2 HAUSHALT 2026 INTERVIEW MIT DIETMAR BARTSCH Das Parlament | Nr. 40-41 | 27. September 2025 »Keine tragfähige Idee« Der haushaltspolitische Sprecher der Linken kritisiert die hohen Verteidigungsausgaben und plädiert für eine Reform der Erbschaftsteuer sowie der sozialen Sicherungssysteme Nachdem der Bundestag vergangene Woche den Haushalt 2025 verabschie- det hat, steht nun der Haushaltsplan für 2026 zur Beratung an. Was halten Sie vom Etatentwurf der Bundesregie- rung für das kommende Jahr? Wenig. Die Neuverschuldung wird gi- gantisch nach oben getrieben, bis 2029 liegt sie mit Sondervermögen bei über 170 Milliarden Euro pro Jahr. Der einzi- ge Posten, der größer ist als die Rüs- tungsausgaben, sind die Schulden. Da- hinter steckt keine tragfähige Idee. Ich frage mich: Wo wollen Merz und Kling- beil hin? Gerade bei Lars Klingbeil: Ich habe einige Finanzminister erlebt, sel- ten war ich mit ihnen einer Meinung, aber sie hatten in der Regel eine inhalt- liche Idee, bei Lars Klingbeil sehe ich sie nicht. Was ist für Sie das größere Problem: die Höhe der Verschuldung oder die Verteidigungsausgaben? Die Verschuldung ist ein Problem, al- lein wegen der massiv steigenden Zins- ausgaben, aber das Hauptproblem ist, wofür diese Mittel eingesetzt werden. Ich war immer ein Gegner der Schul- denbremse. Kredite können sinnvoll sein, wenn in Infrastruktur, sozialen Zusammenhalt, Klimaschutz und den Rechtsstaat investiert wird. Aber jetzt wird die Schuldenbremse ausschließ- lich für Verteidigung – „Kriegstüchtig- keit“ – ausgehebelt, während in ande- ren Bereichen gespart werden soll. Das ist falsch. Die Koalition will im Haushalt kon- solidieren und bei den Sozialausgaben kürzen… Wie soll das in dem Umfang möglich sein? Wer glaubt, man könne durch Kürzungen im Sozialstaat die Haus- haltslöcher stopfen, führt die Men- schen hinter die Fichte. Genau das macht die Bundesregierung mit diesem Haushalt. Die Bundesregierung betont nicht nur die Verteidigungsausgaben, son- dern auch Rekordinvestitionen in die Infrastruktur… Die Größenordnungen stimmen nicht. Von den 100 Milliarden Euro für die Länder aus dem Sondervermögen kom- men in meinem Bundesland Mecklen- burg-Vorpommern gerade einmal rund 160 Millionen pro Jahr an. Das ist nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. Es sind Erwartungshaltungen ge- schürt worden, die in keiner Weise rea- lisiert werden können. Das wird uns – ich sage bewusst „uns“ – auf die Füße fallen, weil die Leute glauben, jetzt endlich ist Geld da, jetzt wird was pas- sieren. Aber es wird nicht so viel passie- ren können. Der Finanzminister hatte verspro- chen, dass die Bagger rollen. Sie glau- ben das nicht? Dieser Spruch geht mir ehrlich gesagt auf den Keks. Ich habe nichts dagegen, wenn Bagger rollen und Vernünftiges entsteht – aber tatsächlich rollen Pan- zer. Zur Relation: Was Mecklenburg- Vorpommern im nächsten Jahr erhält, entspricht ungefähr den Kosten für fünf Leopard-2-Panzer. Bestellt werden langfristig 1.000. Aus Sicht der Linken müssten die Verteidigungsausgaben also deutlich niedriger ausfallen? Selbstverständlich. Als ich als Haushäl- ter begann, lag der Verteidigungsetat etwas über 20 Milliarden Euro. Jetzt sind es 82 plus Sondervermögen – rund 108 Milliarden Euro. Und es soll noch mehr werden. Das ist absurd. Die Bun- deswehr sollte angemessen ausgestat- tet sein, aber zuerst muss definiert sein, was das strategische Ziel ist. Zweitens braucht es dringend eine Reform des Beschaffungswesens. Drittens eine ech- te europäische Komponente – die gibt es bisher so nicht. Vielfach beschafft je- der für sich, das sieht man zum Beispiel bei der Munition. Das sind alles Punk- te, wo ich erst Lösungen strategischer Natur will. Dann kann man über Geld reden. Mit dem Sondervermögen wur- den falsche Weichen gestellt. Inwiefern? Es gab bereits ein Sondervermögen von 100 Milliarden. Heute redet niemand mehr darüber, alles ist verplant. Da- mals