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Raus aus der Unsichtbarkeit

GENDER-PROJEKTE 70 Prozent der Armen weltweit sind Frauen. Sie rücken ins Zentrum vieler Maßnahmen

20.08.2009
2023-08-30T11:24:05.7200Z
4 Min

Einmal ganz anders wollten die Mitarbeiter des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) in Ecuador ein "Frauenprojekt" anpacken. Es sollte kreativ sein, eine junge Zielgruppe ansprechen und aufklären, aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Und so richten Männer die Botschaft an ihre Geschlechtsgenossen: "Männer gegen Gewalt an Frauen" lautet ihr Slogan, der überall im Land auf Großplakaten an Bushaltestellen und Häuserwänden zu sehen ist. Das Gesicht der Kampagne ist kein Geringerer als Ecuadors Fußballstar Iván Hurtado. Mit Aufklebern und T-Shirts wirbt der Rekordnationalspieler für Gleichberechtigung und verurteilt Gewalt. "Eifersucht ist keine Rechtfertigung", steht dort, oder: "Respekt verdient man nicht durch Schläge".

Nach anfänglicher Skepsis vor allem von Frauengruppen wurde die 2006 gestartete Kampagne ein großer Erfolg. "Es gab überhaupt keine negativen Reaktionen", erzählt die deutsche Projektmitarbeiterin Miriam Lang, "das war die größte Überraschung." "Männerkollektive" schlossen sich zusammen, die über das Thema Gewalt gegenüber Frauen diskutierten. Im Radio und Fernsehen liefen Spots. Besonders begehrt waren die Plakate mit Hurtado, die so manches Jugendzimmer schmückten. "So lange die Botschaft unserer Kampagne rüberkommt, kann uns das nur recht sein", sagt Lang begeistert. Im fußballverrückten Ecuador ist Hurtado das Idol einer ganzen Generation.

Auch in den indigenen Dorfgemeinschaften wurde das erste Mal offen über das Tabuthema häusliche Gewalt diskutiert. Nach traditioneller Rechtsprechung werden, wenn ein Mann seine Frau geschlagen hat, immer beide Parteien bestraft. Lang berichtet, dass durch die Kampagne auch bei den indigenen Dorfräten eine Sensibilisierung und ein Umdenken erreicht worden sei.

Trägerinnen von Entwicklung

Wie aktuell das Thema Gewalt gegen Frauen in Ecuador ist, belegen Umfragen: 42 Prozent der Frauen geben an, in ihrer Partnerschaft schon einmal Opfer von Gewalt geworden zu sein. Dennoch haben Frauen in den vergangenen Jahren gerade in Lateinamerika zu großem Selbstbewusstsein gefunden. Ob in den Favelas Brasiliens, in dörflichen Gemeinschaften Nicaraguas oder in Nachbarschaftsprojekten der städtischen Peripherie Mexikos -Frauen sind die Trägerinnen von Entwicklung. Schon früh haben sich deutsche Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit speziell dieser Zielgruppe angenommen. "70 Prozent der Armen weltweit sind Frauen", sagt Otti Stein, Mitglied der Geschäftsführung des DED: "Wir achten darauf, dass Frauen nicht in ihrer schwachen Position festgehalten werden." Deshalb wird bei fast allen Vorhaben - von der Planung, Realisierung bis zur Evaluierung - der Gender-Aspekt berücksichtigt, auch wenn es nur knapp drei Prozent "reine" Frauenprojekte gibt. "Gleichbehandlung ist ein Menschenrecht", betont Stein.

Die Einbeziehung von Frauen in die Projektarbeit ist jedoch von Land zu Land unterschiedlich und oft kompliziert. In vielen islamischen Staaten ist Frauen die Berufstätigkeit verboten. Da fällt es den Experten vor Ort schwer, Kontakte zu knüpfen und Vertrauen aufzubauen. In einigen afrikanischen Kulturen haben ältere Frauen großen Einfluss und halten Traditionen wie die Genitalverstümmelung am Leben. Doch es gibt auch viele Erfolge. Stein erinnert sich an ein Theaterprojekt von afrikanischen Frauen über HIV-Aufklärung. Darin haben sie ihren Protest gegen die Vielehe zum Ausdruck gebracht. Die Mehrheit der Zuschauer waren Männer - und nicht wenige von ihnen sind danach ins Grübeln gekommen. Im Rückblick auf die vergangenen 20 Jahre deutscher Entwicklungszusammenarbeit sagt Stein: "Die Einbeziehung von Frauen und der Gleichstellungsaspekt sind selbstverständlicher geworden."

Stärkere Beteiligung

Vor 30 Jahren prägte die erste Frauenbeauftragte der Weltbank, die Jamaikanerin Gloria Scott, den Begriff der "Unsichtbarkeit der Frauen" in der Entwicklungszusammenarbeit. Es folgten wissenschaftliche Studien, wie Frauen stärker in die Projektarbeit einbezogen werden können. Seit den 1990er Jahren ist es in den internationalen Organisationen und damit auch in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit eine Selbstverständlichkeit geworden, alle Projekte auf ihren Gender-Aspekt zu prüfen. Es geht dabei nicht einfach mehr um Frauen als Zielgruppe, sondern um die Frage, welche gesellschaftliche Rolle das jeweilige Geschlecht hat.

"Es ist ein großes Missverständnis, wenn Gender mit Frauen gleichgesetzt wird", sagt Regina Frey, die als Beraterin für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) arbeitet. Vielmehr gehe es um soziale Geschlechterverhältnisse. "Die Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit waren insgesamt Vorreiter in der Gender-Frage", sagt Frey.

Wie solche Gender-Analysen in Projekten erstellt werden, die sich nicht vorrangig an Frauen richten, erläutert Beraterin Frey an einem Beispiel: Im südlichen Kenia hat die Förderung des Tourismus Priorität. Aber beim Bau der großen Hotels wird das Grundwasser abgegraben, Brunnen trocknen aus. Für die Menschen in den armen Wohngebieten bedeutet dies, dass sie weite Wege zum Wasserholen zurücklegen müssen. Traditionell sind in Afrika junge Frauen und Mädchen dafür zuständig. "Deshalb können Mädchen oft nicht zur Schule gehen", sagt Frey. "Da besteht ein ganz klarer Zusammenhang.".

Große Skepsis

Ein weiteres Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, dass sich auch deutsche Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit den Spiegel vor halten: Seit vielen Jahren versucht der Pastor Jonah Gokova aus Simbabwe, Männer für Gender-Fragen zu sensibilisieren. Im ökumenischen Zentrum in Harare leitet er eine Männergruppe und engagiert sich landesweit. Gokova kann sich noch gut an die Skepsis erinnern, als er mit dieser Arbeit anfing.

Auf einer Reise durch Deutschland wollte er sich austauschen und über die Erfahrungen aus seiner Kultur berichten. Erstaunlicherweise seien viele der Vorurteile und Probleme ähnlich, egal ob in Afrika oder Europa, stellte Jonah Gokova fest.

Während deutsche Organisationen in Sachen Gleichberechtigung schnell Druck auf ihre Partner im Süden ausüben könnten, werde bei ihnen selbst in dieser Frage keinerlei Druck ausgeübt, bemerkte er. Es gebe außerdem falsche Vorstellungen von Gender vor allem bei Männern, sagt der Pastor: "Sie glauben, dass es sich dabei um Frauen handelt, die den Männern die Macht entreißen wollen." Deutsche Männer seien da "sehr empfindlich".

Die Autorin arbeitet als freie Jourmalistin in Berlin.