2 THEMA DER WOCHE INTERVIEW MIT NORBERT RÖTTGEN Das Parlament | Nr. 52-3 | 20. Dezember 2025 »Krieg aus Europa verbannen« Bei der Selbstbehauptung und der Unterstützung der Ukraine gegen russische Aggression haben die Europäer erstmals seit 80 Jahren die USA nicht mehr voll an ihrer Seite. Mit dem Ukrainegipfel in Berlin sei es aber gelungen, die Reihen zu schließen, sagt der CDU-Außenpolitiker Herr Röttgen, Sie haben in der Bun- destagsdebatte zum EU-Gipfel am Mittwoch eindringlich auf den Ernst der Lage in Europa hingewiesen. Wo- rum ging es Ihnen dabei? Für uns als Europäer geht es darum, den Krieg wieder aus Europa zu ver- bannen, indem wir das angegriffene Land so unterstützen, dass es sich ver- teidigen kann. In dieser Selbstbe- hauptung gegen Krieg haben wir die USA zum ersten Mal nicht mehr so an unserer Seite, wie es 80 Jahre lang der Fall war. Stattdessen verstehen sich die USA als Vermittler. Ohne die Un- terstützung der Europäer und nach dem Wegfall der USA wäre die Ukraine nicht in der Lage, sich aus eigenen Kräften zu verteidigen. Dann würde Krieg sich als Erfolgsmodell von Poli- tik im 21. Jahrhundert in Europa he- rausgestellt haben. Und wenn der Krieg sich lohnt, wird er auch zu uns kommen. Darum steht der Frieden in Europa auf dem Spiel. Nun haben mehrere europäische Staats- und Regierungschefs in Ber- lin Vorschläge zu einer Friedenslö- sung erarbeitet. Erste Reaktionen aus Moskau waren negativ. Halten Sie es trotzdem für möglich, dass ein Waf- fenstillstand zustande kommt? Nein, ich halte einen Waffenstillstand in absehbarer Zeit für ausgeschlossen. Auf die europäischen Vorschläge bis hin zu der Aufforderung, zumindest an Weihnachten die Waffen schwei- gen zu lassen, hat Putin ja nur mit Hohn und Spott reagiert. Damit hat er erneut zum Ausdruck gebracht, dass er sich für Krieg entschieden hat, um mit Krieg imperialistische Ziele durch- zusetzen. Diplomatie bleibt trotzdem notwendig, aber wir müssen erken- nen, dass Diplomatie nur dann eine Chance haben wird, wenn sie durch militärische Verteidigungsfähigkeit unterlegt ist. Würden Sie vor diesem Hinter- grund trotzdem sagen, dass sich die Berliner Gespräche Anfang der Wo- che gelohnt haben? Ganz eindeutig haben sie sich ge- lohnt. Es sind viele Ziele erreicht wor- den, und zwar die realistischen Ziele, von denen nicht klar war, ob man sie erreicht. Europa ist aktiviert und ge- eint worden in einer gemeinsamen Position. Diese Positionierung wurde dann erweitert um die Ukraine und auch die Vereinigten Staaten von Amerika. Nicht in allem und mit je- dem, aber in wichtigen Fragen hat es eine gemeinsame Positionierung der Europäer, der Ukraine und der USA gegeben. Damit hat Europa das im Moment mögliche politische Gewicht eingebracht und sich wieder in die Di- plomatie zur Beendigung des Krieges hineinmanövriert. Das war von den USA nicht so beabsichtigt, dass die Europäer eine Rolle spielen, und von Russland schon gar nicht. Teil der europäischen Vorschläge sind die Sicherheitsgarantien, die ver- hindern sollen, dass Russland nach einem Waffenstillstand erneut an- greift. Wirksam können diese Sicher- heitsgarantien nur mit einer glaub- würdigen amerikanischen Beteili- gung sein. Doch gerade an dieser Glaubwürdigkeit gibt es Zweifel. Tei- len Sie solche Zweifel? Der Kern der Vereinbarung ist, dass zusammen mit der Ukraine, den USA und den Europäern ein Waffenstill- standsabkommen und auch ein Frie- densabkommen mit Russland erreicht werden soll. Das ist deshalb bedeut- sam, weil es ja vorher auch Verabre- dungen zwischen den USA und Russ- land über die Ukraine über europäi- sche Interessen hinweg gegeben hat. Die Frage der Sicherheitsgarantien stellt sich dann, wenn es zu einem Friedensschluss gekommen ist. Zwei- fel sind von den USA genährt worden durch die Nationale Sicherheitsstrate- gie, auch durch das amerikanische Vorgehen im konkreten Fall. Aber ge- rade deshalb war es ein Erfolg, die USA jetzt für diese Vereinbarung ge- wonnen zu haben. Diese bedarf der Konkretisierung, die aber erst erfolgen kann, wenn man überhaupt in der Phase ist, dass ein Frieden