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Zügel wieder in der Hand

STADTWERKE Kommunales Wirtschaften wird wieder salonfähig - Viele Konzessionsverträge laufen aus - Rekommunalisierung der Energieversorgung

11.01.2010
2023-08-30T11:25:44.7200Z
5 Min

Ob am Bodensee, in Bayern oder in Hamburg: Quer durch die Bundesrepublik sind immer mehr Kommunen bemüht, ihre Energieversorgung wieder selbst in die Hand zu nehmen. In Leipzig begehrten vor zwei Jahren die Bürger auf und verhinderten per Volksentscheid den Verkauf von knapp 50 Prozent der Stadtwerke an einen französischen Energiekonzern. In Süddeutschland oder im Hochsauerland gründen Bürgermeister neue Stadtwerke. Kommunen, die einst ihr Stadtwerk oder Teile davon verkauft hatten, betreiben jetzt aktiv die Rekommunalisierung. So hat Dresden den Rückkauf seiner Stadtwerke Drewag eingeleitet. Gut ein Jahrzehnt galt die Privatisierung kommunaler Aufgaben als lukrativer Ausweg aus der Kostenklemme, jetzt sprechen Bürgermeister und Kommunalpolitiker bereits von der Renaissance der kommunalen Wirtschaft.

Der Hebel, um die Energieversorgung wieder in eigene Hände zu nehmen, ist in vielen Kommunen die anstehende Verlängerung der Konzessionsverträge (siehe Kompaktkasten) zum Betrieb der örtlichen Versorgungsnetze für Strom und Gas. Die Verträge regeln, wer den kommunalen Grund und Boden zur Verlegung von Strom-, Gas- und Wasserleitungen sowie Wärmenetzen nutzen darf. Der RWE-Konzern umschreibt die Konzessionen als "Lizenz zum Graben". Der größte deutsche Stromkonzern hat in den vergangenen beiden Jahren ein halbes Dutzend Konzessionsgebiete verloren, aber in mindestens doppelt so vielen Gemeinden seine Verträge verlängern können. Der Kämmerer erhält aus diesen Verträgen eine jährliche Abgabe. Der Konzessionär hat als örtlicher Netzbetreiber einen wichtiger Schlüssel zur Umsetzung lokaler Energie- und Klimaziele und ist zudem ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Auslaufende Verträge

In den kommenden Jahren stehen zahlreiche Neuvergaben von Konzessionen an. Dies hängt mit der Laufzeit von Konzessionsverträgen von zehn oder zwanzig Jahren zusammen. So laufen insbesondere die nach der Wiedervereinigung geschlossenen Verträge aus, aber auch die Abkommen, die nach der Öffnung des Energiemarktes für zehn Jahre geschlossen wurden.

Rund 50 Prozent der deutschen Kommunen befassen sich nach einer Studie des Marktforschungsinstituts Trend Research mit einer Rekommunalisierung der Energieversorgung. Der Ruf nach kommunalem Einfluss auf den Betrieb von Stromleitungen und Gasröhren verbindet sich mit der Erwartung auf sinkende Energiepreise und größeren Chancen für erneuerbare Energien. Allerdings hält nur ein Sechstel der von dem Institut befragten 100 Kommunen eine Übernahme für sinnvoll. Den Vorteilen einer stärkeren Gestaltungsmacht und den Möglichkeiten zu Investitionen in der eigenen Region stünden erhebliche wirtschaftliche Risiken entgegen. Schließlich werden durch die Regulierung der Bundesnetzagentur Erlösobergrenzen für den Betrieb der Netze vorgegeben.

Diese Vorgaben begünstigen eher größere Netzeinheiten. Auch zeigen aktuelle Preisvergleiche, dass Stadtwerke, die über ein eigenes Netz verfügen, nicht unbedingt zu den günstigsten Anbietern gehören. Kommunen müssen auch bedenken, dass sie dank der Konzessionsabgaben über eine verlässliche Einnahmegröße verfügen können, wenn sie die Strom- und Gasversorgung von Dritten betreiben lassen.

