2 THEMA DER WOCHE INTERVIEW MIT SARA NANNI Das Parlament | Nr. 24-26 | 07. Juni 2025 »Wir dürfen keine Zeit verlieren« Auch das größte Entgegenkommen wird US-Präsident Donald Trump nicht zu einem verlässlichen Partner machen, meint die Sicherheitspoliti- kerin der Grünen. Europa müsse seine Sicherheit schnellstmöglich selbst organisieren und dafür mehr Geld ausgeben Frau Nanni, in seiner zweiten Amtszeit geht US-Präsident Donald Trump noch stärker auf Konfrontati- onskurs mit Europa. Er stellt den mi- litärischen Schutz des Kontinents in- frage, betreibt eine aggressive Han- delspolitik und nimmt im Ukraine- Krieg russische Positionen ein. Sind die transatlantischen Beziehungen noch zu retten? Schon, denn die transatlantischen Beziehungen betreffen ja nicht nur die Regierungen, sondern auch ande- re Kontakte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Und die sind sehr trag- fähig. Aber natürlich werden die Be- ziehungen zur Regierung aktuell auf eine sehr harte Probe gestellt wegen der Art und Weise, wie Trump sein Amt ausfüllt. Zwar haben die USA schon immer in erster Linie ihre eige- nen Interessen durchgesetzt, das ist nicht neu und wurde in Europa häu- fig etwas romantisch verklärt. Neu ist aber, dass es auf Seiten der US-Admi- nistration keine Verlässlichkeit mehr gibt, weder in der Handelspolitik noch in Fragen der europäischen Si- cherheit. Wie geht man mit einem solchen Partner am besten um? Ist es richtig, dass sich Bundeskanzler Friedrich Merz bei seinem Antrittsbesuch in Washington öffentlich zurückhielt mit Kritik, nichts sagte, etwa zu Trumps Einwanderungspolitik, dem Entzug von Fördergeldern für miss- liebige Universitäten oder den An- griffen der Regierung auf die Justiz? Ich halte nichts von dieser Be- schwichtigungspolitik. Wir müssen – auch im eigenen Interesse – die Kräfte in den USA unterstützen, die sich für Demokratie, Rechtsstaatlich- keit und Marktwirtschaft einsetzen, und die Angriffe auf Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung klar adressie- ren. Abgesehen davon haben sich die US-Amerikaner noch nie um den Finger wickeln lassen, nur weil wir ih- nen nach dem Mund reden. Europa braucht die USA – als größten Handelspartner, Ukraine- Unterstützer und nicht zuletzt als Schutzmacht. Ist da nicht nachvoll- ziehbar, dass niemand Trump, der bekanntermaßen sehr empfindlich auf Kritik reagiert, verprellen will? Ich denke, keine noch so zurück- haltende Politik kann die Volatilität in der aktuellen US-amerikanischen Po- litik beenden. Wir haben keine Karot- te, die wir Trump vor die Nase halten können, damit er immer in die glei- che Richtung läuft. Wer in diesem Bild denkt, muss scheitern. Unter Trump fahren die USA gera- de ihre finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine zu- rück und blockieren neue Russland- Sanktionen. Dem Treffen der von ihr initiierten Ukraine-Kontaktgruppe, in der mehr als 50 Nationen über Mi- litärhilfen beraten, blieben sie diese Woche erstmals fern. Ist das der An- fang des von Trump angedrohten Rückzugs aus Europa? Es gibt in den USA die klare Tendenz, die Ukraine im Zweifelsfall vor den Bus zu werfen. Trump bezieht sie er- kennbar – und anders als sein Vor- gänger Joe Biden – nicht mehr in das Sicherheitsversprechen der USA ein. Gleichzeitig gibt es hoffnungsvolle Signale aus Washington, dass sich die USA weiterhin zur europäischen Si- cherheit bekennen. Trump hat ja nicht gesagt: Wir verteidigen Euch nicht, wenn Russland angreift. Er hat gesagt, dass wir mehr für unsere eige- ne Verteidigung tun müssen. Und das ist grundsätzlich eine richtige Analy- se. Das Problem ist nur: Wir wissen in der Ära Trump nicht, wie sich die USA im Ernstfall verhalten werden. Das erfahren wir erst in der Sekunde, in der es passiert. Forderung Die Nato-Staaten stellen sich of- fenbar auf das Worst-Case-Szenario ein. Sie wollen auf ihrem Gipfel übernächste Woche in Den Haag ein beispielloses Aufrüstungs- und Ab- schreckungsprogramm mit deutlich höheren