verhandelt und abgeschlossen wird. Die Ukraine ist, verglichen mit Russland, nicht nur knapp an Waffen und Munition, sondern auch an Sol- daten. Die Lücken, die Tod und Ver- wundung reißen, sind immer schwe- rer zu füllen. Was empfinden Sie vor diesem Hintergrund, wenn immer mehr junge Ukrainer ausreisen, auch nach Deutschland? © Jonas Makoschey Das ist eine belastende Situation, die nicht akzeptiert werden kann. Der ukrainische Präsident Selenskyj und die ukrainische Regierung müssen hier die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Wir sind in Deutschland und Europa solidarisch mit der Ukraine, wir bringen enorme Finanz- mittel auf. Wir tun es auch im eige- nen Interesse. Doch mit dieser Soli- darität ist es nicht vereinbar, wenn in der Ukraine politisch zugelassen wird, dass Männer im wehrfähigen Alter das Land verlassen. Es gibt in jüngster Zeit Berichte, dass Russland in Belarus an der Grenze zu Nato und EU neue Truppen massiert. Ist die Sorge berechtigt, dass uns zu wenig Waffen für unsere eigene Verteidigung bleiben? die Wir haben die Aufrüstung für die Ver- teidigungsfähigkeit, Abschre- ckungsfähigkeit Deutschlands und der europäischen Nachbarn viel zu spät begonnen und sind jetzt in einem Lauf gegen die Zeit, um die Ausstattung mit Waffensystemen, Munition und Aus- rüstung aufzuholen, so gut und so schnell es geht. Aber wir müssen das in der gesamten Linie der Verwund- barkeit des Nato-Territoriums ma- chen. Dazu gehört die polnische Ost- grenze, dazu gehört die baltische Ost- grenze, dazu gehört aber auch die Ukraine. Würde die Ukraine morgen kapitulieren, hätten wir eine ganz an- dere, unmittelbare Bedrohung des Nato-Territoriums. Insofern kann man die Bedrohung, die durch die Trup- penstationierung in Belarus stattfin- det, nicht gegen die Verteidigung in der Ukraine ausspielen, weil beides Bedrohungen unserer Sicherheit sind. Abstimmungen in der UN-Vollver- sammlung haben gezeigt, dass Russ- land zwar nicht viele Freunde hat, aber auch nicht viele Widersacher, die sich klar auf die Seite der Ukraine und des Westens stellen. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Das ist nicht so überraschend. Wir müssen als Europäer einfach anerken- nen, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine vor allem eine Angelegen- heit der Sicherheit und des Friedens in Europa ist. Es ist nicht realistisch, dass man über Jahre hinweg das Interesse der Weltgemeinschaft darauf fokussie- ren kann, weil es einfach so viele Kon- flikte und Kriegsherde gibt. Denken Sie allein an den sudanesischen Bür- gerkrieg, an dem sich auch Staaten von außen beteiligen, mit fürchterli- chen Verbrechen, einer riesigen An- zahl von Toten, Millionen von Flücht- lingen. Man kann einmal fragen, wie groß eigentlich die Aufmerksamkeit in Europa für diesen schrecklichen Krieg in Afrika ist. Wir Europäer sollten un- seren Eurozentrismus überwinden und auch für das Leid und die Konflik- te in anderen Regionen der Welt mehr Aufmerksamkeit zeigen. Die EU hat nach langem Ringen nun auch einen Weg zur weiteren fi- nanziellen Unterstützung der Ukrai- ne gefunden. Das ist sehr positiv, für die Ukraine und für die europäische Sicherheit. Es ist vor allem ein Verdienst der deutschen Kanzlers Merz, der für dieses Ziel ins Risiko gegangen ist und neue Dynamik in den Prozess gebracht hat. Aber dass dies nun durch die Blockade einzelner Staaten zunächst durch europäische Schulden auf Kosten der eigenen Bür- ger anstatt mittels des Vermögens des Aggressorstaates geschehen soll, ist lei- der erneut Ausdruck europäischer Schwäche. Den Willen zur Selbstbe- hauptung auch gegenüber den USA bringt die notwendige Mehrheit der europäischen Staaten nicht auf. Das Interview führte Peter Stützle. T Norbert Röttgen (CDU) ist seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestags und stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion. PARLAMENTARISCHES PROFIL Der Fokussierte: Markus Frohnmaier Es war ein langer Tag, der früh begann und nun, kurz nach sechs am Abend, noch längst nicht vorbei sein wird. Aber Markus Frohnmaier scheint die