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Jahreswirtschaftsbericht
Elena Müller
Vorsichtige Entwarnung

Trotz Krisen ist nicht mehr mit einer Rezession zu rechnen

Kleine Zahl mit großer Wirkung: In der vergangenen Woche sorgte der niedrige Wert von 0,2 Prozent für einige Überraschung: Trotz historisch hoher Inflation, dem mittlerweile fast ein Jahr andauernden Krieg in der Ukraine, Lieferengpässen und Energiekrise kann die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr mit einem Miniwachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,2 Prozent rechnen - bis vor kurzem war noch davon ausgegangen worden, dass es zu einer Rezession kommt. Das Krisenjahr 2022 schloss nach Bereinigung der Zahlen sogar mit einem Plus von 1,9 Prozent.

Die Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht 2023, der diese Zahlen enthält, nutzte die Bundesregierung direkt für ein bisschen Eigenlob: Er zeige, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am vergangenen Donnerstag im Bundestag, dass es trotz des Krieges in der Ukraine und den Folgen daraus gelungen sei, die Situation der deutschen Wirtschaft zu stabilisieren. Das habe neben dem großen Engagement der Unternehmerinnen und Unternehmer und deren Belegschaften auch an den engagierten Entscheidungen der Bundesregierung gelegen: "Deutschland hat gezeigt, was es kann, wenn es will."

Arbeitskräfte fehlen Doch, so räumt Habeck bei seiner Regierungserklärung ein, auch wenn sich die Situation in wirtschaftlicher Sicht ein wenig entspannt habe und für das laufende Jahr mit einer weiter sinkenden Inflation (sechs Prozent) und für 2024 mit einem kleinen Plus für der Konjunktur (1,8 Prozent) gerechnet werde; das Land stehe weiterhin vor großen Herausforderungen.

Als erstes nannte der Wirtschafts- und Klimaminister den massiven Mangel an Arbeits- und Fachkräften. Im vergangenen Jahr habe die Zahl gemeldeter offener Stellen mit 845.000 fast doppelt so hoch gewesen wie noch vor zehn Jahren.

An dieser Stelle brachte Habeck die im Jahreswirtschaftsbericht 2022 erstmals eingeführten Indikatoren zur Neuvermessung des Wohlstandes ins Spiel. Anders als im vergangenen Jahr seien die Betrachtung und Bewertung der Indikatoren nicht mehr in einem Sonderkapitel behandelt worden, sondern direkt in den Bericht eingeflossen. So spiele zum Beispiel der Indikator für die Frauenerwerbstätigkeit bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels eine wichtige Rolle, sagte Habeck: Zwar seien heute mehr Frauen erwerbstätig, aber das Arbeitsvolumen, das Frauen leisten, sei deutlich zurückgefallen. Dies bedeutet laut Habeck, dass zwar mehr Frauen einer bezahlten Arbeit nachgingen, dann aber überwiegend in Teilzeit oder im Niedriglohnsektor. Daraus ließe sich ableiten, dass weiter an der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf gearbeitet werden müsse. "Wenn Frauen und Männer, die Kinder haben und arbeiten wollen aber nicht können, dann ist das falsch", sagte Habeck.

Kritik aus der Union Der Opposition reichten die erhofften Wachstumsraten nicht. Zwar sei die wirtschaftliche Lage nicht so schlimm wie erwartet, "aber weniger schlimm ist immer noch schlimm und noch nicht gut", sagte Jens Spahn (CDU) für seine Fraktion in der Debatte. Die Union habe schon vor Ausbruch des Krieges vor einer steigenden Inflation gewarnt. Diese einzudämmen, sei nun die größte sozialpolitische Aufgabe der Bundesregierung. Die Inflation sei "Raub am kleinen Mann" und bringe den Wohlstand in Gefahr. Die Regierung müsse sich deshalb jetzt "ohne Wenn und Aber" zur Wachstumspolitik bekennen. "Wachstum ist nicht alles, aber ohne Wachstum ist alles nichts", so Spahn.

Keinen Unterschied zum vorherigen Jahreswirtschaftsbericht sah die AfD. Deren Abgeordneter Leif-Erik Holm sagte in Richtung des Wirtschaftsministers. "Sie servieren uns die selbe Transformationssoße wie im letzten Jahr, aber was tun Sie gegen die Inflation? Nichts!" Es müsse nun dringend gehandelt werden, um die Konzerne der Automobil- und Chemie-Industrie an ihren Standorten zu halten. "Wenn die erstmal aus Deutschland raus sind, kommen sie so schnell nicht wieder."

"Viel Schönfärberei" sah die Fraktion Die Linke laut ihrer Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali in dem Bericht. Das momentan etwas entspanntere Verhältnis an den Energiemärkten hätte nichts mit der Politik der Bundesregierung zu tun, sondern mit einer gesunkenen Nachfrage. "Ankündigungen wurden genug ausgesprochen, nun müssen auch Taten folgen", sagte die Linke in Habecks Richtung.

Lob aus der Koalition Neben der Abgeordneten Sandra Detzer (Grüne), die für ihre Fraktion den Parteikollegen Habeck in den höchsten Tönen lobte ("Danke für diese enorme Leistung!") und das unerwartete Plus als "kleine Sensation" bezeichnete, zeigten sich auch die Rednerinnen und Redner der Koalitionspartner zufrieden mit der Arbeit des Hauses Habeck. Verena Hubertz (SPD) forderte, nach der erfolgreiche Überwindung der Krise nicht stillzustehen, "sondern nach vorne zu blicken."

In den vergangenen Monaten war jedoch wiederholt deutlich geworden, dass Liberale und Grüne besonders in Sachen Wirtschafts- und Energiepolitik unterschiedlicher Meinung sind. Und so forderte der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP, Reinhard Houben, den Unternehmen im Moment keine Verordnungen wie das Lieferkettengesetz "aufzubürden": Das seien alles sicherlich hehre Ziele. "Aber ist es jetzt an der Zeit, sie umzusetzen?", fragte Houben.

Aus Politik und Zeitgeschichte

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