Das Parlament | Nr. 27-28 | 28. Juni 2025 EUROPA UND DIE WELT 11 Interview zur Lage im Iran »Dieser Krieg hat die Falken gestärkt« Die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur sieht die Gefahr einer iranischen Atombombe nicht gebannt Frau Amirpur, auch Tage nach den Angriffen der USA und Israels auf iranische Atomanlagen bleibt das Ausmaß der Schäden unklar. Hat der Krieg überhaupt mehr Sicherheit für die Region gebracht? Das denke ich nicht. Zum einen hat das iranische Parlament in einem ersten Schritt entschieden, dass Iran aus dem Vertrag über die Nichtver- breitung von Kernwaffen aussteigen möchte. Allerdings ist das Parlament nicht die letzte Instanz, die darüber zu entscheiden hat. Das Regime hat außerdem die Inspektionen der Anla- gen durch die Internationale Atom- energie-Organisation (IAEA) suspen- diert. Die Möglichkeiten zur Überwa- chung sind damit schlechter als vor- her. Denkbar ist, dass das Regime nun erst recht motiviert ist, eine Bombe zu bauen. Es hat die Erfah- rung gemacht: Ein Staat, der keine Atomwaffen hat, wird angegriffen, so wie damals schon der Irak unter Sad- dam Hussein. Wer wie Nordkorea Atomwaffen besitzt, bleibt verschont. Es heißt, die USA wollten nächste Woche wieder mit Iran über das Atomprogramm verhandeln. Warum sollte das Regime daran jetzt Interes- se haben? Das kann man sich fragen, in der Tat. Zum einen hat sich Trump die Maxi- malforderung von Israels Premier Benjamin Netanjahu zu eigen ge- macht, wonach Iran auf jedwede Atomtechnologie verzichten soll. Da- nach wäre ihm auch die im Nichtver- breitungsvertrag erlaubte Uran-An- reicherung auf drei Prozent unter- sagt. Darauf wird sich das Regime nicht einlassen. Der Krieg hat außer- dem die Position der Falken in Tehe- ran gestärkt. Die Hardliner haben schon immer gesagt: Mit den USA re- den wir nicht, die halten sich nicht an Vereinbarungen. Das hat sich 2018 bestätigt, als die USA aus dem Atom- abkommen ausgetreten sind, und Katajun Amirpur © Georg Lukas jetzt wieder. Wenige Tage vor den An- griffen hat Trump den Iranern noch eine Bedenkzeit von zwei Wochen eingeräumt – kurz darauf haben die Amerikaner bunkerbrechende Bom- ben auf ihre Atomanlagen geworfen. Könnten die Europäer Iran zurück an den Verhandlungstisch bringen? Die EU wird im Iran nicht mehr als ernstzunehmender Akteur wahrge- nommen, weil sie weder Einfluss auf Trump noch auf Netanjahu hat. Auch wirtschaftlich kann Europa Iran nichts anbieten ohne die USA. Die Europäer können also gar nichts tun? Doch, sie könnten tun, was die Zivil- gesellschaft schon lange fordert: die Protestbewegung unterstützen. Aus Angst, die Atomverhandlungen zu gefährden, haben die Europäer, hat auch die Bundesregierung, sie im Stich gelassen und lediglich Lippen- bekenntnisse abgegeben. Aber die Aktivisten brauchen konkrete Hilfe – Geld und VPNs, also virtuelle, nicht-öffentliche Netzwerke, denn bisher können sie untereinander nicht kommunizieren, weil ständig das Internet abgeschaltet wird oder Seiten nicht erreichbar sind. Es bräuchte auch Lösungen, um Über- weisungen in den Iran zu ermögli- chen, der nicht an das internationale Bankensystem angeschlossen ist. Das Regime könnte nun erst recht motiviert sein, eine Bombe zu bauen. KATAJUN AMIRPUR Besteht nicht die Gefahr, dass die Zivilbevölkerung bei neuen Ver- handlungen wieder das Nachsehen hat, wenn Iran zu Zugeständnissen bewegt werden soll? Die Menschen sind mit oder ohne Verhandlungen in einer noch gefähr- licheren Situation als vor dem Krieg. Die Repressionen haben noch mal zugenommen. Netanjahu hat in sei- ner ersten Fernsehansprache gesagt, die Angriffe richteten