom begabten Redner zur Nummer eins der Partei aufschwingt, erheblichen Zulauf erfährt, ist die NSDAP doch nur eine von vielen Gruppierungen in der breiten Front der Republikfeinde. Schon deshalb ist Hitlers spätere Bezeichnung Münchens als "Hauptstadt der Bewegung" eine propagandistische Verkürzung der politischen Verhältnisse.

Triumvirat träumt von Sturz der Berliner Reichsregierung

Im Zentrum von Niess Darstellung steht dann zunächst auch völlig zu Recht das "Triumvirat" aus Gustav von Kahr, der Bayern von 1920 bis 1921 zunächst als Ministerpräsident und seit September 1923 als Generalstaatskommissar mit diktatorischen Vollmachten regiert, General Otto von Lossow als Kommandeur der 7. "bayerischen" Reichswehrdivision und dem bayerischen Polizeichef Hans von Seißer. Sie träumen vom Sturz der Berliner Reichsregierung unter Bundeskanzler Gustav Stresemann, der Beseitigung der Weimarer Verfassung und der Herrschaft eines rechtsnationalen "Direktoriums", was einer Diktatur gleichgekommen wäre. Doch der Putsch wird immer wieder verschoben. Zuvor will man sich der Unterstützung der Reichswehrführung unter General Hans von Seeckt versichern, der selbst mit der Herrschaft eines "Direktorium" liebäugelt.

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Doch Hitler macht diese Pläne regelrecht dilettantisch zunichte. Entgegen seiner Zusage an das Triumvirat, nicht eigenmächtig zu handeln, stürmt er gemeinsam mit der SA eine Rede Kahrs am 8. November im Münchner Bürgerbräukeller und ruft die "nationale Revolution" aus. Mit Unterstützung Erich Ludendorffs, des ehemaligen stellvertretenden Chefs der Obersten Heeresleitung, zieht er Kahr, Lossow und Seißer scheinbar auf die Seite der Putschisten. Doch das Trio geht noch in der gleichen Nacht von der Fahne, der Putsch scheitert kläglich. Dies hindert die Nationalsozialisten später nicht, ihn mythisch zu überhöhen, wie Niess sehr anschaulich schildert. Überhaupt bietet sein Buch eine spannende und mitunter sogar überraschende Lektüre.

Wolfgang Niess:
Der Hitlerputsch 1923.
Geschichte eines Hochverrats.
C.H.Beck,
München 2023;
350 Seiten, 26,00 €