galt es als großer Durchbruch, fast alle standen im Bundestag auf. Aber was ist mit den 100 Milliarden passiert? Bei Rheinmetall läuft‘s. Eigentlich müsste die Bundeswehr heute viel bes- ser ausgestattet sein. Stattdessen sind von 13 Großprojekten elf teurer gewor- den und verspätet. Es ist doch klar: Wenn fast unbegrenzt Geld da ist, stei- gen die Preise. © picture-alliance/photothek.de/Juliane Sonntag Was wären aus Ihrer Sicht die richti- gen Weichenstellungen im Haushalt? Man darf nicht nur auf die Ausgaben schauen, sondern muss auch die Ein- nahmen stärken. Dringend notwendig ist eine Reform der Erbschaftsteuer. Je- der, der halbwegs gerade im Kopf ist, würde das akzeptieren. Ich bin für hohe Freibeträge. Aber dass Milliardenver- mögen vererbt und verschenkt werden, ohne dass ein Cent Erbschaft- oder Schenkungsteuer anfällt, das ist ein Problem. In den USA, in Frankreich oder Großbritannien sind die Einnah- men um ein Vielfaches höher – 80 bis 120 Milliarden im Jahr. In der Union wird das Thema kontro- vers diskutiert. Erwarten Sie Bewegung? Ich habe die Hoffnung, dass etwas passiert. Allerdings weder in diesem noch im nächsten Jahr, weil das eine wahnsinnige rechtliche und politi- sche Herausforderung ist. Es gehört aber mehr als die Einnahmenseite dazu… Was meinen Sie? Wir brauchen ernsthafte Reformen der sozialen Sicherheitssysteme. Un- ser Rentensystem muss so stabil sein, dass der Satz „Die Rente ist sicher“ wieder gilt. Ähnliches gilt für Pflege und Krankenversicherung. In all die- sen Bereichen erwarte ich konkrete Reformvorschläge von der Koalition. Stattdessen setzt die Bundesregie- rung auf Arbeitsgruppen – mehr Gruppen als Maßnahmen. Meine Sorge ist, dass viel zu wenig dabei he- rauskommt. Auch zur Reform der Schuldenbrem- se gibt es eine Expertenkommission. Erwarten Sie, dass Union und SPD am Ende Vorschläge ins Parlament ein- bringen? Ja, aber kaum einen großen Wurf. Viel- leicht einen Schritt in die richtige Rich- tung. Am Ende bin ich für die Strei- chung der Schuldenbremse. Was soll dieser Quatsch? Gibt es in den USA oder Großbritannien eine Schulden- bremse? Nein. Und als wir keine hatten, haben wir viel weniger Schulden ge- macht als die Bundesregierung jetzt. Nun geht es in die Beratungen im Haushaltsausschuss. Es ist der zweite Haushalt in kurzer Zeit. Zerrt das an der Kondition? Ja, das ist eine Belastung – für Abgeord- nete, für die Mitarbeiter und die Minis- terien. Der Sommer war hart mit dau- ernden Reisen nach Berlin und langen Einzelplangesprächen zum Haushalt 2025. In dieser Woche habe ich fünf Re- den gehalten und betreue Etats wie Ver- teidigung, Inneres und Justiz. Das ist de facto eine Überforderung – und für klei- nere Fraktionen mit weniger Personal noch härter. Im Übrigen leisten auch das Finanzministerium und die anderen Ministerien Hervorragendes. Opposition im Haushaltsausschuss bedeutet, dass Ihre Anträge von der Mehrheit abgelehnt werden. Können Sie trotzdem Akzente setzen? Anträge der Opposition werden abge- lehnt, das ist so. In den Einzelplange- sprächen ist es differenzierter. Wenn et- was notwendig ist, kann man mit den Fachleuten der Koalition reden. Große politische Vorhaben kann ich nicht durchsetzen, aber das eine oder andere schon – worüber man dann aber selbst- verständlich nicht öffentlich redet. Da- ran halte ich mich, denn ich will mög- lichst weiter konkrete Dinge erreichen. Das Interview führte Sören C. Reimer. T Dietmar Bartsch ist haushaltspolitischer Sprecher der Linksfraktion, deren Vorsitzender er von 2015 bis 2023 war. Er gehörte dem Bundestag von 1998 bis 2002 und wieder seit 2005 an. PARLAMENTARISCHES PROFIL Der Ausgleichende: Oliver Vogt Wenn sich ein Mensch aus der Welt der Zahlen über den ge- planten Bundeshaushalt für 2026 beugt, fallen ihm die vie- len Minuszeichen auf. „Die Schulden besorgen mich schon“, sagt Oliver Vogt. „Das sind Hypotheken für die kommenden Generationen.