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Florian Hahn : "Brauchen einen Plan"

Für den CSU-Verteidigungsexperten Florian Hahn kann eine wirksame Militärhilfe für die Ukraine nicht ohne langfristige Strategie funktionieren.

23.01.2023
2024-03-15T12:01:38.3600Z
5 Min

Herr Hahn, die Mängelliste der Bundeswehr ist lang - kaum Personal, kaum Material, veraltete Infrastruktur. Was erwarten Sie vom neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit Blick auf die von Bundeskanzler Scholz ausgerufene Zeitenwende und das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Truppe?

Florian Hahn: Herr Pistorius muss dringend das Beschaffungswesen reformieren, damit die Bundeswehr endlich die notwendige Ausstattung bekommt. Die Initiativen seiner Vorgängerin haben hier weder zu einer Vereinfachung noch zu einer Beschleunigung geführt. Der Minister muss auch dafür sorgen, dass Deutschland als eine der größten territorialen Streitmächte in Europa wieder sichtbar wird auf internationaler Bühne. Nicht zuletzt brauchen wir einen Ressortchef, der endlich wichtige Entscheidungen trifft zur Unterstützung der Ukraine, etwa zur Lieferung deutscher Kampfpanzer.

Foto: frank schroth/fotografie

Florian Hahn (CSU) sitzt seit 2009 im Deutschen Bundestag und ist verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion.

Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), würde das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr gern um weitere 200 Milliarden Euro aufstocken. Ist Geldmangel das größte Problem der Truppe?

Florian Hahn: Nein, das größte Problem ist mangelnde Planbarkeit. Das schließt eine ausreichende finanzielle Ausstattung natürlich mit ein. Das Sondervermögen wird nicht viel helfen, wenn nicht gleichzeitig auch der Verteidigungshaushalt mittel- und langfristig steigt. Derzeit plant die Ampelregierung aber, den Etat auf dem aktuellen Stand einzufrieren. Damit verfehlen wir nicht nur das Nato-Ziel, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Wir können die mit dem Sondervermögen finanzierte neue Ausstattung irgendwann auch nicht mehr bewirtschaften, also instand halten oder neue Munition kaufen.

Gleichzeitig liefert die Bundesregierung seit Kriegsbeginn moderne Waffensysteme in die Ukraine, darunter bald 40 Marder-Schützenpanzer inklusive Munition. Müsste dieses Material nicht zuerst ersetzt werden?

Florian Hahn: Alles, was wir aus Bundeswehrmaterial liefern, führt zu einer Schwächung unserer Bündnis- und Landesverteidigung. Es ist daher unfassbar, dass trotz der angekündigten Zeitenwende verbunden mit dem Bekenntnis die Bundeswehr zu stärken, die Nachbeschaffung dieses Materials bis heute nicht ernsthaft angelaufen ist.

Deutschland hat zum Jahreswechsel auch die Führung der schnellen Nato-Eingreiftruppe VJTF übernommen, die innerhalb von 48 bis 72 Stunden einsatzbereit sein muss. Es heißt, die Verbände müssten sich teilweise Ausrüstung bei anderen Einheiten borgen, um die Anforderungen der Nato erfüllen zu können. Kann die Bundeswehr diese große Aufgabe derzeit überhaupt stemmen?

Florian Hahn: Das ist fraglich, wie schon das Desaster um den Puma zeigt. Der Schützenpanzer hätte zum 1. Januar mit in die VJTF-Bereitschaft gehen müssen, aber dann haben Übungen im Dezember erhebliche Mängel gezeigt und der Plan wurde auf Eis gelegt. Offenbar sind die Soldaten nicht gut genug auf ihrem eigenen Gerät ausgebildet, es hakt bei der Instandsetzung und im Zusammenspiel mit der Industrie.

Nun soll Deutschland der Ukraine auch noch Leopard-Kampfpanzer schicken. Warum ist der Leopard für die Ukraine so wichtig?

