2 THEMA DER WOCHE SASCHA MÜLLER IM INTERVIEW Das Parlament | Nr. 47-48 | 15. November 2025 »Steuern sind keine Strafe« Verfassungsrechtlich bedenklich sei die geplante Aktivrente, außerdem werde ihre Wirkung gering sein, prophezeit der Finanzpolitiker der Grünen. Besser wäre es, arbeitende Rentner bei den Sozialbeiträgen zu entlasten, schlägt Sascha Müller vor Herr Müller, die Regierung will mit der Aktivrente Rentnern ermög- lichen, 2.000 Euro pro Monat steuer- frei zusätzlich zu ihrer Rente dazu zu verdienen. Ein guter Ansatz? Das Ziel teilen wir als Fraktion, näm- lich Anreize zu geben, damit Men- schen, die schon das Rentenalter er- reicht haben, länger arbeiten. Das ist übrigens auch jetzt schon möglich. Viele Ältere wissen gar nicht, dass sie auch beim Bezug einer Rente unbe- grenzt dazu verdienen dürfen. der Einigen dürfte aber schlicht zu we- nig sein, was netto vom brutto übrig bleibt, um auch im Alter zu arbeiten. Wir haben Arbeitskräftemangel, wir haben Fachkräftemangel. Aber leider wird die Wirkung der Aktivrente, wie sie jetzt von der Koalition geplant ist, wohl nicht sehr hoch sein. Eine Feld- studie Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass gerade mal 30.000 Vollzeit-Arbeitsplätze ge- wonnen werden, und nicht 168.000, wie die Bundesregierung in ihrer op- timistischen Schätzung angibt. Auf- grund des demografischen Wandels verlieren wir pro Jahr 400.000 Er- werbstätige. Die Aktivrente löst das Problem also bei Weitem nicht. Dazu kommt: Der jetzige Gesetzentwurf bewegt sich verfassungsrechtlich auf sehr dünnem Boden. Weshalb? Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat das auf meine Bitte hin herausgearbeitet. Es ist schwierig, Steuern nach Kriterien wie Alter oder Beschäftigungsart zu erheben. Die Frage, ob jemand 40, 50 oder älter als 65 oder 67 ist, darf für die Höhe der Steuern nicht entscheidend sein, auch nicht, ob er abhängig beschäf- tigt ist oder selbstständig. Das heißt, man sollte die Selbst- ständigen mit reinnehmen? Das wäre eine Option, macht es aber deutlich teurer. Allerdings bleibt dann immer noch die Diskriminie- rung nach dem Alter. Unser Vor- schlag ist deshalb, nicht an den Steu- ern anzusetzen, sondern an den Bei- trägen, und Beschäftigten im Renten- alter die Beiträge des Arbeitgebers zur Rentenversicherung auszuzahlen. Das wäre verfassungskonform und böte einen echten Anreiz, im Alter weiterzuarbeiten. Insbesondere Rentner mit geringen Einkommen, die ohnehin keine oder relativ gerin- ge Steuern zahlen, würden so profi- tieren. Und für die Unternehmen er- gäbe sich auch in diesem Modell kei- ne Mehrbelastung. Selbstständige hätten davon nichts. Das stimmt – aber unser Vorschlag ist verfassungskonform, weil er an den Beiträgen ansetzt, die zu keinen Leis- tungen führen, und nicht an den Steuern. Und er konzentriert sich ebenso auf abhängig Beschäftigte, wie jener der Regierung. Wäre es nicht fairer, allen unab- hängig vom Alter und Beschäftigung zu ermöglichen, 2.000 Euro steuer- und abgabenfrei zu verdienen, etwa über eine höhere Minijob-Grenze? Wichtiger wäre es doch, Menschen von Minijobs in reguläre sozialversi- cherungspflichtige Beschäftigung zu bekommen. Steuern und Abgaben sind zudem keine Strafe. Sie sind der Garant für die Funktionsfähigkeit un- seres Gemeinwesens und sichern die wesentlichen Lebensrisiken ab. Nur die Älteren länger arbeiten zu lassen, wird das Problem des Fach- kräftemangels nicht lösen. Eine entscheidende Frage lautet: Wie kriegen wir Zugewanderte schneller in Arbeit? Wir konnten in der Ampel- Koalition leider das Gesetzgebungs- verfahren nicht mehr abschließen, dass der Antrag eines Geflüchteten auf eine Arbeitsgenehmigung nach einer bestimmten Frist automatisch erteilt ist, wenn er nicht vorher aus- drücklich abgelehnt wurde. Ein wei- teres Vorhaben, das dann mit der Ampel-Koalition platzte, war die Re- form der