Piwik Webtracking Image

Die Schrottpresse wird zum Jobmotor

ABWRACKPRÄMIE Experten kritisieren ökologische Defizite des Programms

18.05.2009
2023-08-30T11:23:57.7200Z
4 Min

Fluch oder Segen? Während die gestiegenen Absatzahlen für Neufahrzeuge in Deutschland als eindeutiger Erfolg für die Abwrackprämie in Höhe von 2.500 Euro gewertet werden, schlagen Umweltschützer und auch der Vorsitzende der Monopolkommission, Professor Justus Haucap von der Universität Erlangen-Nürnberg, Alarm: Sie vermissen jegliche ökologische Lenkungswirkung. Haucap kritisierte zudem in einer Anhörung des Wirtschaftsausschusses am 13. Mai: "Die staatlich subventionierte Vernichtung von Gegenständen, die noch einen Gebrauchs- und auch Marktwert haben, stellt eine in diesem Umfang wohl hoffentlich einmalige, staatlich herbeigeführte Vernichtung von Vermögen dar."

Teurer Schrott

Der Wissenschaftler spielte damit auf Beobachtungen auf deutschen Schrottplätzen an, wo mindestens neun Jahre alte Fahrzeuge abgeliefert werden müssen, damit eine Prämie beantragt werden kann. Als zweiter Schritt zur Prämie ist der Kauf eines Neuwagens erforderlich. In zahlreichen Berichten hieß es, viele der zur Verschrottung gegebenen Fahrzeuge seien noch in gutem Zustand gewesen und hätten bei einem Verkauf weit mehr als 2.500 Euro erzielt, die die Verschrottungsprämie bringt.

Der Ansturm auf die Schrottpressen war jedoch so gewaltig, dass die von der Bundesregierung zunächst zur Verfügung gestellten 1,5 Milliarden Euro nicht mehr ausreichten. Mit dem von der Koalitionsfraktionen Union und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens "Investitions- und Tilgungsfonds" (16/12662) sollen die Mittel für die Abwrackprämie von 1,5 auf fünf Milliarden Euro erhöht werden. Die Finanzierung erfolgt über eine höhere Schuldenaufnahme des "Investitions- und Tilgungsfonds". Hersteller, Kraftfahrzeuggewerbe und Gewerkschaften zeigten sich von der Prämie begeistert. Klaus Bräunig vom Verband der Automobilindustrie erklärte in der Anhörung, die Prämie habe sich für viele Unternehmen in der Automobilindustrie bewährt, um die Krise abzufedern und den Autoabsatz im Inland deutlich anzukurbeln. So sei der deutsche Pkw-Markt von Januar bis April dieses Jahres um 18 Prozent auf knapp 1,25 Millionen Einheiten gewachsen. Das entspreche einem Mehrabsatz von gut 200.000 Autos im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Kurzarbeit wieder weg

Bräunig sagte, die Umweltprämie sei ein "Jobmotor", weil sie Arbeitsplätze bei Herstellern, Zulieferern und Händlern in Deutschland sichere. Angekündigte Kurzarbeit sei in einigen Unternehmen wieder aufgehoben worden. Der immer wieder kritisierte Mitnahmeeffekt liege bei gerade mal elf Prozent. Außerdem helfe die Umweltprämie, Kohlendioxid einzusparen. Bräunig wies aber darauf hin, dass die Lage im Nutzfahrzeugbereich dramatischer werde. Viele Spediteure bekämen keine Finanzierung für den Kauf neuer Lastkraftwagen.

Babette Fröhlich von der Industriegewerkschaft Metall bestätigte, dass es im Kleinwagenbereich eine große Nachfrage gebe. Dafür gebe es aber Kurzarbeit im Bereich der Mittel- und Oberklasse, wo sich die Prämie nicht auswirke. Insgesamt geht die Gewerkschaft aber davon aus, dass die Umweltprämie den Abschwung bremst. "Durch die Umweltprämie werden rund 200.000 Arbeitsplätze in der deutschen Automobilindustrie gesichert", so Fröhlich.

Auch Ulrich Dilchert vom Zentralverband des deutschen Kraftfahrzeuggewerbes bezeichnete die Prämie als "unerwartet wirkungsvolle Unterstützungsmaßnahme zum Erhalt von Unternehmen und Arbeitsplätzen" und "mit Abstand wirksamste Maßnahme des Konjunkturpakets II". Dilchert wies das Argument der Mitnahmeeffekte zurück. Viele Halter von über neun Jahre alten Fahrzeugen hätten wieder einen alten Wagen erworben und keine Prämie erhalten. Besitzer von Altfahrzeugen würden ihre Fahrzeuge oft nur in den nötigsten Fällen warten lassen.

Das Verschwinden solcher Fahrzeuge führe deshalb zu einem verschmerzbaren Verlust für das Werkstattgeschäft, gleichzeitig aber zu einem deutlichen Gewinn an Verkehrssicherheit und Umweltschutz. Die Zuwächse bei den Neuzulassungen seien ein Beleg für die Wirksamkeit der Prämie. In anderen europäischen Ländern ohne entsprechende Unterstützungsmaßnahmen sei die Zahl der Neuzulassungen um bis zu 50 Prozent gesunken.

Dagegen empfahl Thorben Becker (Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland), die Prämie sofort einzustellen, weil mit ihr eine enorme Ressourcenverschwendung einhergehe. Viele noch voll funktionsfähige Fahrzeuge würden in den Schrottpressen landen. Professor Haucap bezeichnete dies als "ökonomisch unsinnig und ökologisch fragwürdig". Mit Umweltschutz habe das Programm kaum etwas zu tun. Neuwagen seien größer als die zu verschrottenden Kleinwagen und hätten oft eine Klimaanlage. Die Prämie habe ein kurzfristiges Konjunkturfeuer entfacht. In den nächsten Jahren werde diese Nachfrage fehlen. Zu Verzerrungen komme es auch zwischen verschiedenen Wirtschaftsbereichen. So werde jetzt Geld in Autos gesteckt, und andere Käufe zum Beispiel für Wohnungseinrichtungen würden zurückgestellt.

Jürgen Resch (Deutsche Umwelthilfe) kritisierte die Prämie als "rückwärtsgewandte Industriepolitik". Mit fünf Milliarden Euro Kosten sei sie das teuerste Programm weltweit, das zudem auf jede ökologische Lenkungswirkung verzichte. Es entstehe die "absurde Situation", dass Autos mit grüner Feinstaubplakette verschrottet und dafür neue Fahrzeuge mit doppelt so hohem Spritverbrauch und Kohlendioxid-Ausstoß gefördert würden.

Resch erklärte, die Umweltprämie erweise sich auch als "Förderprogramm für die organisierte Kriminalität". Trotz nachgebesserter Vorschriften wie Einziehung des Fahrzeugbriefes seien inzwischen viele Fälle festgestellt worden, in denen zur Verschrottung gegebene Fahrzeuge in Wirklichkeit weiterverkauft wurden. Durch das Fehlen einer Mindesthaltedauer bei den Neufahrzeugen könnten diese sofort weiterkauft werden, was den Mitnahmeeffekt verstärke.

Haucap wies noch auf einen anderen Aspekt hin: 2006 seien rund 517.000 deutsche Gebrauchtwagen nach Afrika, Osteuropa und Zentralasien exportiert und sechs Milliarden Euro erlöst worden. "Nun werden fünf Milliarden Euro dafür ausgegeben, einen Teil dieser Exporterlöse zu vernichten und die Autos statt dessen in die Schrottpresse zu stecken."