sich nicht ge- gen die Bevölkerung, sondern gegen das Regime, Israel unterstütze die Forderung nach einem Regimewech- sel. Damit hat er Teheran eine Steil- vorlage geliefert, die Protestbewe- gung als fünfte Kolonne des Feindes, als Israels Spion, zu denunzieren. Die Folge sind landesweite Verhaftungen und Hinrichtungen. Von einem Regimewechsel in Tehe- ran, von dem auch Trump anfangs sprach, ist nun keine Rede mehr. Den kann man auch nicht herbei- bomben, den müssen die Iraner selbst herbeiführen. Das hat zum Beispiel die iranische Friedensnobel- preisträgerin Nargess Mohammadi gesagt. Die Iraner wollen Demokra- tie, 80 Prozent sind gegen das Re- gime. Die Hoffnung ist, dass diese Mehrheit sich langfristig durchsetzen kann. Aber wenn man das Land in Schutt und Asche legt, geht das nicht. Die Zivilbevölkerung ist jetzt noch stärker geschwächt, die Repression hat weiter zugenommen. Hinzu kommt die schwierige wirtschaftliche Situation. 40 Prozent der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Und innerhalb des Regimes haben sich jetzt die Reihen durch den Krieg wieder fester geschlossen. Es wird al- les aufbieten, um an der Macht zu bleiben. Sie haben Freunde und Familie im Iran. Wie geht es ihnen aktuell? Ich habe meine Familie noch nicht sprechen können, denn das Regime hat lange das Internet abgeschaltet. Mehr als fragen, ob sie in Sicherheit sind, würde ich meine Leute auch nicht, denn wer im Iran mit Auslän- dern und ausländischen Medien re- det, ist in Gefahr. Den Postings in den Sozialen Medien entnehme ich aber, dass in der Bevölkerung Angst und Panik herrscht vor der Rache des Re- gimes. Die Menschen beklagen, dass jetzt nicht nur das Regime ihr Gegner ist, sondern auch noch Israel und die USA. Sie fürchten, zwischen diesen Mächten zerrieben zu werden. Das Gespräch führte Johanna Metz. T Die Deutsch-Iranerin Katajun Amirpur ist Professorin für Islamwissenschaften an der Universität Köln. Irans früherer Präsident Mahmud Ahmadinedschad 2007 beim Besuch der Atomanlage in Natans. Unter der Führung des Hardliners baute die Is- lamische Republik ihr Atomprogramm aus. © picture-alliance/dpa/Iran’s Presidency Office/Hando Jüngste Eskalation im Atomkonflikt Der lange Streit mit Iran Seit mehr als 20 Jahren gibt es immer wieder Bemühungen, Irans Atomprogramm zu begrenzen. Dieses reicht bis in die 1950er Jahre zurück. Es waren Marschflugkörper im Einsatz, aber auch erst- malig 14 der schwersten bunkerbrechenden Bomben im Arsenal des US-Militärs, abge- worfen von sieben Tarnkappenbom- bern: In der Nacht auf den vergange- nen Sonntag attackierten die USA die drei wichtigen iranischen Atom- anlagen in Fordo, Natans und Isfa- han südlich der Hauptstadt Teheran. Damit hat US-Präsident Donald Trump nicht nur in den jüngsten Konflikt zwischen Israel und Iran eingegriffen, sondern auch den seit langem schwelenden Streit um das iranische Atomprogramm militä- risch eskaliert. Während Iran seit Jahren erklärt, Nukleartechnologie nur für zivile Zwecke nutzen zu wol- len, nahmen die USA und Israel zu- letzt an, dass das westasiatische Land der Entwicklung von Atomwaf- fen gefährlich nahegekommen sei. Iran hat sein Atomprogramm zuletzt erheblich ausgebaut Das iranische Atomprogramm, das immer wieder für Streit sorgt, reicht bis in die 1950er Jahre zurück. Und es waren sogar die USA, die dafür die Grundlage schufen. Dem damaligen iranischen Machthaber, Schah Mo- hammed Reza Mahlavi, schenkten die Vereinigten Staaten im Rahmen des US-Programms „Atom für den Frie- den“, das die friedliche Nutzung der Kernenergie fördern sollte, 1959 den ersten von zwei Forschungsreaktoren. Doch