Steuerklassen. Mit dieser Reform wollten Sie ans Ehegattensplitting ran. Nein, es ging nicht um die endgültige Besteuerung von Ehegatten, sondern um das laufende Nettoeinkommen. Wir wollen Anreize dafür, dass Frau- en noch stärker erwerbstätig sind. Dazu gehört übrigens auch eine wei- tere Verbesserung der Betreuungssi- tuation für Kinder. Ich sage aber auch, dass das Ehegattensplitting © Max Hirschberger grundsätzlich muss. reformiert werden Da setzt das Grundgesetz Grenzen. Ich rede bewusst von einer Reform, nicht der Abschaffung. Es gibt Bei- spiele aus anderen Ländern. Anstelle des Ehegattensplittings könnte man beispielsweise Ehepartnern, die nicht oder weniger arbeiten, ermöglichen, ihren Freibetrag auf den anderen Partner zu übertragen. Selbst wenn mehr Ältere, Zuwan- derer und Frauen arbeiten, löst das nicht die finanziellen Probleme in der Rentenversicherung . Wir müssen gerade Menschen, die noch nicht unmittelbar vor der Rente stehen, ehrlich sagen, dass sie auch den Kapitalmarkt nutzen sollten, um vorzusorgen. Dafür haben wir als Grüne einen öffentlich verwalteten Fonds nach skandinavischem Vorbild vorgeschlagen. Dort sollen Menschen einzahlen können, um im Alter ihren Lebensstandard halten zu können. Die gesetzliche Rente wird zwar die Hauptsäule der Altersvorsorge blei- ben, aber die anderen Säulen müssen wir stärken. Damit Arbeitnehmer aber überhaupt zusätzlich vorsorgen können, dürfen sie nicht mit steigen- den Beitragssätzen belastet werden. Sollte es eine Pflicht geben, in die- sen Staatsfonds zu investieren? Ich bin offen dafür, dass Menschen in einem liberalen Sinn sagen, ich brau- che das nicht, ich kann für mich selbst vorsorgen. Eine Opt-out-Regel kann sinnvoll sein. Halten Sie auch eine finanzielle Förderung solcher mehr oder weni- ger freiwilligen Beiträge für sinn- voll? Das ist ein bei Riester etabliertes Sys- tem. Ich sehe keinen Grund, das prinzipiell in Frage zu stellen. Aber klar ist, die Riester-Rente braucht ei- ne Generalüberholung. Wenn Menschen heute privat vor- sorgen, etwa über Investmentfonds, dann droht im Alter eine dicke Steu- errechnung auf die Erträge. Das stimmt so nicht. Renten – auch wenn diese aus Kapitalanlagen resul- tieren – werden wie Einkommen ver- steuert. Da in der Regel die Renten niedriger sind als das Gehalt, ist die Steuer dann im Alter auch niedriger. Das ist das System der nachgelager- ten Besteuerung. Und wenn jemand sein Depot nach und nach auflöst, greift die so genannte Abgeltungs- steuer auf die Erträge, die im Übrigen mit 25 Prozent wesentlich niedriger ist als die Steuer auf Erwerbsarbeit. Und diese – jetzt wird es etwas tech- nisch – wird dann noch mit der Vor- abpauschale verrechnet. Wie steht Ihre Partei zur ziemlich einhelligen Forderung aus der Wis- senschaft, das wir länger arbeiten müssen, damit die Beitragssätze in den Sozialsystemen stabil bleiben? Hier geht es ja um die Frage der Kopplung des abschlagsfreien Ren- teneintrittsalters an die Lebenserwar- tung. Und da sehen wir, dass sich der Anstieg der Lebenserwartung zuletzt deutlich abgeflacht hat. Von daher ist diese Frage vielleicht gar nicht mehr so virulent. Um die Beiträge stabil zu halten, könnten auch mehr Mittel aus dem Bundeshaushalt zum Aus- gleich versicherungsfremder Leistun- gen fließen. Über die Details reden wir derzeit noch in meiner Fraktion. Zur Gegenfinanzierung wäre bei- spielsweise eine höhere Besteuerung von Kapitalerträgen bei gleichzeitiger Anhebung des Sparerpauschbetrages denkbar. Das Interview führte Stephan Balling. T Sascha Müller ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und Obmann der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Finanzausschuss. Eine Nahbarkeit kann man ihr nicht absprechen. Den Anruf in ihrem Büro nimmt sie selbst entgegen, und zum Interview empfängt Gerrit Huy, Abgeordnete der AfD aus dem bayeri- schen Weilheim, direkt an der Tür; die Mitarbeiter sind gera- de unterwegs. Auch die Wasserflasche bringt sie selbst. Etwas Eigen- ständiges geht von ihr aus. „Es ist schwer, Leute zu aktivieren und zu Kandidaturen zu bewegen“, sagt sie mit Blick auf die anstehenden Kommunalwahlen im kommenden März. „Wir sind noch nicht in aus- reichender Tiefe bei mir im Wahlkreis vertreten. Nicht überall werden wir die Listen vollkriegen.