Gabe zu haben, immer präsent und ru- hig zugleich zu wirken. Erregt ist er selten. Eher fokussiert. Dabei ist eine Menge los, in dieser Woche: In Berlin geben sich die Staatschefs die Klinke in die Hand, und es wird um ein Ende des Krieges gegen die Ukraine gerungen. Da hat der außenpolitische Sprecher der größten Op- positionsfraktion, der er auch als Vize mit vorsteht, viel zu tun. Frohnmaier, 34, AfD-Abgeordneter aus dem schwäbischen Böblingen, kocht in seiner Entspanntheit das diplomatische Tauziehen um ihn herum erstmal runter. „Es ist positiv, dass miteinander gesprochen wird“, sagt er am Hörer, „vor zwei Jahren wurde man dafür diskreditiert, wenn man di- plomatische Lösungen forciert sehen wollte“. Er sieht Deutschland und die Europäer als Teilhaber einer „Stille-Post-Diplomatie“, die mit etwas Glück in „Korrekturschleifen“ eingebunden würden. „Wir waren das Veran- staltungshotel der Verhandlungen. Ich muss lachen, wenn man das als europäische Initiative beschreibt.“ Deutschland sieht er deshalb nicht als ehrlichen Makler, weil die Bundesregierungen im Krieg zu stark involviert sei – wegen der Waffenhilfen. „Anfangs hieß es in Berlin, dass Russland auf dem Schlachtfeld bezwun- gen werden müsse. Als dies nicht funktionierte, forderte man, dass die Ukraine in eine Position der Stärke gebracht werden müsse.“ Moment, ging es von Beginn an nicht darum, der Ukraine schlicht das Überleben gegenüber der Invasion zu ermöglichen? „Das war ja nicht die Idee. Es ging ums Bezwingen.“ Frohnmaier bezeichnet den russischen Angriff auf die Ukraine als einen „völkerrechtswidrigen Krieg“. Aber die Konsequen- zen daraus zieht er bedingt. Zur deutschen Hilfe für die Ukraine sagt er: „Sie können nicht vollständig schuldenfinanziert aus reinem Altruismus andere Staaten beschenken.“ Andere Staaten beschenken, geht es nicht Vor zwei Jahren wurde man dafür diskreditiert, wenn man diplomati- sche Lösungen forciert sehen wollte. MARKUS FROHNMAIER (AFD) © MdB Frohnmaier vielmehr um Überlebenshilfe? „Es bleibt die Frage, wofür deutsches Steu- ergeld eingesetzt wird.“ Vielleicht aus Nächstenliebe? „Wenn sich eine Par- tei in Regierungsverantwortung dafür entscheidet, könnte es natürlich sein, dass sie in der Demokratie auf Dauer nicht erfolgreich ist.“ Es ist eine nüchterne Aussage, nicht nur zur Weihnachtszeit. Frohnmaier gehört zu den Machern der ersten Stunden bei der AfD. Politik sei in der Familie kaum Thema gewesen, „aber ich interessierte mich schon immer dafür.“ Da war der Ärger darüber, dass die Griechen mit ih- rem Euro gerettet wurden, über den Abschied von der Atomkraft und über das Aufweichen konservativer Familienbilder. Er gründete in Baden-Würt- temberg die Jugendorganisation, wurde 2015 deren Co-Bundesvorsitzen- der. Als Pressesprecher von Alice Weidel zog er dann 2017 in den Bundes- tag ein. 2019 misslang ihm zwar der Einzug in den Gemeinderat von Weil der Stadt, er wurde aber Landesparteichef und ist nun Spitzenkandidat der AfD bei der kommenden Landtagswahl im März 2026. Um ein Land- tagsmandat aber bemüht er sich nicht. Warum? „Wir haben als Landespartei schon lange beanstandet, dass es keine rich- tige Trennung zwischen dem Parlament und der Regierung gibt. Ein Minis- terpräsident muss nicht Abgeordneter sein.“ Schon, aber die Wähler mag es interessieren, ob er im Falle einer Niederlage Verantwortung als Oppo- sitionsführer in seiner Heimat übernehmen würde. Frohnmaier: „Es stört einige Wähler durchaus, dass sich Minister durch Landtagsmandate absi- chern. Mein Anspruch ist, Ministerpräsident zu werden – und nicht Frakti- onschef der Opposition.“ Nun, sollte es mit der Regierungsübernahme nicht klappen: In Stuttgart wäre er doch in der Legislative, und nur dort. „Wir wollen schon, dass es keinen Rückfahrtschein in den Landtag gibt. Da muss man sich schon bewusst entscheiden, ob man als Minister oder Mi- nisterpräsident antritt.“ Und damit sichert sich Frohnmaier den Rückfahrt- schein nach Berlin in den Bundestag. Ein Blick auf die Uhr. Frohnmaier muss zurück ins Plenum. Der Tag wird noch ein wenig länger dauern. Jan Rübel T