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Gewalt am Arbeitsplatz : Schutz vor Übergriffen

Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz gehören für viele Beschäftigte zum Arbeitsalltag. Nun soll ein internationaler Schutzstandard gesetzt werden.

24.04.2023
2024-03-11T10:04:22.3600Z
3 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Andreas Arnold

Üben für den Ernstfall: Eine Berufsfeuerwehrfrau aus Mainz lernt in einem Deeskalationstraining für Rettungskräfte, wie sie Angriffe abwehren kann.

Der Rettungssanitäter, der bei einem Einsatz nachts im Kneipenviertel von betrunkenen Passanten attackiert wird. Die Sachbearbeiterin im Jobcenter, die von einem Kunden beschimpft und bespuckt wird. Die Pflegekraft, die von einer zu betreuenden Person sexuell bedrängt wird. Die Angestellte, die vom Chef belästigt wird. Der Handwerker, der von seinen Kollegen gemobbt wird: Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz gehören für viele Beschäftigte in Deutschland zum Arbeitsalltag.

Mitunter enden diese Übergriffe fatal: Sechs Todesfälle zählte die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) im Jahr 2021 unter den insgesamt 11.927 "Arbeitsunfällen durch menschliche Gewalt, Angriff und Bedrohung". Der Spitzenverband nimmt alle meldepflichtigen Unfälle auf. Die Zahl enthält laut DGUV jedoch nur solche Arbeitsunfälle, bei denen die Person getötet wurde oder so verletzt ist, dass sie für vier oder mehr Tage arbeitsunfähig ist. Damit, so schreibt die Unfallversicherung in einem Dossier zum Thema, sei nur ein Bruchteil der Gewalterfahrungen von Beschäftigten erfasst. "Denn Gewalt umfasst nicht nur schwere körperliche Angriffe, sondern beispielsweise auch sexuelle Belästigung, Handgreiflichkeiten, (Cyber-)Mobbing, Diskriminierung und Drohungen, die möglicherweise nicht unmittelbar zu einem meldepflichtigen Unfall führen."

Der Bundestag hat in der vergangenen Woche den Weg zur Ratifizierung des Gesetzes zum Übereinkommen Nr. 190 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 21. Juni 2019 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt frei gemacht, die Bundesrepublik verpflichtet sich damit zur Einhaltung.

Es soll eine Regulierungslücke geschlossen werden

In der Begründung des Gesetzentwurfes (20/5652) heißt es, dass bisher kein internationales Instrument existierte, das eine rechtliche Grundlage für eine Arbeitswelt ohne Gewalt und Belästigung schaffe. Mit dem Übereinkommen als ein internationaler Mindeststandard solle eine Regelungslücke geschlossen werden, schreibt die Bundesregierung.

Hannah Huxholl, Expertin zum Thema bei der DGUV, findet, dass man in Deutschland mit den gesetzlichen Vorgaben zur Sicherheit am Arbeitsplatz bereits gut aufgestellt sei. Trotzdem komme es immer wieder vor, dass Menschen bei der Ausübung ihrer Arbeit Gewalt durch Kollegen oder Kunden erleben würden. Deshalb sei es so wichtig, dass sich Deutschland mit der Ratifizierung nun zu noch mehr Schutz am Arbeitsplatz verpflichte. Das sei auch ein starkes Zeichen in die internationale Gemeinschaft.

Es sei zu beobachten, so Huxholl, dass die gemeldeten Fälle von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz in der Vergangenheit trotz Präventionsangeboten und Arbeitsschutzregeln zu- statt abgenommen hätten.

Das könne allerdings auch mit einer größer werdenden Aufmerksamkeit für das Thema zusammenhängen, vermutet Huxholl: "Immer mehr Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind in dieser Hinsicht sensibilisiert." Durch das ILO-Übereinkommen könnte sich dies noch weiter verbessern, hofft die Fachfrau.

Gefährdet sind auch Mitarbeiter in Behörden

Bereiche, an denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vermehrt mit Gewalt konfrontiert sind, sind unter anderem Rettungsdienste und Feuerwehren, Fahrkartenkontrollen oder die Badeaufsicht in öffentlichen Schwimmbädern. Gefährdet sind auch Beschäftigte in Sozialämtern und Jobcentern, in der Stadtverwaltung oder beim Ordnungsamt, um nur einige zu nennen. "Das sind Bereiche, in denen Verwaltungs- und Kontrollaufgaben anfallen, die viele Menschen als negativ oder stressbehaftet wahrnehmen", sagt Huxholl. Berufe, in denen der Umgang mit Wertgegenständen und Bargeld alltäglich ist, bergen ebenso eine erhöhte Gefahr von Übergriffen wie Allein- oder Nachtarbeit, zum Beispiel an Tankstellen oder im Gebäudeschutz.


„Essenziell ist die Führungskultur“
Hannah Huxholl

Das gilt auch für Jobs, in denen man häufig mit Personen konfrontiert ist, die in irgendeiner Art unter Druck stehen, seien sie stark alkoholisiert wie im Gastgewerbe oder akut von Armut betroffen wie auf dem Sozialamt. Um Menschen an ihrem Arbeitsplatz besser zu schützen, gibt es bereits einige Maßnahmen, auf die Huxholl hinweist: Technisch-bauliche Lösung wie Glasscheiben an Empfangstresen, Notfallknöpfe oder Büroräume mit zwei Ausgängen seien sehr effektiv, um Beschäftigte vor Angriffen zu schützen.

Ein weiterer wichtiger Baustein sei darüber hinaus die Prävention in Form von Deeskalationstrainings und Weiterbildung für Beschäftigte und Führungskräfte. "Essenziell ist die Führungskultur in einer Behörde oder in einem Unternehmen", so Huxholl. Die Maßnahmen könnten ihre volle Wirkung nur entfalten, wenn transparent über die Gefahr von Gewalt am Arbeitsplatz gesprochen und die Verhinderung konsequent angegangen werde.