Der Zeuge, afghanischer Menschenrechtler und ehemaliger Berater des afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani, kann seine Tränen nicht mehr zurückhalten, als er an seinen letzten Tag in Kabul denkt. Er habe nach Doha reisen müssen, um mit den Taliban zu verhandeln, erzählt er am Donnerstag vor dem 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan. Der Polizist am Eingang des Flughafens habe ihn erkannt. "Bitte beenden Sie das Ganze, zu viele sind gestorben", habe er ihn angefleht. "Seitdem verfolgen mich seine Augen jede Minute", sagt der Zeuge und beginnt zu weinen.
Unterstützung Seine Schilderungen vom Scheitern der Friedensverhandlungen zwischen der afghanischen Delegation und den radikalislamischen Taliban decken sich größtenteils mit den Aussagen des Zeugen vor ihm. Der deutsche Berater der gemeinnützigen Nichtregierungsorganisation Berghof Foundation sollte mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes (AA) die innerafghanischen Friedensverhandlungen zum Erfolg führen, etwa durch Trainings der Verhandlungsteams oder Formulierungshilfen. Die Foundation sei von beiden Konfliktparteien um Unterstützung gebeten worden, sie habe sich neutral verhalten, um das Vertrauen beider Seiten zu gewinnen. Der Zeuge ist sich allerdings sicher, "dass viele in unserer Delegation das als Beitrag der Bundesregierung wahrgenommen haben".
Dass die Taliban überhaupt innerafghanische Friedensverhandlungen führen würden, hatten sie den USA im Februar 2020 im sogenannten Doha-Abkommen zugesichert, in dem beide den Rückzug ausländischer Truppen aus Afghanistan regelten. Das Doha-Abkommen sei die Voraussetzung für die Gespräche gewesen, sagt im Ausschuss auch der Vertreter der Berghof Foundation. Doch die Interessen seien so weit auseinandergegangen, dass "eine kooperative Lösung" kaum möglich gewesen sei. "Die Taliban haben luftige Versprechungen gemacht." Der Zeuge meint, die Taliban hätten von Anfang an kein Interesse an Verhandlungen gehabt. Ihre Vertreter seien oft nicht zu den Terminen erschienen, und wenn, dann hätten sie sich geweigert, sich zur Tagesordnung zu äußern.
Auch habe der afghanische Präsident Ghani unrealistische Erwartungen gehabt. Die Zweifel an den Wahlergebnissen hätten den Regierungsapparat in Kabul zudem über Monate gelähmt, erinnern sich die Zeugen. Wertvolle Zeit sei vergeudet worden. In dieser Zeit habe die Bevölkerung das Vertrauen in die Regierung verloren.
Zusammenbruch Ab Mai 2021 eroberten die Taliban schließlich rasant fast das ganze Land und standen schließlich vor den Toren der Hauptstadt Kabul. Der Zeuge sagt, er habe eingesehen, dass die Regierung keine Überlebenschance mehr hatte. Ghani sei bereit gewesen zurückzutreten, wollte aber die Macht nicht den Taliban übergeben. Daraufhin hätten die USA, zusammen mit dem ehemaligen afghanischen Präsidenten Hamid Karsai und dem Leiter des Friedensrates Abdullah Abdullah, eine geregelte Machtübergabe verhandeln wollen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Auch die Taliban seien dazu bereit gewesen. Doch Ghani sei unerwartet geflüchtet und die Regierung zusammengebrochen. So scheiterte am Ende auch der letzte Versuch einer geregelten Übergabe.
Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper.