Als Baumsachverständige habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, den Bäumen in der Stadt eine fachliche Stimme zu geben. Der Stadtbaum hat leider keine Lobby in Deutschland. Meist ist er im Weg, sein Laub stört oder er nimmt das Licht. Ich wollte immer schon den Baum, der ja nicht kommunizierten kann und der Fürsprecher braucht, unterstützen.
Es ist jetzt aber nicht so, dass für mich jeder gefällte Baum eine persönliche Niederlage darstellt. Wir haben als Folge des Klimawandels und der Globalisierung Schaderreger, pilzlichen Befall oder Bakterienerkrankungen, die es unmöglich machen, manche Bäume selbst als Torso in der Stadt zu erhalten. Die Rußrindenkrankheit etwa ist ein pilzlicher Befall, der auch auf der Lunge von Menschen Schäden verursachen kann, wenn da jemand vorbelastet ist. So ein Baum darf nicht in der Stadt stehen bleiben. Das zu beurteilen, obliegt mir als Baumexpertin.
Mein Aufgabenbereich ist sehr breit gefächert. Ich mache Baumkontrollen, prüfe also, ob die gesetzlich festgeschriebene Verkehrssicherungspflicht von Bäumen gewährleistet ist. Dabei kontrolliere ich im Auftrag von Kommunen und Städten Bäume in Schwimmbädern, in Kindergärten, an öffentlichen Straßen. Überall dort, wo von Bäumen eine Gefahr für Dritte ausgehen könnte.
Ich erstelle auch Baumgutachten. Wenn ein größerer Schaden festgestellt wird, gibt es da eine Art ärztliche Untersuchung des Baums. Die von mir ebenfalls angebotene Baumberatung wird leider noch zu wenig in Anspruch genommen. Das ist schade. Es führt dazu, dass etwa Kommunen an ihren Bäumen herumdoktern, ohne das nötige Fachpersonal und das nötige Fachwissen - meist zum Nachteil der Bäume.
Der Wald und seine Bäume haben mich schon als Kind stark interessiert. Nach der Schule habe ich Forstwissenschaften studiert und dann mehrere Jahre als Sachverständige und Baumkontrolleurin bei einem der großen Sachverständigenbüros Deutschlands gearbeitet. 2020 habe ich mich selbstständig gemacht. Ich finde es schade, dass es in Deutschland an der nötigen Umweltbildung fehlt. Mein Wissen gebe ich gern weiter. Ich bilde aus, referiere bei Tagungen und nutze meinen Social-Media-Auftritt, um die eher schlechte Ausbildung bei uns im Fachbereich nach vorne zu bringen.
Der Baum müsste meiner Ansicht nach als ökologischer Wert betrachtet werden. Das ist aktuell nicht der Fall. Wir brauchen daher ein Baumschutzgesetz. Derzeit hängt es nämlich von den einzelnen Gemeinden ab, ob Bäume rechtlich geschützt werden. Eine Baumschutzsatzung gibt es derzeit nur vereinzelt, etwa in Großstädten wie Berlin oder Frankfurt am Main.
Es braucht aber auch ein Verständnis dafür, dass das Stadt-Ökosystem ein komplett anderes ist als der Wald. Wir haben in der Stadt auch andere Baumarten. Eine Buche etwa würde mit den Stressbedingungen an der Straße einer Stadt gar nicht zurechtkommen, weil sie das nicht verträgt. Wichtig in den Städten ist auch der Schutz für Jungbäume und eine angemessene Bewässerung. Vielfach herrscht aber so großer Personalmangel, dass es in den Hitzeperioden des Sommers nicht gelingt, die Bäume kontinuierlich zu bewässern oder zu schützen.
Ich sehe in Deutschland einen enormen Forschungsbedarf in Sachen Stadtbäume. Wir haben zu wenig Biologen, zu wenig Baumexperten und auch zu wenig Entomologen. Das sind die, die sich um die Insekten kümmern. Da müsste die Expertise erhöht werden. Die Biodiversität und verschiedene Kleinsysteme müssten gefördert werden, weil die Stadt ein eigenes Ökosystem ist.
Der Rückgang der Arten ist mittlerweile ein Riesenproblem. Altbäume spielen für mich hier eine entscheidende Rolle. Im Durchschnitt ist auf ihnen die Zahl seltener Insektenarten um einiges höher. Der ökologische Wert eines Baumes steigt mit zunehmendem Alter. Weisen Bäume generell Faulstellen, abblätternde Rinde, Höhlen, Mulm und Baumpilze auf, hat man es mit einem natürlichen Insektenhotel zu tun. Die Verkehrssicherheit muss natürlich gewährleistet sein. Leider ist generell bei Stadtbäumen die Säge häufig das Mittel der Wahl bei der Festlegung einer Maßnahme zur Herstellung der Verkehrssicherheit.
Ich plädiere dafür, Habitatbäume, worunter wir Torsi, Baumstümpfe und notwendig gekappte Bäume verstehen, zu belassen. Bei allen anderen Bäumen sollten so wenig Schnittmaßnahmen wie nötig durchgeführt werden. Außerdem muss ein besserer Schutz auf Baustellen für Bäume gewährleistet werden. Nur eine allumfängliche Baumkontrolle und eine fachliche Baumpflege in Kombination bringen uns zukunftsträchtige Bäume. Ich bin ganz optimistisch, dass sich diese Einsicht bei den politischen Entscheidungsträgern und den zuständigen Behörden immer stärker durchsetzt.
Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper.