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Kurz rezensiert : Angelesen

20.08.2009
2023-08-30T11:24:05.7200Z
3 Min

Der Naturzustand der Deutschen sei "das Werden", nicht "das Sein", hat Napoleon einmal behauptet. Was für die Deutschen vor 200 Jahren galt, gilt für die Deutschen der letzten 20 Jahre erst recht. Selten ist hierzulande der gesamte Status quo so stark ins Wanken und Werden geraten wie seit dem Fall der Mauer. Ein Prozess der längst nicht abgeschlossen und daher schwer zu bewerten ist. So hält sich der Potsdamer Historiker Manfred Görtemaker in seinem faktisch fundierten und leicht lesbaren Handbuch zur "Berliner Republik" auch mit parteiischen Urteilen zur Politik von Kohl, Schröder oder Merkel zurück. Stattdessen vermisst er ebenso exakt wie nüchtern die Handlungsspielräume der Regierenden beim Einigungsprozess, bei der Neuorientierung in der Außen- und Sozialpolitik.

Zu kurz kommen Fragen nach dem Wandel der Mentalitäten, der Lebensstile oder der politischen Kultur. Insofern erfüllt Görtemaker den plakativen und schwer definierbaren Epochenbegriff "Berliner Republik" nur bedingt mit Leben. Belohnt wird der Leser dennoch mit einer souveränen Kurzfassung der allerjüngsten Zeitgeschichte.

Manfred Görtemaker:

Die Berliner Republik. Wiedervereinigung und Neuorientierung.

be.bra Verlag, Berlin 2009; 224 S., 19,90 €

Die Namen der beiden 21-jährigen DDR-Bürger Günter Litfin und Chris Gueffroy markieren Anfang und Ende einer blutigen Geschichte: Litfin ist der erste Flüchtling, der am 24. August 1961 an der Berliner Mauer erschossen wird als er versucht, durch den Humboldthafen in den Westen Berlins zu schwimmen. 28 Jahre später wird Gueffroy während seines Fluchtversuchs an den Grenzanlagen zwischen Berlin-Treptow und Berlin-Neukölln erschossen.

Litfin und Gueffroy sind zwei von insgesamt 136 Menschen, die zwischen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer starben. Sie wurden bei Fluchtversuchen von DDR-Grenzern erschossen, ertranken in den Grenzgewässern, nahmen sich selbst das Leben oder verunglückten an den Grenzanlagen. Der vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und der Stiftung Berliner Mauer herausgegebene biografische Band "Die Todesopfer an der Berliner Mauer" erzählt die Geschichte dieser 136 Menschen.

Der Band stellt einen herausragenden Beitrag zur Geschichte der Berliner Mauer dar. Und eine vergleichbare Studie über alle Menschen, die am Eisernen Vorhang zwischen Ost- und Westdeutschland ihre Leben verloren, wäre wünschenswert.

Die Todesopfer an der Berliner Mauer 1961-1989. Ein biografisches Handbuch.

Ch. Links Verlag, Berlin 2009; 524 S., 24,90 €

Geht es um Italien? China? Paraguay? Nein, es geht um die brave Bundesrepublik Deutschland, besser gesagt "Die korrupte Republik" wie der Autor anmahnt. Doch der Buchtitel ist aufgeblasen. Und manche Story, die "Stern"-Reporter Hans-Martin Tillack selbst ausgegraben oder aus den Archiven hervorgebuddelt hat, ist verbal aufgedonnert. Doch es gibt Fakten. Die sind, flüssig und spannend zu lesen, geschickt zusammengestellt: Sponsoring und Lobbying, Schmiergeld und Amtsmissbrauch, Abgeordneten- und Journalistenbestechung, ausschreibungslose Auftragsvergaben, Geldkoffer und schwarze Kassen.

Transparency International, eine seriöse Nichtregierungsorganisation, stuft die Bundesrepublik auf der von 0 bis 10 reichenden globalen Korruptionsskala seit Jahren um 8 herum ein. Es könnte also mehr getan werden für die Bekämpfung der Korruption. Sie ist nicht nur eine Gefahr für die Wirtschaft, sondern für die Demokratie.

Tillack empfiehlt, sich an Finnland zu orientieren, das beim Korruptionsranking von Transparency International auf den vorderen Plätzen steht, weil die Bürokratie dort besser öffentlich kontrolliert wird als anderswo.

Hans-Martin Tillack:

Die korrupte Republik.

Hoffmann und Campe, Hamburg 2009; 287 S., 19,95 €