Verteidigungsausgaben be- schließen. Die von Trump, die nationalen Etats von zwei auf fünf Prozent des jeweiligen Bruttosozialprodukts zu erhöhen – im Bündnis noch vor wenigen Mo- naten als „irre“ abgetan – wird plötz- lich ernsthaft diskutiert, auch von der Bundesregierung. Ist das der Preis, den Europa zahlen muss? Die Mitglieder der Allianz haben den militärischen Teil der Nato, der zu- ständig ist für die kollektive Sicher- Deutschland soll auch seine Trup- pen aufstocken. Verteidigungsmi- nister Boris Pistorius (SPD) geht von 50.000 bis 60.000 zusätzlichen Soldatinnen und Soldaten aus. Kann die Bundeswehr das ohne Wiederauflage der Wehrpflicht stemmen? Ein verpflichtender Wehrdienst wür- de nicht zu einem schnellen Auf- wuchs beitragen. Denn bis die Solda- tinnen und Soldaten nach dem Grundwehrdienst ausgebildet sind, dass sie in den hochtechnologi- sierten und -spezialisierten Streit- kräften dienen können, dauert es fünf bis zehn Jahre. Ich fürchte, dass wir diese Zeit nicht haben. Deswegen müssen wir schon vorhandenes Per- sonal in der Truppe halten, neues ge- zielt anwerben und ehemalige Kräfte über die Reserve zurückholen. Ich bin überzeugt, dass dafür im Verteidi- gungsministerium noch nicht alle Register gezogen wurden. so Tut die Bundesregierung insge- samt genug, um Deutschland auf die neuen sicherheitspolitischen Anfor- derungen vorzubereiten? Nein. In ihrem Ende Mai vorgestell- ten „Sofortprogramm“ kommt das Wort Bundeswehr nur einmal vor, von Sicherheitspolitik oder höheren Investitionen in die europäische Rüs- tungsindustrie ist keine Rede. Wichti- ge Gesetze zur Planung von Personal und Fähigkeiten bei der Bundeswehr hat die Koalition bisher ebenso wenig vorgelegt wie ein Konzept zur zivilen Verteidigung, etwa im Fall eines An- griffs auf unser Stromnetz. Die von Merz noch vor der Wahl geforderte Lieferung von reichweitenstarken Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ist auch kein Thema mehr. Damit wird die Regierung der großen geopolitischen Umbruchsituation nicht gerecht. Die Unsicherheiten in Bezug auf die USA sind eine Zäsur für Europa, da dürfen wir keine Zeit ver- lieren, sondern müssen jetzt alle Res- sourcen mobilisieren – zu unserem Schutz und dem der Ukraine. Das Interview führte Johanna Metz T Sara Nanni (Bündnis 90/Die Grünen) sitzt seit 2021 im Bundestag und ist sicherheits- politische Sprecherin ihrer Fraktion. Grünen-Politikerin Sara Nanni © Anne Hufnagl heit, schon kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 beauftragt, einen Plan für die Vertei- digung der europäischen Ostflanke vorzulegen. Der ist nun da und es kommt ein Preisschild dran. Die fünf Prozent sind erst mal nur eine politi- sche Zahl, die Trump in den Raum geworfen hat. Ich denke eher, dass sich die Staaten auf drei bis vier Pro- zent einigen werden. Denn die Quote sollte sich auf konkrete Planungen und notwendige Fähigkeiten stützen, nicht auf Symbolik. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich dafür in Den Haag einsetzt. Nato-Generalsekretär Mark Rutte hat als Kompromiss vorgeschlagen, 3,5 Prozent für Verteidigung im en- gen Sinne auszugeben und 1,5 Pro- zent für weitere sicherheitsrelevante Maßnahmen, etwa für militärische Mobilität, den Schutz der kritischen Infrastruktur und Cybersicherheit. Das wäre neu für die Nato, denn bis- her haben sich die Bündnispartner selbst um die letztgenannten The- men gekümmert, und die Nato hat dazu keine Vorgaben gemacht. Die Richtung aber stimmt. Dem Gipfel ging ein strukturierter Abstimmungs- prozess voraus, der sich an der kon- kreten Bedrohungslage im Osten ori- entiert hat. Wenn wir einen russi- schen Angriff nicht ausschließen können, müssen wir uns darauf vor- bereiten. PARLAMENTARISCHES PROFIL Die Besonnene: Gabriela Heinrich Für eine, die nach guter Berliner Art von ihren Eltern vorgelebt be- kommen hat, dass man generell besser auf dem Teppich bleibt, hat Gabriela Heinrich gerade viel um die Ohren. „Zu Beginn einer Legislatur