Florian Hahn: Um eine optimale Waffenwirkung zu erzielen, sollten Kampf- und Schützenpanzer immer zusammen eingesetzt werden. Deswegen besitzen alle relevanten Armeen der Welt dieses Duo und setzen nicht nur auf einen Panzertypen. Auch die schiere Anzahl von Systemen macht im Kampf einen Unterschied. Nicht zuletzt hat die Russische Föderation den Winter genutzt, um massenhaft Material und Personal an die Front zu bringen. Alles deutet darauf hin, dass sie im Frühjahr eine große Offensive startet. Experten warnen seit Monaten davor, deswegen haben wir als Unionsfraktion schon im September 2022 einen Antrag gestellt, endlich Leopard- und Marderpanzer zu liefern. Die Befassung mit diesem Antrag wurde bis heute aber sechs Mal verschoben. Hätten wir über die Panzerfrage im September entschieden, hätte die Industrie das Material rechtzeitig instand setzen und ausliefern können.

Und nun? Was kann Deutschland in absehbarer Zeit liefern?

Florian Hahn: Die Industrie verfügt über mehr als 150 Leopard 1-Panzer, von denen immerhin einige innerhalb weniger Wochen verschickt werden können. Bei den Panzern der neuen Generation, Leopard 2, sieht das schon anders aus, zumal hierfür auch die Ausbildung länger dauert. Aber auch hier könnten wir aus Bundeswehrbeständen bald zehn bis 20 Stück in die Ukraine schicken. Zusammen mit Leopard-Lieferungen anderer europäischer Länder könnte eine Größenordnung erreicht werden, die der Ukraine tatsächlich helfen würde.

Scholz und auch viele Bürger hierzulande befürchten, dass der Export von Kampfpanzern westlicher Produktion zu einer weiteren Eskalation des Krieges durch Russland führen könnte. Steht ihr Nutzen in angemessenem Verhältnis zum potenziellen Risiko?

Mir ist die Argumentation von Scholz völlig schleierhaft. Seine monatelange Zurückhaltung hat aus meiner Sicht nur Zeit und Leben gekostet. Was die Russische Föderation in der Ukraine macht, ist bereits maximale Eskalation. Sie hat ein Land überfallen und tötet jeden Tag Ukrainerinnen und Ukrainer, die ihre Heimat verteidigen. Nicht nur unsere Bündnispartner, auch viele in der eigenen Koalition, verstehen nicht, warum Scholz immer nur auf Druck nachgibt und die deutsche Hilfe immer nur tröpfchenweise in der Ukraine ankommt. Der Kanzler scheint in einer Art Ideologieschleife hängengeblieben zu sein.

Pistorius zufolge ist Deutschland schon jetzt "indirekt" am Krieg in der Ukraine beteiligt. Sehen Sie das auch so?

Das würde ich so nicht formulieren. Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt die Ukraine in ihrem Freiheitskampf und könnte noch viel mehr tun, ohne sich dabei tatsächlich am Krieg zu beteiligen.

Braucht die Bundesregierung eine langfristige Strategie für die Militärhilfe?

Mit Blick auf die Ukraine auf jeden Fall. Wir sehen am Beispiel des Flugabwehrpanzers Gepard, dass allein die Lieferung eines Systems nicht ausreichend ist. Es muss auch sichergestellt werden, dass es dauerhaft mit Munition versorgt werden kann. Der Gepard hat praktisch keine Munition mehr - und der Schweizer Hersteller verweigert aus rechtlichen Gründen den Nachschub. Das zeigt: Die Dinge müssen ganzheitlich gedacht werden, aber auch dafür fehlt der Bundesregierung ein Plan.

Die Ampelkoalition arbeitet zurzeit an der ersten nationalen Sicherheitsstrategie, die auch den Umgang mit dem aggressiven Regime in Moskau behandeln will. Was sollte unbedingt in dieser strategischen Vorausschau stehen?

Die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates zum Beispiel. Dieses Exekutivorgan sollte dafür sorgen, dass die deutsche Sicherheitsstrategie auch nachhaltig verfolgt wird. Wichtig sind für uns außerdem das Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel und eine Neuregelung der Rüstungskontrolle. Wir können nicht erwarten, dass die Maximalforderungen Deutschlands bei diesem Thema von allen europäischen Partnern übernommen werden.

Das klingt stark nach der alten römischen Devise "Si vis pacem para bellum" - Willst du den Frieden, rüste dich für den Krieg.

Exakt darum geht es. Wir brauchen mehr Geld für die Bündnis- und Landesverteidigung und unbedingt auch gemeinsame europäische Rüstungsprojekte, denn wir müssen die europäische Resilienz stärken. Leider haben das einige in der Ampelkoalition immer noch nicht verstanden.