“ Huy redet schnell, zuweilen atemlos. Wirkt dabei etwas hart. Und sie schaut einen dabei an, lässt sich unterbrechen, sucht das Gespräch. Über die Renten in Deutschland sagt sie kurz und knapp: „Wir wollen höhere Renten. Die Armutsquoten bei den über 65-Jährigen sind schon hoch, und sie unterschätzen sogar die bestehenden Probleme.“ Fast 50 Prozent der Beschäftigten, schiebt sie nach, würden dies zu ei- nem Lohn tun, der später in der Rente – Stand heute – nicht über der Grundsicherung liegen würde. „Da muss sich doch etwas ändern.“ Der von Union und SPD geplanten Aktivrente kann Huy durchaus et- was abgewinnen. Ab 2026 sollen Rentner, die freiwillig weiterarbeiten, monatlich 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdienen können. „Wir bevor- zugen einen Steuerfreibetrag in Höhe von 12.000 Euro für Rentner mit Hinzuverdienst“, sagt Huy. „Beim Koalitionsvorschlag sehe ich Fallstri- cke. Wenn man netto 24.000 Euro verdienen kann, könnten kleine Ar- PARLAMENTARISCHES PROFIL Die Logische: Gerrit Huy beitgeber in die Versuchung kommen, dann die Bruttolöhne zu sen- ken.“ Ihre Partei aber wolle „jüngere Arbeit nicht durch ältere Arbeit verdrängen“ und die Option der Aktivrente für Selbstständige eröff- nen. „Der Koalitionsantrag beinhaltet eine Ungleichbehandlung, die mir nicht verfassungsfest vorkommt.“ Die Armutsquoten bei den über 65-Jährigen sind schon hoch. Da muss sich doch was ändern. GERRIT HUY © picture-alliance/Geisler-Fotopress/Christoph Hardt Huy zog 2021 in den Bundestag ein, sitzt im Ausschuss für Arbeit und So- ziales. Neben einer Rentenerhöhung fordert sie die Senkung von Steu- ern. Wie soll das gehen? „Der Staat gibt zu viel für Soziales aus, vor allem für Ausländer“, sagt sie. Bürgergeld nur für Deutsche und jene, die zehn Jahre eingezahlt haben, Wegfall von Analogleistungen und anderem, wie der freiwilligen Überbezahlung internationaler Organisationen. „Das ist der einzige Weg, um die Sozialsysteme dauerhaft zu finanzieren“. Wer ihr zuhört, wird oft mit einer Klarheit konfrontiert, die nur rich- tig oder falsch kennt. Menschengemachter Klimawandel? „Wer das sagt, irrt sich.“ Meinungsfreiheit? „Die ist stark beschränkt.“ Wo denn? „Man durfte nicht schlecht über Migration reden.“ Jedenfalls, sagt sie, stehe in den Medien immer nur die andere Meinung. Huy ist eine Frau mit Zahlenverständnis. Sie absolvierte eine Bank- lehre, studierte Mathematik, dann Volkswirtschaftslehre und schließlich Public Administration in Harvard – immer mit Ab- schluss. Früher definierte sich Huy als diffus links. Sie legte eine steile Karriere in der Wirtschaft hin. Ihre erste Vollzeitanstellung war die als Persönliche Referentin des damaligen Finanzvorstands von Daimler, Edzard Reuter. Danach kam sie in andere leitende Funktionen beim Automobilkonzern, wechselte danach in die IT- Branche als Vorsitzende der Geschäftsführung bei Compaq Compu- ter Deutschland. In den Nullerjahren dann mehrere Beteiligungen und Aufsichtsrats- posten. Und sie wollte in die Politik, „das wollte ich schon immer, um dem Staat etwas zurückzugeben“. Doch die SPD-Oberen habe sie nach Gerhard Schröder nicht mehr ernst nehmen können, wie sie sagt, und die CSU schreckte sie ab; ihr Freundeskreis mochte die Christsozialen nicht. Doch dann kamen die Zehnerjahre, die AfD – und die Fluchtbewegungen, ein Thema, das sie auch heute noch beschäftigt. Huy trat ein. Ehemann und Kinder seien anfangs ent- setzt gewesen. „Aber das hat sich gelegt.“ Jan Rübel T