“ Vogt, 48, CDU-Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Minden-Lübbecke, ist promovierter Physiker und Mathelehrer. Und nun sitzt er im Haushaltsausschuss und muss die vielen Querstriche vor den Zif- fern rechtfertigen. „Die Mittel sollen zusätzliche Investitionen darstellen. Und sie sollen private Investitionen ankurbeln.“ Ganz verfliegt seine Sorge nicht, immerhin droht in den kommenden vier Jahren eine Verdopplung der Zinsbelastung. Also, was tun, an diesem Dienstagnachmittag in seinem Büro? „Die Ausgaben müssen auf den Prüfstand gestellt werden“, sagt Vogt und kommt auf die Sozialpolitik zu sprechen: „Wer Arbeit verweigert, muss sanktioniert werden.“ Und nein, fügt er auf die Rückfrage hinzu, das seien keine Peanuts, „sondern ein Signal, dass Leistung anerkannt und nicht missbraucht wird“. So sei zielgenauer in Arbeit zu vermitteln, Langzeitar- beitslose bräuchten eine besondere Unterstützung. Wer sich mit Vogt unterhält, erhält oft zwei Seiten einer Medaille präsen- tiert: Einerseits eine Aufforderung und andererseits einen unterstützenden Blick. Immerhin weiß er, wovon er spricht, schließlich war Vogt selbst ein- mal ein paar Monate arbeitslos. „Nach der Promotion entschied ich mich gegen die Hochschullaufbahn, denn die arg zeitlich begrenzten Arbeitsver- träge schreckten mich ab“, sagt er. Ein Unding sei dieses Prekariat, bis heu- te. Er heuerte in der Produktentwicklung eines Unternehmens an, welches wenig später im Zuge der Wirtschaftskrise 2008 in Schwierigkeiten geriet und Entlassungen aussprechen musste – ihn als einen der Jüngsten traf es auch. Die Sache ging gut aus, denn Vogts Zuversicht scheint Schwankungen aus- zuhalten. Mit 14 zog er 1991 aus einem thüringischen Dorf nach Ostwestfa- Die Schulden besorgen mich schon. Das sind Hypotheken für die kom- menden Generationen. OLIVER VOGT © MdB Vogt len. „Für mich war das anfangs schlimm, ich war doch behütet aufgewach- sen, hatte Freunde und Spaß – auch bei den Jungpionieren“, erinnert er sich. Aber sein Vater habe vorausgesehen, dass das marode Wirtschaftssys- tem der DDR zusammenbrechen werde; also habe der doppelt diplomierte Elektrotechniker und Informatiker nach dem Mauerfall rübergemacht. Vogt Junior orientierte sich um, wurde aktiv in der Schülervertretung, aber Par- teipolitik kannte er nur aus dem Fernsehen. „Dennoch fand ich es schon damals richtig und wichtig, dass man sich einmischt.“ Noch in Erinnerung sei der Stasi-Besuch daheim, wenige Tage nachdem der Vater in der Kneipe bei Silvester gesagt hatte: „‘Die Stasi wollen wir nicht am Tisch haben.‘“ Nach dem Abitur, im Wehrdienst, fand Vogt viel Zeit zum Lesen – bei den Nachtschichten. Es war die Zeit des Regierungswechsels weg von Helmut Kohl und hin zu Gerhard Schröder, „und da merkte ich, dass ich mich bei der CDU am meisten aufgehoben fühlte“; mit Ausnahmen, der Atomkraft et- wa habe er eher kritisch gegenübergestanden, und zwar wegen der unge- lösten Endlagerfrage. Es war auch die Zeit, in der in der CDU Espelkamps ein Generationenwech- sel stattfand, und da fragte man den damals 22-Jährigen, ob er nicht für den Stadtrat kandidieren wolle. Dies tat er, und wurde Mitglied bis 2021, als er in den Bundestag einzog. In der Zwischenzeit war Vogt Gymnasiallehrer für Mathe und Physik geworden, „das Unterrichten machte mir Spaß“, sagt er. Doch irgendwann wurde er wieder gefragt – und ein neues Kapitel wur- de aufgeschlagen. „Dass ich Bundestagsabgeordneter werde, stand nun wirklich nicht in meiner Lebensplanung“, sagt er. „Doch ich bin für die vielen Erfahrungen dankbar, die ich hier sammeln darf.“ In seinem Regal im Büro stehen die Bücher von Helmut Kohl, dem Idol der Einheit, über denen von Wolfgang Schäuble. „Die sind halt alphabetisch sortiert.“ Wenn er von Schäuble spricht, kriegt seine Stimme einen Glanz. „Von ihm lernte ich, dass man auch mal innehalten muss – und den römischen Grundsatz: Höre auch die Jan Rübel T andere Seite an.“