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Die Kandidatensuche

Nordrhein-Westfalen Die Probleme der Parteien vor der Kommunalwahl

05.01.2009
2023-08-30T11:23:42.7200Z
4 Min

Menschenkenntnis sollte er oder sie schon haben, auch ein akademisches Studium wäre gut. Und Interesse an der niederrheinischen Kleinstadt Tönisvorst ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung. Die Liberalen aus Tönisvorst haben über eine Stellenanzeige einen FDP-Bürgermeister-Kandidaten gesucht. "Wir wollen mal über den Tellerrand schauen", sagt die Ortsvorsitzende Birgit Koenen. Zuerst hätten sie auch in den eigenen Reihen gesucht - vergeblich. "Unsere Mitglieder sind beruflich fest im Sattel, die haben keine Zeit für das Amt", so Koenen entschuldigend.

Wenige Monate vor der Kommunalwahl im Juni 2009 suchen die nordrhein-westfälischen Parteien händeringend nach Bürgermeister-Kandidaten. Vor allem die Bundestagswahl im Herbst 2009 macht den Parteien zu schaffen. Ehrgeizige Politiker streben im kommenden Jahr in die Hauptstadt - und nicht in die Rathäuser. Nur wenige Prominente treten in den Kommunen an. Eine Neuerung im NRW-Wahlrecht macht es zusätzlich schwer: Die Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten einer Stadt fällt weg. Zukünftig reicht eine einfache Mehrheit aus. Gerade kleine Parteien überlegen deswegen aus strategischen Gründen, schon vor dem Urnengang Bündnisse zu schmieden.

Gemeinsame Suche

So haben sich Grüne und SPD in Münster nach monatelangen Verhandlungen nun auf den Kandidaten der Sozialdemokratie, Wolfgang Heuer, geeinigt. Vorausgegangen waren im Prinzip Koalitionsverhandlungen, wie sie sonst erst nach der Wahl stattfinden. Die Grünen haben der SPD das Versprechen abgerungen, bei einer erfolgreichen Wahl den Anteil der Stadtwerke Münster am Kohlekraftwerk in Hamm zu verkaufen. Stattdessen soll für 40 Millionen Euro ein Klimaschutzprogramm für die westfälische Stadt aufgelegt werden.

Auch in Köln haben sich beide Parteien auf einen gemeinsamen Bewerber für die Wahl des Oberbürgermeisters verständigt. Der ehemalige Kölner Polizei- und Regierungspräsident Jürgen Roters (SPD) wurde offiziell für die Domstadt aufgestellt. Auch die Kölner Linkspartei verzichtet zugunsten Roters auf einen eigenen Kandidaten.

Während SPD und Grüne in einigen Städten paktieren, treten CDU und FDP meist getrennt an. "Absprachen der Kandidaten widersprechen dem Sinn einer Wahl", sagt der Duisburger Politologe Dieter Grunow. Das Prinzip der Parteienkonkurrenz werde ausgehebelt. Zudem werde es für die Bürger schwieriger, das Programm einer Person zuzuordnen. "Wie soll ich entscheiden, wofür ein Duo oder gleich zwei Parteiapparate stehen?", sagt Grunow, der auch Direktor des Rhein-Ruhr-Instituts für Politikberatung ist.

Für den Wissenschaftler behindern aber vor allem politische Vorgaben profilierte Persönlichkeiten daran, sich zur Wahl zu stellen: "Der Handlungsspielraum vieler Städte ist durch die hohe Verschuldung immer geringer geworden. Es fällt schwer, da noch seine eigenen Projekte durchzubringen." Tatsächlich ist der Gesamtschuldenstand der NRW-Kommunen schon Ende 2007 auf 47 Milliarden Euro angestiegen. Dutzende Städte, gerade im Ruhrgebiet, stehen unter der Aufsicht der Bezirksregierung. Jede kommunale Ausgabe wird in der Behörde geprüft und muss genehmigt werden, oftmals werden die Projekte der Städte im sogenannten "Haushaltssicherungskonzept" noch gestoppt. SPD-Oppositionsführerin im Düsseldorfer Landtag, Hannelore Kraft, hat schon angekündigt, die Finanzen der Städte zu einem Schwerpunkt im Kommunalwahlkampf zu machen. Die SPD hat Terrain wieder gut zumachen: Sie kam bei der Kommunalwahl 2004 nur auf 31,7 Prozent, die CDU dagegen auf 43,4 Prozent.

Aber die SPD hat Probleme, in ihren ehemals sicheren Wahlkreisen im Revier bekannte Kandidaten zu finden. Bei der letzten Wahl hat sie schon Essen und Duisburg an die CDU verloren. Diesmal ging die SPD ausgerechnet in der von Herbert Wehner als "Herzkammer der Sozialdemokratie" bezeichneten Stadt Dortmund einen Sonderweg: Sie ließ die insgesamt noch 9.000 Mitglieder über ihren Wunschkandidaten abstimmen. Die Basis entschied sich deutlich für Stadtdirektor Ullrich Sierau. Zuvor gab es ausgerechnet in der für die SPD symbolisch so wichtigen Metropole große Auseinandersetzungen unter den Genossen. Der 64-jährige Amtsinhaber Gerhard Langemeyer (SPD) tritt nach heftigen innerparteilichen Querelen nicht wieder an. Streit gab es unter anderem um die Veruntreuung hoher Geldsummen durch eine kokainsüchtige Angestellte aus dem Oberbürgermeisterbüro. Aus Angst vor einem schlechten Wahlergebnis hatte Ende September die Dortmunder SPD-Spitze mit Kulturdezernent Jörg Stüdemann einen weiteren Kandidaten benannt. Wenig später warf auch Sierau seinen Hut in den Ring.

Rückzug der Erfolgreichen

Auch in Bonn und Aachen stehen Wechsel bevor. Die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann will nicht mehr antreten - ein Schlag für die SPD: Dieckmann war 1994 erstmals in der ehemaligen CDU-Hochburg Bonn gewählt worden und gilt unter den Bürgern als außerordentlich beliebt. Noch länger im Amt ist der Aachener Oberbürgermeister Jürgen Linden (SPD), der nach fast 20 Jahren nicht wieder antritt, um mehr Zeit für die Familie zu haben.

Für den Politologen Grunow hat die Schwierigkeit bei der Kandidatensuche auch folgende Gründe. "Gerade junge Menschen engagieren sich lieber in kleinen politischen Gruppen als in Parteien", sagt er. Während die Zahl der Bürgerinitiativen stetig zunehme, sinke zeitgleich die Mitgliederzahl der traditionellen Parteien. "Der Weg über die oft verkrusteten Parteistrukturen wird als wenig ertragreich angesehen", erläutert Grunow. "Dabei geht der verwaltungstechnische Weg eigentlich dazu über, den Kommunen mehr Kompetenzen zu übertragen, indem der Mittelbau der Bezirksregierungen ausgedünnt wird. Eigentlich ist der Anreiz also da."