2 THEMA DER WOCHE Das Parlament | Nr. 43-45 | 18. Oktober 2025 INTERVIEW MIT THOMAS RÖWEKAMP, VORSITZENDER DES VERTEIDIGUNGSAUSSCHUSSES »Das ist kein Wunschkonzert« Thomas Röwekamp (CDU) hält ein Losverfahren für Musterung und Wehrdienst für ein gerechtes System, da nicht alle potenziell Wehrpflichtigen gezogen werden können. Langfristig tritt er für ein gesellschaftliches Pflichtjahr für alle ein – auch für in Deutschland lebende Ausländer Herr Röwekamp, die Unionsfrakti- on hatte die erste Lesung des von Ver- teidigungsminister Boris Pistorius vorgelegte neue Wehrdienstgesetz zu- nächst um eine Woche verschoben und jetzt ist auch der ausgehandelte Kompromiss mit der SPD vorerst ge- platzt. Was konkret stört die Union am Gesetzentwurf? Wir sind der Auffassung, dass es ins- besondere hinsichtlich der notwendi- gen Aufwuchsziele der Bundeswehr einer Konkretisierung bedarf. Wir ha- ben der Nato Fähigkeiten zugesagt, die einen Aufwuchs auf 260.000 Zeit- und Berufssoldaten vorsehen. Das ist kein Wunschkonzert, sondern eine militärische Notwendigkeit. Wir wol- len deshalb verbindlich vereinbaren, in welchen Jahresschritten wir diesen Aufwuchs sicherstellen. Wie sollen diese Jahresschritte konkret aussehen? Das Ziel von 260.000 aktiven Soldaten und Soldatinnen soll spätestens bis 2035 erreicht werden. Das bedeutet, dass pro Jahr mindestens 5.000 bis 10.000 zusätzliche aktive Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr ver- pflichtet werden müssen. Die Frage ist, auf welchem Weg wir das errei- chen können. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir es zunächst über eine Steigerung der Attraktivität des gegenwärtigen freiwilligen Wehr- dienstes versuchen wollen. Aber wir müssen uns für den Fall vorbereiten, dass wir die ehrgeizigen Ziele nicht erreichen. Der Kompromiss mit der SPD sah vor, auf die im Gesetzentwurf vorge- sehene Musterung ganzer Geburts- jahrgänge ab Mitte 2027 zu verzich- ten und nur eine per Los bestimmte Gruppe junger Männer zu mustern. Warum? Wir haben die Ausgangssituation, dass wir zwar einen Aufwuchs bei der Bundeswehr brauchen, aber eben nicht um ganze Jahrgänge. Und deshalb erfordert es die Wehrgerech- tigkeit, dass man Kriterien für die entsprechende Personalauswahl be- stimmt. Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren, sollten wir die Auswer- tung der ab kommenden Jahr für Männer verpflichtenden und Frauen freiwilligen Fragebögen abwarten. Das einzig zuverlässige und am Ende auch gerechteste Verfahren ist es, nicht alle zur Musterung zu ver- pflichten, sondern nur eine gewisse per Zufallsprinzip ermittelte Anzahl. Dies gilt auch für den Fall, dass wir nicht genügend Menschen von ei- nem freiwilligen Wehrdienst über- zeugen können und aus dieser Gruppe zum Wehrdienst verpflich- ten müssen. Wir haben uns zu der Frage, ob und inwieweit unseren verpflichtenden Elementen verfas- sungsrechtliche Bedenken entge- genstehen, ein Gutachten des ehe- maligen Bundesverfassungsrichters Udo Di Fabio eingeholt. Hinzu kommt, dass für die Durchführung der Musterung auch die Ressourcen zur Verfügung stehen müssen. Und für die Musterung eines ganzen Jahr- ganges ab 2027 sehen wir das für nicht gegeben. Der Verteidigungsminister hält dagegen, er benötige die Musterung der gesamten Jahrgänge, um sich ein Bild verschaffen zu können, wer in Deutschland überhaupt wehrdienst- tauglich ist. Ist das kein überzeugen- des Argument? Wir erhalten ja durch die Selbstaus- kunft in den Fragebögen schon erste Informationen über die gesundheitli- chen Zustände und die Bereitschaft für einen Wehrdienst. Deshalb glau- ben wir nicht, dass wir einen kom- pletten Jahrgang zur Musterung la- den müssen. Aber das ist ein Detail, über das im weiteren Gesetzgebungs- verfahren sicherlich nochmal gespro- chen wird. Der Verteidigungsminister führt gute Argumente an. Es gibt aber auch gute Argumente – Wehrgerech- tigkeit und Verhältnismäßigkeit –, die wir als Union anführen. Es ist ja der Sinn des