Das Parlament | Nr. 32-35 | 02. August 2025 INFRASTRUKTUR 9 Dauerbaustelle Bürokratieabbau Was löst den Stau? Bürokratische Hürden hemmen den Bau von Straßen und Schienen. Wie es anders ginge, dafür haben Bauexperten viele Ideen W enn die Bundestagsab- geordneten ein Beispiel für ein schier endloses Verkehrsprojekt suchen wollen, werden sie ganz in der Nähe des Reichstagsgebäudes fündig. Dort baut die Deutsche Bahn seit Jahren an der unterirdischen S-Bahn-Linie S21, die den Nordbahnhof mit dem Berliner Hauptbahnhof verbinden soll. Die Planung für die nur wenige Kilometer lange Strecke geht auf das Jahr 1992 zurück und mit dem Bau begonnen wurde 2011. Doch bis heu- te verkehrt kein Zug auf der Linie – den zuletzt angekündigten Eröff- nungstermin im ersten Quartal die- ses Jahres hat die Bahn ohne Angabe eines neuen Datums abgesagt. Die S21 mag ein extremes Beispiel sein, doch auch viele andere Schie- nen- und Straßenbauprojekte bean- spruchen viel Zeit. „Vom Planungs- start bis zur Inbetriebnahme verge- hen bei Neu- und Ausbauprojekten der Schiene derzeit im Schnitt rund zwanzig Jahre“, stellt Felix Pakleppa fest, der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Bauge- werbe (ZDB). Beim Bau von Bundes- fernstraßen dauert es nach seinen Angaben meist mehr als zehn Jahre bis zur Fertigstellung, von denen et- wa 85 Prozent auf die Planung ent- fällt. „Der entscheidende Hebel für mehr Tempo“, sagt Pakleppa, „liegt also in schnelleren Planungs- und Genehmigungsverfahren.“ Mehrere Kommissionen machten Verbesserungsvorschläge Dabei ist es wie so oft: Das Problem ist bekannt, doch die Lösung schwie- rig. Bereits 2015 legte die Reform- kommission „Bau von Großprojek- ten“ ihren Endbericht vor, in dem sie einen Kulturwandel bei der Planung und Realisierung von Großprojekten forderte. 2022 folgte der Abschlussbe- richt der Beschleunigungskommissi- on Schiene mit der zentralen Emp- für kleinere und mittlere fehlung, Aufwändige Planungsverfahren verzögern häufig Infrastrukturprojekte. Im Bild sind Dutzende Aktenordner zum Planfeststellungsverfahren für den Fehmarnbelt-Tunnel zu sehen. Gegen dieses Verfahren reichten Umweltverbände im Jahr 2019 Klagen ein. © picture-alliance/dpa/ZB/Jan Woitas für Maßnahmen den Umfang der Ge- nehmigungsverfahren zu reduzieren. 2023 schlossen Bund und Länder ei- nen „Pakt für Planungs-, Genehmi- gungs- und Umsetzungsbeschleuni- gung“. Teil dieses Pakts ist das Ge- nehmigungsbeschleunigungsgesetz, das das Ziel verfolgt, Planungs- und Genehmigungsverfahren den Ausbau wichtiger Schienenstrecken und Straßenprojekte zu vereinfachen. So schreibt es für besonders wichtige Schienenprojekte einfachere Regeln beim Artenschutz fest. Tatsächlich habe das Gesetz Verbesse- rungen gebracht, sagt ZDB-Hauptge- schäftsführer Pakleppa und nennt als weiteres Beispiel dafür die Befreiung von der Planfeststellung bei Ersatz- neubauten von Brücken. Das reiche aber nicht aus. Wichtig wäre es, so Pa- kleppa, Planfeststellungsverfahren bei Ersatzneubauten zu streichen. Denn durch das aufwendige Verfahren ent- stünden Verzögerungen. „Im Einzelfall sollte das schnellere Plangenehmi- gungsverfahren genutzt werden“, for- dert er. Außerdem plädiert er für eine Stichtagsregelung bei Einsprüchen und eine Einschränkung des Ver- bandsklagerechts. Auch für Dirk Flege, den Geschäfts- führer der Allianz pro Schiene, reicht das Beschleunigungsgesetz nicht aus, um bei Planung und Umsetzung von Schienenprojekten einen Durch- bruch zu erzielen. Diese dauerten in Deutschland im internationalen Ver- gleich überdurchschnittlich lang, be- dauert er. Die Gründe: Zum einen fehle es fast immer an einer durchge- henden Finanzierung von der Pla- nung bis zur Umsetzung, was zu lan- gen Verzögerungen führe. „Zum an- deren“, führt Flege aus, „bremsen Doppelprüfungen, etwa bei Nutzen- Kosten-Untersuchungen, den Prozess zusätzlich“. Deshalb sei es positiv, dass im Koalitionsvertrag der Ver- zicht auf Nutzen-Kosten-Untersu- chungen bei Streckenelektrifizierun- gen