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Georgien im Ukraine-Krieg : Unter Druck

Zerrissen zwischen Hoffnung auf einen EU-Beitritt und Russlands Einfluss wächst die Kriegsangst in Georgien.

03.04.2023
2024-04-17T15:09:14.7200Z
3 Min
Foto: picture-alliance/dpa/TASS/Alexander Patrin

Erfolgreicher Protest: Nach tagelangen Demonstrationen Anfang März in Tiflis ließ die georgische Regierung ihr nach russischem Vorbild geplantes "Agentenregister" fallen.

In einer Armenküche in Tiflis gibt es Bohnensuppe, Brei und Kohlsalat. "Wir haben es geschafft, das Niveau der Speisen zu halten", sagt Luba Chkhikwadze, eine der Köchinnen, "trotz der gestiegenen Preise." Die Menschen, die hier essen, haben im Schnitt etwa 350 Lari im Monat zur Verfügung. Das sind umgerechnet etwa 125 Euro - nicht viel, angesichts der Preise, die längst so hoch sind wie in Westeuropa. Die vielen geflüchteten Russen haben der Südkaukasusrepublik mit ihren 3,7 Millionen Menschen zwar ein Wirtschaftswachstum von zehn Prozent beschert, verderben jedoch die Preise. Besonders der Wohnungsmarkt in der Hauptstadt Tiflis leidet unter den reicheren Russen. Im beliebten Badeort Batumi am Schwarzen Meer stieg der Anteil der Wohnungskäufe durch Russen im vergangenen Jahr von fünf Prozent im Januar auf 17,6 Prozent im November.

1,4 Millionen russische Flüchtlinge sind in Georgien

1,4 Millionen Russen haben nach Beginn der russischen Kriegs gegen die Ukraine die Grenze nach Georgien überquert. Wie viele von ihnen geblieben sind, ist statistisch nicht erfasst. Unter ihnen sind nicht nur Männer, die einer Einberufung zuvorgekommen sind, viele flohen auch vor den sich verschlechternden Lebensbedingungen in Russland. Das sorgt für Spannungen. "Die kommen nach Georgien, als wäre das ihr Ferienort", klagt die Politologin Rusudan Tabukaschwili, die ein EU-Projekt zur Entwicklung der Zivilgesellschaft koordiniert, "und so verhalten sie sich leider auch. Russland ist hier eine Kolonialmacht."

Eine Situation, die Ängste verstärkt: "Wir befürchten eine Aktion wie 2014 auf der Krim durch grüne Männchen oder freundliche Menschen, wie Putin die russischen Truppen damals nannte", erzählt Davit Katsarawa. Er ist der Anführer der Antiokkupationsbewegung, einer Privatinitiative. Mit seinen Leuten beobachtet er die Demarkationslinie nach Südossetien und die dahinter stationierten russischen Truppen.

Die Gesellschaft Georgiens ist tief gespalten

Die Grenze ist auch ein Sinnbild für die tiefe Spaltung der georgischen Gesellschaft. Da ist zunächst die Konfrontation zwischen Anhängern der Regierungspartei Georgischer Traum und den Anhängern des ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili. Der verbüßt aktuell eine Haftstrafe wegen Amtsmissbrauch und beschuldigt die Regierung, ihn vergiftet zu haben. Eine Delegation des Europarates besuchte ihn Mitte März. Zum Unmut der Regierung wurde Saakaschwili zudem in Norwegen gerade mit dem Sjur-Lindebrække-Preis für Demokratie und Menschenrechte ausgezeichnet. Für Premierminister Irakli Garibaschwili ein Unding: Saakaschwili habe während seiner Regierungszeit ein "Tötungs-, Vergewaltigungs- und Foltersystem" aufgebaut, kommentierte er erbost. Ihn mit einem Menschenrechtspreis zu belohnen, käme einem Preis für den rechtsextremen norwegischen Massenmörder Anders Breivik gleich. Zwar ist Saakaschwili heute wegen seiner zuletzt autoritären Politik umstritten. Doch immer mehr junge Georgier stößt vor allem die Art ab, wie sich die beiden Lager bekämpfen.

Beziehungen zu Russland

  • Unabhängigkeit: 1991 erklärte sich Georgien für unabhängig.
  • Abtrünnige Regionen: Ethnische Spannungen führten 1992 zur Loslösung Südossetiens und Abchasiens von Georgien. Russland unterstützte die Separatisten auch militärisch.
  • Kaukasuskrieg: 2008 kam es im Konflikt um die Regionen zu einem fünftägigen georgisch-russischen Krieg. Seither hat Russland in Südossetien und in Abchasien Truppen stationiert.


Auch dass die russlandfreundliche Regierungspartei Georgischer Traum eine Politik verfolgt, die an die des großen Nachbarn erinnert, befeuert die Polarisierung in der Gesellschaft. Während Umfragen zufolge etwa 80 Prozent der Bevölkerung sich einen EU-Beitritt wünschen, legte die georgische Führung Anfang März ein Gesetz zur Einführung eines Agentenregisters nach Moskauer Vorbild vor: Medien und Organisationen, die mehr als 20 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten, sollten als "ausländischen Agenten" eingestuft werden. Kritiker fürchteten das Ende der georgischen Zivilgesellschaft. Nicht unbegründet: Ein ähnliches Gesetz hat seit 2012 in Russland wesentlich dazu beigetragen, die Demokratie zu zerstören.

Protest gegen Agentengesetz

In Tiflis jedoch kam es anlässlich der Beratung im Parlament zu spontanen Massenprotesten: Tausende gingen trotz Tränengas und Wasserwerfern tagelang auf die Straße. "Als ich die vielen Menschen gesehen habe, war ich stolz, dass die Arbeit der letzten 15 Jahre für die Zivilgesellschaft nicht umsonst war", sagt Tabukaschwili. Unter dem Druck der Demonstranten ließ die Regierungsfraktion des Georgischen Traums das Gesetz in der zweiten Lesung schließlich scheitern. Aktuell verbreitet die Regierung, EU und Nato versuchten, Georgien in den Krieg mit hinein zu ziehen und Georgien zu einer zweiten Front zu machen. Bei vielen gerade älteren Menschen verfängt das. In der Armenküche sind sie sich einig: "Hauptsache, es gibt nicht wieder Krieg mit Russland."