Energieexperten weisen auf eine Reihe von Faktoren hin, die es beim Aufbau einer eigenen Strom- und Gasversorgung für Gemeinden zu bedenken gilt. Neuen Netzbetreibern stehen die gleichen Erlöse aus den Strom- und Gasnetzen zu wie den bisherigen Eigentümern. Das heißt, Newcomer müssen aus dem Stand die gleiche Effizienz erzielen wie der bisherige Betreiber. Nach der Übernahme der Netze bleiben die Strom- und Gaskunden nach dem Energiewirtschaftsgesetz aber beim bisherigen Lieferanten. Um die Bürger als Kunden zu gewinnen und im Wettbewerb an sich zu binden, ist ein teurer Vertriebsapparat notwendig. Andererseits muss in den Erhalt und den Ausbau der Netze investiert werden. Gerechnet auf die Versorgung von 15.000 Einwohnern kommen schnell Investitionssummen von einer Million Euro pro Jahr zusammen, um die Sicherheit der Versorgung zu garantieren. Gleichzeitig sinken die Erlöse aus dem Betrieb der Netze durch die staatliche Regulierung tendenziell. Gerechnet auf zehn Jahre sind Erlösrückgänge von 15 Prozent zu erwarten.

Das alles kann sich für kleinere Versorger zu einem unüberwindbaren Handikap auftürmen. 100.000 Einwohner gelten in der Energiebranche deswegen als kritische Größe für einen Netzbetrieb. Nach dem Motto, gemeinsam sind wir stark, versuchen kleinere Gemeinden häufiger über Zusammenschlüsse oder Kooperationen mit Nachbarkommunen zu dieser Größe zu finden.

Das Bundeskartellamt hat die Schwierigkeiten der Rekommunalisierung erkannt. "Wir werden den Prozess sorgfältig beobachten, um Probleme frühzeitig identifizieren zu können", heißt es bei den Wettbewerbshütern in Bonn. Die Behörde will damit auch dem Versuch vorbeugen, lokale Energiemärkte mit Hilfe von zu hohen Konzessionsgebühren abzuschotten.

Langjährige Kooperationen

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hält es noch für zu früh, "von einem klaren Trend" zur Rekommunalisierung zu sprechen. Einerseits gebe es bereits seit dem Jahr 2000 immer wieder Kooperationen auf den unterschiedlichsten Ebenen wie Vertrieb, Energieberatung oder Einkauf. Auch gebe es Kooperationen im Netzbetrieb, die Modellcharakter hätten. Andererseits seien im vergangenen Jahr erst einige Konzessionen neu vergeben worden. Um seriöse Aussage über die Richtung treffen zu können, müssten erst noch die Verhandlungsergebnisse der nächsten Monate abgewartet werden.

Einen deutlichen Trend zu kommunalen Unternehmen sieht hingegen Hans-Joachim Reck. Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) wird nicht müde, die Vorteile kommunaler Unternehmen zu preisen, die zumeist als GmbH oder AG in privatwirtschaftlicher Form am Markt agieren. Reck spricht von einem "Wertewandel in der Gesellschaft. Die Menschen wollen vor Ort über ihre unmittelbaren Lebensumstände und damit über ihre Lebensqualität bestimmen".

Nachhaltigkeit werde zunehmend mit Regionalität verknüpft, erläutert Reck den Trend, von dem Stadtwerke profitieren. Deshalb dürfe kommunalwirtschaftliches Handeln nicht bei den Netzen stehen bleiben. Reck plädiert für den Ausbau der dezentralen und klimafreundlichen Energieerzeugung mittels erneuerbarer Energien oder der Kraft-Wärme-Kopplung. Stadtwerke sollten sich zudem stärker den intelligenten Zählern und Netzen widmen sowie die E-Mobilität fördern.

In den Wirtschafts- und Innenministerien sieht man eher skeptisch auf die kommunale Renaissance. Doch die Finanzminister haben den Trend durch ihre Beschlüsse zum so genannten steuerlichen Querverbund und Vorgaben für interkommunale Kooperationen beschleunigt. Komplizierte Erlasse der Finanzbehörden regeln die Verrechnung dauerhaft verlustbringender Tätigkeiten in den Bereichen Gesundheit, Verkehr und Infrastrukturdienstleistungen und machen kommunale Tätigkeiten oft erst lukrativ. Mit vorgegebenen Renditen, Effizienzwerten und anderen behördlichen Vorgaben lässt sich gut planen, wenn Renditevorgaben der städtischen Eigner nicht allzu hoch sind.

Hans-Willy Bein arbeitet als Wirtschaftsjournalist für die "Süddeutsche Zeitung" und für Regionalzeitungen.

Wieland Kramer ist freier Wirtschaftsjournalist in Düsseldorf mit den Schwerpunkten Energie und öffentliche Wirtschaft.