Gesetzgebungsverfahrens, in dem es am 11. November auch noch eine öffentliche Anhörung ge- ben wird, dass diese Argumente nochmal gewogen und am Ende ein Kompromiss gefunden wird. Glauben Sie, dass ein Losverfah- ren bei der Musterung und gegebe- nenfalls bei einem verpflichtenden Wehrdienst die nötige Akzeptanz in der Gesellschaft findet? Ich würde mich freuen, wenn wir ei- ne Akzeptanz in der Gesellschaft da- Grenze zur Willkür und genau das wollen wir vermeiden. Am Ende kön- nen wir nur mit den Instrumenten handeln, die uns das Grundgesetz an die Hand gibt. Langfristig werden wir meiner Ansicht nach ohnehin über eine Veränderung auch dieser Vo- raussetzungen sprechen müssen. Ich persönlich bin für ein allgemeines verpflichtendes Dienstjahr. Das wür- de die endgültige Gerechtigkeit her- stellen zwischen allen Menschen ei- nes Jahrgangs und nicht nur den jun- gen Männern. Es wäre geschlechter- gerecht, es wäre gerecht gegenüber Deutschen und Nicht-Deutschen. Und es wäre auch gerecht gegenüber den unterschiedlichen gesellschaftli- chen Aufgaben, die wir haben. Wir haben ja nicht nur die Herausforde- rungen bei der Bundeswehr. Wir ha- ben sie beim Katastrophenschutz, bei der Feuerwehr, in den Pflegeheimen, in den Kindertagesstätten. Ein allgemeiner Pflichtdienst ist verfassungsrechtlich aktuell aber wohl nicht machbar. Deshalb sage ich ja, dass wir über ei- ne langfristige Lösung für eine Ver- fassungsänderung nachdenken müs- sen. Und deswegen bin ich sehr da- für, dass wir diese Debatte mit den jungen Menschen schon jetzt führen. Der Bundestag hat gerade mit den Stimmen der Koalition die beschleu- nigte Einbürgerung von Ausländern nach drei Jahren gekippt. Und jetzt wollen Sie diesen Menschen sagen, sie sollen für die Gesellschaft ein Pflichtjahr leisten? Für eine Gesellschaft, in der sie sich entschlossen haben, zu leben. Und die ihnen, beispielsweise wenn sie vor Krieg oder Verfolgung geflohen sind, Schutz gewährt und sie an ih- rem Wohlstand teilhaben lässt. Ja, ich will von jedem, der hier lebt, erwar- ten können, dass er einen Beitrag zu den Bedingungen unseres Zusam- menlebens in Frieden und Freiheit leistet. Das Interview führte Alexander Weinlein. T Thomas Röwekamp (CDU), geboren 1966 in Bremerhaven, zog 2021 erstmals in den Bun- destag ein. Seit 2025 ist er Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. © picture-alliance/photothek.de/Juliane Sonntag für finden, dass die Verteidigung von Frieden, Freiheit, Demokratie und auch unseres Wohlstandes nur dann gelingen wird, wenn sich mehr Men- schen freiwillig für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden. Das ist keine Lappalie, sondern das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Und ich würde mir wünschen, dass es uns ge- länge, dies über eine gesamtgesell- schaftliche Debatte zu erreichen. Wir können ja nicht an Russland und Pu- tin die Botschaft richten, bitte greift uns nicht an, wir haben nicht genü- gend Soldaten. Wir müssen darauf vorbereitet sein für den Fall, dass wir nicht genug Freiwillige finden und deshalb auch zum Wehrdienst ver- pflichten müssen. Folgt man den Umfragen, dann sieht das auch eine Mehrheit der Deutschen so. Trotzdem werden es viele junge Männer als ungerecht empfinden, wenn sie per Zufalls- prinzip gezogen werden sollten. Es gibt kein System, das am Ende ei- ne vollständige Gleichbehandlung gewährleistet. Aber wir müssen aus einer großen Menge von prinzipiell wehrfähigen Menschen, jungen Män- nern in diesem Fall, eine geringere Anzahl auswählen. Egal, welches Ver- fahren Sie nehmen, es wird am Ende immer jemanden geben, der sich un- gerecht behandelt fühlt. Und deswe- gen glaube ich, dass das Zufallssys- tem noch das wehrgerechteste Sys- tem ist. Alles andere ist immer an der PARLAMENTARISCHES PROFIL Die Zuverlässige: Bettina Lugk Mit einem Schmunzeln empfängt sie noch im Flur des Ja- kob-Kaiser-Hauses. „Ich hatte kurz überlegt, ob wir uns auf morgen vertagen sollten“, sagt Bettina Lugk. Denn