2 HAUSHALT 2025 Das Parlament | Nr. 29-31 | 12. Juli 2025 INTERVIEW MIT ULRIKE SCHIELKE-ZIESING »Müssen extrem konsolidieren« Die AfD-Haushaltspolitikerin Ulrike Schielke-Ziesing kritisiert die hohe Neuverschuldung und warnt vor steigenden Sozialausgaben. Reformbe- darf sieht die Abgeordnete unter anderem bei den Ausgaben für Bürgergeldempfänger Frau Schielke-Ziesing, Ihre Fraktion kritisiert am vorliegenden Haushalts- entwurf vor allem das Ausmaß der Neuverschuldung. Nun ist kaum zu be- streiten, dass ein erheblicher Teil der Infrastruktur in Deutschland marode ist, und auch Ihre Fraktion beklagt, dass die Bundeswehr unzureichend ausgestattet ist. Ist also diese Verschul- dung nicht unausweichlich, sofern man nicht die Steuern massiv erhöhen will? Das ist nicht unausweichlich. Man kann am Entwurf sehen, dass in vielen Posi- tionen gespart werden kann. Die Koaliti- onsparteien sind viele Jahre an der Re- gierung gewesen. Es hätte sehr viel ge- macht werden müssen, sie haben es ver- schlafen und wollen jetzt auf Hauruck über Schulden alles sanieren, um ein blühendes Deutschland hinzustellen. Aber was sind Ihre Alternativen, bei- spielsweise im besonders stark wach- senden Verteidigungshaushalt? Was passiert denn, wenn die Waffen- hersteller sehen, dass da auf einmal ganz viel Geld ist? Sie werden die Waf- fen dann bestimmt nicht billiger ma- chen, sondern die Preise werden in die Höhe schießen. Es ist doch ein völlig falsches Herangehen, zu sagen, wir ha- ben jetzt ganz viel Geld. Vielleicht sollte man erst mal eine Bestandsaufnahme machen, was wir brauchen, um Deutschland verteidigungsfähig zu ma- chen, und dann einkaufen. Denn sonst kann man seine Ziele nicht erreichen, sondern verschuldet sich enorm. Wie sieht es im Sozialhaushalt aus, für den Sie schwerpunktmäßig im Haushaltsausschuss zuständig sind? Der Haushaltsentwurf sieht für ver- schiedene sozialpolitische Leistungen, zum Beispiel Kindergeld und Kinder- zuschlag, eine Steigerung vor. Wir sehen Einsparmöglichkeiten auf je- den Fall beim Bürgergeld, da sind wir mittlerweile bei Ausgaben von 52 Milli- arden Euro. Der Kinderzuschlag hat sich wahnsinnig entwickelt in den letz- ten Jahren, auch, weil er erst nicht be- kannt war und dann Werbung gemacht wurde, dass Familien diesen Kinderzu- schlag auch beantragen. Wenn wir uns die Empfänger von Sozialleistungen an- gucken, ob das jetzt Bürgergeld ist oder der Kinderzuschlag, dann sehen wir, dass mehr als die Hälfte der Empfänger keine deutschen Staatsbürger sind. Da- ran muss auf jeden Fall etwas gemacht werden, denn wir können uns so einen Sozialstaat, wie er im Moment ist, in der nächsten Zeit nicht mehr leisten. Woran machen Sie das fest? Wenn wir uns die ganzen Ausgaben für die Sozialsysteme angucken, wenn wir sehen, dass drei von den vier großen Sozialkassen jetzt Kredite brauchen, dann läuft etwas richtig schief im Land. Und das kann man nicht mit Krediten ausgleichen, sondern man muss Refor- men in diesen Systemen starten. Bei der Krankenversicherung haben wir unter anderem Riesenkosten für die Bürgergeldempfänger, die nicht ausge- glichen werden. Das können wir uns als Sozialstaat nicht mehr leisten, alle ein- zubeziehen und darauf zu vertrauen, dass die Versichertengemeinschaft das dann schon auffängt. Im Sozialetat macht der Bundeszu- schuss für die Rentenversicherung den Löwenanteil aus, er ist der größte Ein- zelposten im Haushalt. Ist die Renten- versicherung ein Fass ohne Boden? Ein Fass ohne Boden ist sie nicht. Es werden nur immer mehr Leistungen aus diesem System Rentenversicherung bezahlt, für die vorher keine Beiträge geflossen sind, das nennt sich versiche- rungsfremde Leistungen. Da sind wir bei ungefähr 40 Milliarden Euro im Jahr, die eigentlich aus Steuermitteln ausgeglichen werden müssten. Bei- spielsweise wurde die Rente mit 63 ein- geführt, es sind aber keine zusätzlichen Steuermittel dafür in die Rentenkasse geflossen. Das ist immer eine schöne Sache, wenn Parteien kurz vor einer Wahl noch Geschenke verteilen wollen, die aber nicht auf ihre Kosten gehen. Daher ist die Rentenkasse sehr belastet