die Islamische Revolution, die Ajatollah Ruhollah Chomeini 1979 an die Macht brachte, setzte dem guten Verhältnis des Irans zu den USA und ihren engsten Verbündeten ein Ende: Die von Chomeini gegründete Islami- sche Republik bedroht seither Israel und spricht dem Staat das Existenz- recht ab. Die USA brachen die diplo- matischen Beziehungen zum Iran in- folge der Besetzung der US-Botschaft und der Geiselnahme von mehr als 60 US-Staatsbürgern in Teheran 1979 ab und verhängten Sanktionen – die auch das Atomprogramm vorerst zum Erliegen brachten. 2002 wurden je- Tatsächlich hat Iran sein Atompro- gramm in den vergangenen sechs Jahren stark ausgebaut und reichert laut der Internationalen Atomener- giebehörde (IAEA) das radioaktive Schwermetall Uran auf bis zu 60 Pro- zent an. Damit ist er der einzige Un- terzeichner-Staat des Atomwaffen- sperrvertrags (siehe Kasten), der Nu- klearmaterial in diesem Ausmaß her- stellt. Ein Umstand, der beunruhigt: Dass der Iran über auf 60 Prozent an- gereichertes Uran verfüge, ermögli- che es, sehr schnell auch Uran mit ei- nem Anreicherungsgrad von über 90 Prozent herzustellen, den es für den Bau brauche, schreibt die Politikwissenschaftlerin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik in einem im Mai erschienenen Paper. „Binnen we- niger Tage“ sei Iran in der Lage, genü- gend Material für den Bau einer Atombombe zu produzieren. Atomwaffen von SPERRVERTRAG > Ziel: Der Vertrag über die Nicht- verbreitung von Kernwaffen (NVV), auch Atomwaffensperrvertrag ge- nannt, verpflichtet Atommächte zur nuklearen Abrüstung und Nichtkernwaffenstaaten zum Ver- zicht auf Atomwaffen. > Unterzeichner: Der 1968 von den Atommächten USA, Großbri- tannien und der Sowjetunion un- terzeichnete NVV trat 1970 in Kraft. Der Iran trat im gleichen Jahr bei, Deutschland 1975. Bis jetzt haben 191 Staaten unterzeichnet. Nicht dabei sind Indien, Israel, Pakistan, Südsudan und Nordkorea. Großbritannien doch geheime Atomanlagen in Na- tans entdeckt. Die Sorge wuchs, dass der Iran an Atomwaffen arbeiten könnte. und Frankreich, initiierten Deutschland, kurz „E3“, daraufhin 2003 Atomgespräche, in deren Folge Iran die Urananreiche- rung aussetzte. Doch die Kehrtwende folgte bereits 2006 unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der diese wieder aufnahm. 2015 führten Verhandlungen zu internationalem Atomabkommen Erst gut zehn Jahre später gelang es durch neue diplomatische Bemühun- gen, Irans Atomprogramm zu begren- zen: Mit der Unterzeichnung der so- genannten Wiener Nuklearerklärung 2015 durch Deutschland, Frankreich, Großbritannien, USA, Russland, Chi- na und Iran verpflichtete sich der Iran im Rahmen eines internationalen Ab- kommens, seine nuklearen Aktivitäten herunterzufahren. Im Gegenzug wur- den Sanktionen aufgehoben. Aller- dings hielt auch dieser diplomatische Erfolg nur kurz: 2018 stiegen die USA unter Trump aus der Vereinbarung aus. Ein Jahr später kündigte der Iran an, nicht mehr alle Regeln einhalten zu wollen. Angesichts des drohenden Auslau- fens der UN-Resolution im Oktober 2025, die das Atomabkommen völ- kerrechtlich verbindlich macht, star- teten die E3 im vergangenen Novem- ber neue Atomgespräche, in die auch die USA im April eintraten. Das ver- sprach neue Bewegung im festgefah- renen Atomstreit. Nach den israeli- schen Angriffen auf den Iran Mitte Juni lagen die Gespräche aber auf Eis. Bundesaußenminister Johann Wade- phul (CDU) hatte sich noch mit sei- nen Kollegen aus Frankreich und Großbritannien um eine Rückkehr an den Verhandlungstisch bemüht, als die USA begannen, iranische Atom- anlagen zu bombardieren. sas/dpa T