angekündigt sei. Verbände fordern schnellere Genehmigungsverfahren Für viele Bauprojekte sehe es aber weiterhin ernüchternd aus, konsta- tiert Tim-Oliver Müller, Hauptge- schäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Zu oft seien Verfahren noch immer papier- basiert, was für alle Beteiligten Zeit- verlust bedeutet. Außerdem müssten Projekte meist mit Dutzenden Stellen abgestimmt werden, wobei jede Stel- le eigene Abläufe habe und keinen verbindlichen Fristen unterliege. Ein weiteres Problem, so Müller: „Einfa- Vergabeverfahren. unübersichtlichen che Ersatzbauten werden bürokra- tisch wie Großprojekte behandelt, was zu unnötigen Umweltprüfungen, langen Planfeststellungsverfahren und Abstim- mungsschleifen führt.“ Tim-Oliver Müller bezeichnet die bis- lang angestoßenen Reformen des- halb als „Leuchttürme“: Es gebe zwar Fortschritte in Einzelfällen, aber kei- ne breite „Straßenbeleuchtung“ für alle Projekte. Damit Bauvorhaben zu- künftig schneller realisiert würden, brauche es weitere Maßnahmen, da- runter eine konsequente Digitalisie- rung und Standardisierung aller Ver- fahren sowie klare Zuständigkeiten. „Für jedes Großprojekt“, fordert Mül- ler, „muss es eine zentrale Ansprech- stelle geben, die den gesamten Ablauf steuert, bündelt und koordiniert.“ Einen weiteren Ansatz zur Beschleu- nigung sehen die Interessenvertreter im Derzeit schreibt das Gesetz gegen Wettbe- werbsbeschränkungen vor, dass Pro- jekte der öffentlichen Hand grund- sätzlich in Fach- und Teillosen, also in kleineren Auftragseinheiten aufge- teilt nach Fachgebiet und Menge, ver- geben werden. Müller, dessen Bauin- dustrieverband die Interessen großer Baufirmen vertritt, plädiert dafür, von diesem Losaufteilungsgebot abzurü- cken und stattdessen auf Gesamtver- gaben zu setzen. Das würde es er- möglichen, Schnittstellen und Risi- ken zu reduzieren, Störungen im Bauablauf zu vermeiden und Innova- tionen in den Bau- und Planungspro- zess einziehen zu lassen. Ganz an- ders sieht das Felix Pakleppa, in des- sen Verband mittelständische Unter- nehmen organisiert sind. Er fordert, vom Grundsatz der Fach- und Teillo- se nicht abzuweichen. „Will man die immensen Bauaufgaben der kom- menden Jahre bewältigen“, argumen- tiert er, „gelingt das nur, wenn man die vielen tausend mittelständischen Unternehmen durch eine mittel- standsgerechte Auftragsvergabe ein- Christian Hunziker T bezieht. Interview mit Haushaltspolitiker Florian Oßner (CSU) »Kein großer Geldsack im Keller des Reichstages« Der Christsoziale will dafür sorgen, dass die Mittel aus dem Sondervermögen in Straßen und Schienen fließen und nicht für konsumtive Zwecke missbraucht werden Das und Infrastruktur-Sondervermögen soll einen erheblichen Beitrag zur Mo- dernisierung in Deutschland leisten. Der Bundesrat und Kommunen klagen jedoch über umfassende Berichtspflich- ten und Bewirtschaftungsvorgaben. Sind die Regelungen zu bürokratisch ge- staltet? Insgesamt hat das Sondervermögen für Infrastruktur Klimaneutralität (SVIK) ein Gesamtvolumen von 500 Mil- liarden Euro, wovon 300 Milliarden vom Bund bewirtschaftet werden und jeweils 100 Milliarden in den Klima- und Trans- formationsfonds sowie an die Länder fließen. Unser Ziel ist dabei, dass diese frischen Mittel das Gebot der „Zusätz- lichkeit“ erfüllen, also als zusätzliche In- vestitionen in unser Land dienen und nicht für konsumtive Zwecke miss- braucht werden. Um das zu gewährleis- ten, sind zwar Vorgaben notwendig, die- se sollten aber so praxisgerecht wie möglich ausgestaltet sein. Da sind wir sehr gesprächsbereit. Gibt es genug Kapazitäten in den Ver- waltungen vor Ort, um die Mittel aus dem Sondervermögen zügig und sinn- voll umzusetzen? In der Tat ist Personalmangel ein flä- chendeckendes Problem. Deshalb müs- sen wir alles daranlegen, es so unbüro- kratisch wie möglich zu gestalten. Es aber nicht zu tun, würde nur die Proble- matik in die Zukunft verlagern und wäre deshalb keine Lösung. welt- und Klimaschutz wesentlich mehr als konstruierte, wohlklingende