auch durch diese versicherungsfrem- den Leistungen. Das wird gerne überse- hen, wenn von dem hohen Bundeszu- schuss gesprochen wird. Für das laufende Jahr zeichnet sich eine Milliardenlücke bei der Pflegever- sicherung ab, Fachpolitiker fordern, in den laufenden Etatberatungen hierfür noch zusätzliche Bundesmittel freizu- machen. Ist das denn überhaupt machbar? Wo sollen denn die Milliarden noch herkommen? Das können dann nur © AfD-Fraktion Kredite sein. Ansonsten bliebe nur eine Beitragssteigerung. Es steht ja im Raum, Beiträge zur Krankenver- sicherung zu erhöhen. Die Arbeits- losenversicherung hält sich auch nur mit Krediten über Wasser, nor- malerweise müssten da die Beiträge auch steigen. Die Beiträge zur Ren- tenversicherung ziehen auch an. Wir sind aber schon bei einer Sozialab- gabenquote von über 40 Prozent. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das dann so funktioniert, wie es normal sein müsste, dass dann die Beiträge erhöht werden. Und Kredite aufzu- nehmen, um so ein Sozialsystem zu stützen, hat auch keine Zukunft. Wie lange wollen wir das denn fortfüh- ren? Wie sehen Sie die längerfristige Ent- wicklung der Staatsfinanzen? Ich sehe das sehr kritisch. Wir haben jetzt Riesen-Sondervermögen, Riesen- Schulden, die aufgenommen werden, 850 Milliarden. Dadurch haben wir in den nächsten Jahren einen erheblichen Anstieg der Zinslasten. 2024 haben wir 37,5 Milliarden an Zinsen gezahlt, 2021 waren wir noch bei drei Milliarden. Wenn jetzt diese ganzen neuen Schul- den aufgenommen werden, sind wir danach bei 70 bis 80 Milliarden nur an Zinsen. Wenn wir ungefähr 450 Milliar- den Euro Einnahmen aus Steuern ha- ben und 70 bis 80 Milliarden nur für Zinsen dagegensetzen, dann ist das Wahnsinn. Und da kommt die Tilgung noch dazu. Das Sondervermögen Bun- deswehr muss abgebaut werden, die Coronahilfen. Das kommt alles in den Bundeshaushalt, das sind alles Positio- nen, die sind einfach weg. Das Geld können wir nicht mehr ausgeben. Da sehe ich ein großes Problem, dass wir uns so verschulden, dass wir auf lange Sicht nicht mehr auf einen grünen Zweig kommen können. Deshalb müs- sen wir im Bundeshaushalt extrem konsolidieren und schauen: Was kön- nen wir uns noch leisten als Staat, auch als Sozialstaat, und was nicht mehr. Da ist die Entwicklungshilfe ein Beispiel, wo wir genau hinschauen müssen, was sinnvoll ist und was nicht. Und auch in den Sozialsystemen sind die Ausgaben sehr genau zu überdenken. An Bürger- geldempfänger müssen wir ganz erheb- lich rangehen, weil das wahnsinnige Kosten sind. Nun geht der Haushalt über den Sommer in die Ausschussberatung. Sie waren von Ihrer Fraktion für den Aus- schussvorsitz nominiert, haben aber, wie auch Fraktionskollegen in anderen Ausschüssen, bei der Wahl keine Mehr- heit erhalten. Wie sehr belastet das Ihr Verhältnis zu den Ausschussmitglie- dern aus den anderen Fraktionen? Das belastet mein Verhältnis nicht. Das ist eine Wahl – entweder man ge- winnt oder man verliert. Ich werde normal weiterarbeiten und wahr- scheinlich irgendwann noch einmal antreten. Der Haushaltsausschuss ist ein bisschen anders aufgestellt als Fachausschüsse, die etwas ideologi- scher sind. Wir können sehr gut mitei- nander reden, und das hat sich auch nicht geändert. Lisa Paus ist jetzt als stellvertretende Vorsitzende gewählt – mit einer Stimme Mehrheit. Das war für sie, glaube ich, auch ein Schock. Ich gehe aber davon aus – auch wenn sie weiß, dass viele im Ausschuss sie nicht gewählt haben –, dass sie das jetzt trotzdem macht. Ich wünsche Li- sa Paus jedenfalls viel Glück und Durchhaltevermögen, denn das wird sie bestimmt brauchen mit dem dop- pelten Pensum dieses Jahr. Das Interview führte Peter Stützle. T Ulrike Schielke-Ziesing ist seit 2017 Mitglied des Bundestags. Sie vertritt den Wahlkreis 017 Mecklenburgische Seenplatte II – Landkreis Rostock III. PARLAMENTARISCHES PROFIL Der Kantige: Klaus-Peter Willsch Abgeordnete wie Klaus-Peter Willsch sind ein Journalistentraum: Sie liefern direkte Rede mit Erregungspotenzial, und in wenig Zeit sowie noch weniger Worten sagen sie viel. „Dass wir die Ver- teidigungsfähigkeit stützen“, bescheidet er knapp auf die Frage, was ihm am aktuellen Haushaltsentwurf der Bundesregierung gefalle. Und was am wenigsten? „Die Höhe des Bürgergeldes: Das müssten wir deutlich reduzieren für jene, die arbeiten können und nicht wollen.