Endlich ist ein gutes Buch erschienen, das die Entstehung und Entwicklung der sogenannten "Cancel Culture" und ihrer vermeintlichen Gefahr für die liberale Demokratie beschreibt und analysiert. Der in Köln geborene Literaturwissenschaftler Adrian Daub lehrt zurzeit an der kalifornischen Stanford University, einem Ausgangspunkt der Cancel Culture. Daub legt dar, wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump den in den Tiefen des Internets verborgenen "Hashtag Cancel Culture" zu einem Wahlkampftschlager erkor und zu einem der gefährlichsten Feindbilder für die Demokratie stilisierte. So agierte auch Russlands Präsident Wladimir Putin, der vor dem Angriff auf die Ukraine von einer westlichen "Stornierungskultur" fabulierte. Diese Gespenster, die angeblich die Meinungsfreiheit bedrohen, nutzen Rechten und Ultra-Konservativen genauso wie Autokraten und Diktatoren, die die Moderne durch eine Verkehrung der Verhältnisse rückgängig zu machen suchen.
Daub gelingt es, die Cancel Culture als ein uraltes Phänomen des politischen und ideologischen Diskurses bis zu Karl Marx zurückzuverfolgen. Es handele sich "um eine Neubeschreibung altbekannter Ängste, um eingeübte diskusive Kniffe". Es gehe darum, wie wir in unsicheren Zeiten einer globalisierten und digitalisierten Welt mit den aktuellen Herausforderungen umgehen.
Für Daub steht nicht die Furcht vor einer Cancel Culture in den USA im Vordergrund, sondern die Frage, wie die Europäer mit dieser Furcht umgehen. Der Wissenschaftler kritisiert, wie die Medien hierzulande über den US-Diskurs berichten. Ohne die anekdotischen Erzählungen und Stichworte aus den USA gebe es die europäische Variante dieser Debatte überhaupt nicht. Und je länger sie andauere, desto mehr erweise sie sich "als Neuauflage des Diskurses um Political Correctness". Das herausragende Buch von Adrian Daub ist jedem Politikinteressierten zu empfehlen.
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