ein Ge- spräch über die Wehrpflicht ist schwierig an diesem Mitt- wochmittag. Zu viel ist unklar, noch im Werden; trotz ausgehandelten Kompromisspapiers zwischen den Koalitionsfraktionen. Lugk, Abgeord- nete für die SPD aus dem Wahlkreis Märkischer Kreis II, ist nicht nur sport- politische Sprecherin ihrer Fraktion, sondern auch stellvertretende Vorsit- zende des Verteidigungsausschusses, und kurz kann sie den Eindruck ver- breiten, als verstehe sie die ganze Aufregung nicht. „Ich hätte mir ge- wünscht, dass wir erstmal in die erste Lesung mit dem Gesetzentwurf ge- hen, um keine Zeit zu verlieren und dann alles Inhaltliche klären.“ Es geht um das Vorhaben der Bundesregierung, die Fähigkeiten der Bundeswehr zu garantieren und auszubauen, mit mehr Manpower: Noch wird gefeilt an einer Musterung, an einem Fragebogen – und ab wann junge Männer „gezogen“ werden sollen. „Ich denke, dass einiges dafür spricht, die flächendeckende Musterung eines kompletten Jahr- gangs perspektivisch zu ermöglichen, wie vom Verteidigungsminister vorgesehen – gerade auch, um die Strukturen für den Ernstfall zu ha- ben“, sagt die 43-Jährige. Wäre das nicht zu teuer? „Nein, wenn es um unsere Sicherheit geht, dürfen wir uns hier nicht von Kostenfragen leiten lassen“, entgegnet sie. Auch zeigt sie sich optimistisch, dass die nötige Truppenstärke in den kommenden Jahren auf freiwilliger Basis realisiert werden kann. „Schließlich machen wir den Bundeswehrdienst attrakti- ver. Dieser wird zudem alltäglicher. Das höre ich auch bei Schülergrup- pen, die hier zu Besuch sind: Sie zeigen Interesse und sehen bei der Bun- deswehr eine Chance zur Persönlichkeitsentwicklung. Ihre Sorgen be- treffen vor allem die Unklarheit zur Ausgestaltung des neuen Wehrdiens- tes“. Für sie sei das alles eine organisatorische Frage, „wir diskutieren Wenn es um unsere Sicherheit geht, dürfen wir uns hier nicht von Kostenfragen leiten lassen. BETTINA LUGK (SPD) © SPD-Fraktion/Photothek Media Lab aber gerade schon einen Schritt weiter und wollen vorbereitet sein, falls die ausgesetzte Wehrpflicht doch wieder angewandt werden müsste“. Lugk schüttelt den Kopf. Sie spricht leise, abgeklärt. Professionell und unaufgeregt. Man könnte dies kurz glatt finden, würde sie einen dabei nicht stets anschauen, klare Sätze formulieren und sich unterbrechen lassen. Lugk hätte sicher nichts dagegen, sich als Pragmatikerin zu be- schreiben. Sie ist Mitglied im konservativen Seeheimer Kreis der SPD, wo man auf sich hält, darauf zu schauen, wie das Geld verdient wird, welches man ausgeben will. In die Politik kam Lugk, als sie sich über einen Vorschlag der CDU zur Neuregelung von Bafög aufregte und 2005 in die SPD eintrat. „Das Bafög war meine Chance, um zu studieren“, erinnert sie sich an die Umbruch- zeit Ostdeutschlands mit ihren Verwerfungen. 2011 beendete sie ein Geografie-Studium mit dem Bachelor, sattelte eine Weiterbildung zur Verwaltungsfachwirtin auf. Da arbeitete sie schon in der Politik. Hatte den Jusos in Brandenburg als Landesgeschäftsführerin gedient, fing 2012 in der Büroorganisation einer Bundestagsabgeordneten an und wechselte dann zu Ulla Schmidt, der damaligen Vizepräsidentin des Bundestages. „Es waren wilde Zeiten“, sagt sie. Es herrschte die Grie- chenland-Krise, dann kamen die Migration 2015 und später Corona. Es war die Zeit, in der Lugk die Stellwerke des deutschen Parlamentaris- mus von innen kennenlernte. 2021 wechselte sie dann aus dem Maschinenraum des Parlaments in die Verantwortung als Abgeordnete, zog seitdem über die Landesliste in den Bundestag ein. „Ich hatte eine Ahnung, wie das Parlament funktioniert. Aber wirklich gewählte Volksvertreterin zu sein, ist schon eine andere Rolle und Verantwortung.“ Das kostet einen Aufwand, den man ihr nicht ansieht. Nur das Büro, in dem sie seit vergangenem Sommer sitzt, ziert noch kein Bild und wirkt karg. „Ich möchte eigene Landschaftsbilder aufhängen“, sagt sie. „Aber Jan Rübel T dazu fehlte bisher die Zeit.“