“ Es ist mittags, Willsch ist fürs Telefonat kurz aus dem Plenum gekom- men. Die Termine des CDU-Abgeordneten aus dem Hessischen sind heute eng getaktet. Moment, ist die Anzahl jener Bürgergeldempfänger, die wirklich nicht wollen, nicht verschwindend gering? „Dann müssen wir über die Zumutbarkeitskriterien reden“, antwortet er. „Da wird zu viel unterstellt, mit viel Luft nach oben: Da ist mehr Teilzeit für Alleiner- ziehende drin.“ Willsch, seit 1998 direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Rhein- gau-Taunus – Limburg, ist kein Freund langer Monologe, seine Stimme knarrt ein wenig, das verschafft erstmal Respekt, will aber niemanden vertreiben. „Es hätte mich gefreut, wenn die Strompreise für alle gesenkt worden wären“, sagt er, „aber dann hätte man ans Bürgergeld range- musst.“ Er ist ein Mann sehr klarer Antworten, manche sind sehr einfach. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil von der SPD? „Mit dem kann man re- den, er zeigt dem Haushaltsausschuss den nötigen Respekt.“ Die Mütter- rente? „Sie ist vereinbart, eine Geste für die Mütter.“ Verfochten hätte er sich für sie nicht, schiebt er nach. Eigentlich müsste ihn dieser Etatentwurf schmerzen. Schulden in Rekord- höhe, Ausgaben hier und da, aber Willsch beißt die Zähne aufeinander. Was er von den neuen politischen Schwerpunkten der schwarz-roten Ko- alition hält, umriss er bereits im März, noch vor der Vereidigung des Kabi- netts, in einem offenen Brief. Darin entschuldigte er sich dafür, nicht ge- Das Bürgergeld müssten wir deut- lich reduzieren für jene, die arbei- ten können und nicht wollen. KLAUS-PETER WILLSCH (CDU) © Tobias Koch gen die Grundgesetzänderung zu stimmen. „Ich wollte, dass mein Um- feld sieht, wie ich mich quäle.“ Es seien eben nicht genügend Kollegen bereit gewesen, dies zu verhindern. Willschs gelegentlicher Widerspruch bleibt nicht folgenlos – für ihn. Zwischen 2002 und 2013 saß er bereits im Haushaltsausschuss, zuletzt als Obmann. Doch weil er sich gegen die Euro-Rettungspolitik gestemmt hatte, verlor er diesen Platz; offenbar heilt die Zeit manche Wunden, nun ist der Hesse wieder drin. Würde er im Bundestag am liebsten andere Mehrheiten suchen? Er lacht kurz auf. Und sticht in Willscher Manier los: „Ich war immer für Schwarz- Gelb. Die Linken würden gerne ein Prozent der Reichen ‚erschießen‘ oder für ‚nützliche Arbeit einsetzen‘, die Grünen sind für die aktuelle Rezession verantwortlich, und in der AfD gibt es zwar viele, die aus der CDU kamen, aber solange die Partei nicht klar Schiff macht, ist mit ihr nichts drin“, sagt er mit Blick auf Ukraine, EU und Nato. „Die SPD hat wenigstens noch kommunale Verankerungen und dadurch mehr Realitätssinn.“ Der Sohn einer Bauernfamilie fiel politisch in der sechsten Schulklasse auf, da wurde er Klassensprecher, in der zehnten wählte man ihn zum Schulsprecher. Sein Elternhaus sei nicht politisch gewesen, „bis zum Be- ginn der sozialliberalen Koalition wählten meine Mutter und mein Vater FDP“, erinnert er sich. Als junger Erwachsener war Willsch mit der Lage konfrontiert, dass ein klassischer Hof wie der ihrige wächst oder weicht, es war die Zeit der Butterberge und Milchseen. Er studierte dann Volks- wirtschaft und Politik, ging für zwei Jahre zur Bundeswehr und danach zum Flughafen Frankfurt. Nebenher immer die Politik: seit 1978 in der Jungen Union, Gemeindevertretung, Kreistag – „20 Stunden in der Wo- che waren ehrenamtlich“, sagt er. Dann fragten ihn Kumpels, ob er in der Nachbargemeinde nicht als Bürgermeister kandidieren wolle. Er gewann und wurde Berufspolitiker. „Viele wissen im Bund nicht, was sie Kommu- nen zumuten“, umreißt er sein Motiv, in den Bundestag zu streben. „Da- mals erklärte mir mein Vorgänger noch, dass man Schmucktelegramme Jan Rübel T verschicken könne.“ Seitdem ist viel passiert.