ist immer eine Menge los“, sagt sie am Telefon. Die 62-Jährige ruft von irgendwo aus dem Reichstagsgebäude an; gleich muss sie in den Plenarsaal in eine Aktuelle Stunde. Und dennoch schenkt sie ei- nem das Gefühl, jetzt ganz da zu sein, in aller Ruhe. Eben auf einem ge- mütlichen Teppich. Noch ruckeln sich die Fraktionen zusammen, sind nicht alle Ämter ge- wählt. „Ich werde vor allem zu afrikanischen Ländern arbeiten“, skiz- ziert die SPD-Abgeordnete ihren Plan. Aber auch zu Zentralasien und strukturell zur Frauenpolitik, so die menschenrechtspolitische Spre- cherin ihrer Fraktion; Heinrich sitzt ebenfalls im Auswärtigen Aus- schuss. „Gestern berieten wir im Menschenrechtsausschuss die huma- nitäre Lage in Gaza“, sagt sie. „Jetzt ist keine Zeit mehr. Es muss so viel Hilfe rein wie möglich, auch über die offensichtlich überforderte Stiftung und jene Organisationen, die vorher dort tätig waren.“ Haben sie die kritischen Worte von Kanzler Friedrich Merz und Außenminister Johann Wadepfuhl überrascht? „Ich fand gut, was sie sagten“, antwor- tet Heinrich. Ob damit eine Neuausrichtung der deutschen Nahostpo- litik verbunden sei, wisse man noch nicht. Hatte die Vorgängerregie- rung etwas versäumt? „Nein, jetzt hat es sich massiv aufgebaut.“ Den- noch bleibe, setzt sie fort, die Freundschaft zum israelischen Staat und die Garantie seiner Sicherheit – mit dem Festhalten an der Zwei- Staaten-Lösung. „Wenn es das nicht gibt, werden immer wieder krie- gerische Auseinandersetzungen die Folge sein.“ Seit 2013 ist sie Bundestagsabgeordnete. Geboren und aufgewachsen in West-Berlin, studierte sie dort an der FU und an der TU Slawistik, Litera- turwissenschaft und Medienberatung, wurde Diplom-Medienberaterin. Es gilt, den Aspekt der Menschen- rechte überall dort reinzubringen, wo es nötig ist. GABRIELA HEINRICH © SPD-Fraktion/Photothek Media Lab 1990 zog sie nach Nürnberg, „der Liebe wegen, mein Mann lebte dort“. Heinrich arbeitete in einem Verlag für Berufsbildung und als Redakteurin bei einem Softwareunternehmen, „Zeiten der Arbeitslosigkeit kannte ich auch“. In der Frankenstadt dann der Eintritt in die SPD. „In meinem El- ternhaus wurde mir das Interesse an Politik nicht in die Wiege gelegt“, er- innert sie sich. „Ich war die Erste in der Familie, die Abitur machte und studierte.“ Doch die Mutter, bei Karstadt beschäftigt, und der Vater, ein Maurer, der zum Bauleiter aufstieg, ließen sie immer machen. „Sie waren überzeugt, dass ich mein Ding schon machen würde. Dieses Vertrauen un- terstützte mich sehr.“ In der Schule waren ihre Lieblingsfächer Geschichte und Politische Weltkunde. Und warum dann die SPD? „Einerseits lockte das Wissen um die große Historie der SPD, und andererseits war und ist sie für mich die Partei der Emanzipation, und zwar von Frauen, Arbeitern und Zugewanderten“. So engagierte sich Heinrich zwischen 2002 und 2013 als Stadträtin in Nürn- berg und war viele Jahre Vorsitzende von „pro familia“ in Nürnberg. Nun, als Bundestagsabgeordnete, lebt sie in zwei Heimaten. Anfang der Neunziger habe sie in Franken schon zuweilen die Unübersichtlichkeit der Spreemetropole vermisst, das Grün in der Stadt. „Aber ich wurde dann schnell heimisch, mit der tollen Lebensqualität in Nürnberg.“ In den Sitzungswochen wohnt sie also in ihrer alten Heimat Steglitz. „Ich erken- ne viel wieder von früher.“ Und ein Auf und Ab, das sei für Berlin wohl ty- pisch. Zum Beispiel der Savignyplatz, wo sie früher in einer Kneipe kell- nerte: „Nach dem Mauerfall ging es für ihn erst mal runter, dann kam ein Aufstieg. Jetzt denke ich, dass es wieder in die andere Richtung geht.“ Als menschenrechtspolitische Sprecherin wird Heinrich ihr Augen- merk auf die vielen Querschnittsthemen legen, die man in diesem Amt beackert. „Es gilt, den Aspekt der Menschenrechte überall dort reinzu- bringen, wo es nötig ist.“ Die Frage, die sie sich dauernd stelle: „Wo kann man unterstützen?“ Dann geht es für sie schon weiter, an diesem Donnerstagmittag. Jan Rübel T