eigene Programme, die am Ende verpuffen. Das Sondervermögen ist an Zielvor- gaben geknüpft. Investiert werden kann in die Infrastruktur in den Bereichen Bevölkerungsschutz, Verkehr, Kranken- haus und Pflege, Energie, Bildung, Be- treuung, Wissenschaft, Forschung und Digitalisierung. Gibt es Priorisierun- gen, zum Beispiel Klimaschutz vor Ver- kehr? Um den Namen „Sondervermögen für Infrastruktur“ auch wirklich zu verdie- nen, sollte es prioritär auch der klassi- schen Infrastruktur, also der Straße, Schiene und der Wasserstraße helfen, denn hier haben wir die größten Bau- stellen. Bewältigen wir diese nicht, dann sind die nachgelagerten Bereiche auch nicht vernünftig zu unterstützen. Wir müssen also diesen ersten wichtigen Schritt machen. Hierzu braucht es noch Veränderungen im Errichtungsgesetz und im Wirtschaftsplan. Einen Gegen- satz zwischen Klimaschutz und Ver- kehrsinvestitionen kann ich jedoch nicht erkennen, ganz im Gegenteil: Jede funktionierende, elektrifizierte Bahn- trasse, jeder vermiedene Stau auf den Autobahnen sowie höhere Kapazitäten auf der umweltfreundlichen Wasserstra- ße für Gütertransport dienen dem Um- Wie kann verhindert werden, dass Gelder aus dem Sondervermögen zwar formal abgerufen, aber praktisch nicht oder nur verzögert eingesetzt werden – wie früher schon zu erleben war? Das SVIK ist durch Kreditermächtigun- gen hinterlegt, was bedeutet, dass erst bei erfolgter Investition der Kredit gezo- gen wird. Es ist also kein großer Geld- sack, den wir uns in den Keller des Reichstages stellen oder bereits vorab verteilen. Der Abruf von Geldern und die Haushaltswirksamkeit stehen also in un- mittelbarem Zusammenhang. Jedoch verbleibt natürlich die Problematik, dass aufgrund geringer Planungs- und Bau- kapazitäten die Mittel nicht verbaut wer- den können. Deshalb sind Vereinfa- chungen und Beschleunigung im Bau- bereich zwingend notwendig. Ist der „Königsteiner Schlüssel“, der wohlhabendere Länder bevorzugt, die richtige Verteilungsgrundlage? Müssen nicht die, die ohnehin wenig haben, mehr bekommen? Hierzu haben wir bereits den Länderfi- nanzausgleich, welcher hohe zweistelli- ge Milliardentransfers jedes Jahr von fi- nanzstarken zu finanzschwachen Län- garantiert. Der dern „Königsteiner Schlüssel“ ist der bereits bestehende Mi- nimalkompromiss zur Verteilung von Geldern, denn in der Frage der Bedarfe sind sich alle 16 Länder einig: Jeder muss massiv investieren in die Infra- struktur, da gibt es keine Ausnahme. Nach Ansicht der Länder sollte das Gesetz eindeutig regeln, dass auch Bau- nebenkosten, Planungsleistungen sowie Gutachten und Untersuchungen aus dem Sondervermögen bezahlt werden können. Hat die Forderung Chancen auf Realisierung? Die Forderung ist zwar nachvollziehbar, aber auch mit Risiken verbunden. Um Florian Oßner (CSU) © privat die Bauneben- und Planungskosten so gering wie möglich zu halten, sollten alle Beteiligten auch mit in die Verantwor- tung genommen werden. Zum Abschluss: Wir erleben die höchste Neuverschuldung aller Zeiten. Macht Ihnen das keine Sorgen? Sorgen macht es mir nur dann, sofern nicht zu 100 Prozent gewährleistet ist, dass die nun zusätzlichen Gelder auch wirklich in zusätzliche Investitionen und die Zukunftsfähigkeit Deutschlands ver- wendet werden. Ist dies der Fall, dann ist es auch eine stemmbare Aufgabe für zu- künftige Generationen, da unser Land am Ende besser dasteht. Wir als CDU/ CSU legen deshalb alles daran, dass es jetzt nicht zu Verschiebebahnhöfen hin zu höheren Sozialausgaben in den Haus- halten kommt, sondern dass gleichzeitig auch Strukturreformen angepackt wer- den, um konsumtive Ausgaben einzu- dämmen und damit mittelfristig eine vernünftige Haushaltskonsolidierung gelingt. Nur damit lässt sich Vertrauen in die Fiskalpolitik sowie in den Investiti- onsstandort Deutschland erhalten. Das Gespräch führte Hans-Jürgen Leersch. T Florian Oßner (CSU) ist Obmann der CDU/CSU im Haushaltsausschuss und Berichterstatter für das Infrastruktur-Sondervermögen.