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Die sich das Wissen einverleiben

WELTBIBLIOTHEK Google scannt öffentliche Werke. Das wirft viele Fragen auf - als eine Antwort hat die Bundesregierung die Deutsche Digitale Bibliothek…

11.01.2010
2023-08-30T11:25:44.7200Z
4 Min

Wie öffentlich ist, was veröffentlicht ist? Die Digitalisierung der Wissensbestände und ihre Verbreitung im Internet stellen die Frage neu, wem das Wissen gehört. Deutlich wird dies durch das Streben des Internetkonzerns Google nach einer virtuellen Weltbibliothek. Sind literarische Werke, wenn sie einmal in der Öffentlichkeit sind, Privateigentum oder gehören sie der Allgemeinheit? Durch das Urheberrecht schützt der Staat die wirtschaftlichen und persönlichen Interessen des Urhebers und trägt durch die sogenannten Schrankenreglungen den Interessen der Allgemeinheit Rechnung.

Zu diesen Schranken gehört das Recht der Bibliotheken, ihre Bestände öffentlich zugänglich zu machen und auszuleihen. Was einmal veröffentlicht ist, bleibt dadurch öffentlich: Auch wenn etwa ein mit einem Jugendwerk unzufriedener Autor alle Exemplare dieses Werkes aufkaufen und vernichten würde - öffentlich bleiben würden doch stets die Pflichtexemplare, die der Autor oder sein Verlag bei der Veröffentlichung an die Deutsche Nationalbibliothek abgeben musste. Diese wird der Autor den Bibliothekaren auch unter Aufwendung größter Überredungskünste nicht abringen können. Das ist gut so, denn was einmal veröffentlicht ist, ist in die Geschichte der Öffentlichkeit eingegangen.

Werk im Gedächtnis halten

Das Werk im Gedächtnis zu halten, ist der Gemeinschaft deswegen zurecht ein Anliegen. Die Pflege dieses kulturellen Gedächtnisses gehört zu den Aufgaben der öffentlichen Bibliotheken. Indem der Staat ein Bibliothekssystem betreibt und dies mit der entsprechenden urheberrechtlichen Schrankenreglung absichert, ermöglicht er der Allgemeinheit den Zugang zum veröffentlichten Wissen. Öffentlich sind diese Bibliotheken in zweierlei Hinsicht: Zum einen dadurch, dass sie der gesamten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Zum anderen dadurch, dass sie öffentlich finanziert sind. Diese beiden Facetten des Öffentlichkeitsbegriffs gehören nicht notwendigerweise zusammen.

Das umfangreichste Bibliotheksprojekt unserer Zeit setzt zwar ebenfalls darauf, Schriftwerke einer größtmöglichen Nutzergemeinde zur Verfügung zu stellen, doch ist es privatwirtschaftlich finanziert. Die Rede ist vom Google Book Search Library Project. Seit dem Jahr 2004 scannt der Internetkonzern in öffentlichen Bibliotheken vorhandene Bestände ein, um deren Werke online durchsuchbar und abrufbar zu machen. Das tut der Internetkonzern, vereinzelter Kritik der Qualität der erstellten Digitalisate zum Trotz, überaus effektiv.

Google Books

Google-Gründer Sergey Brin zufolge liegt die Zahl der bei Google Books verfügbaren Bücher im Oktober 2009 bereits bei zehn Millionen. Gegen diese Weltbibliothek im Web wurden monopolrechtliche und urheberrechtliche Einwände laut, zumal Google forsch vorgeht und die Rechteinhaber vor der Aufnahme ihrer Werke in die digitale Bibliothek nicht um Erlaubnis fragt. Natürlich steckt hinter Googles Digitalisierungsprogramm ein Gewinninteresse. So blumig Brin das Projekt beschreibt: Aus reiner Liebe zum Wissen würde Google die massiven Investitionen in diese virtuelle Bibliothek nicht leisten. Konkrete Zahlen nennt der Konzern nicht, doch Schätzungen zufolge hat Google bislang mindestens 300 Millionen Dollar in das Projekt gesteckt. Durch Werbeeinblendungen, den Verkauf von institutionellen Zugängen, etwa an Universitäten und öffentliche Einrichtungen, und in Zukunft wohl auch durch den Verkauf von Büchern an Endkunden sollen sich die Investitionen rechnen. Der Urheberrechtsexperte Lawrence Lessig sieht in dem Projekt daher eher einen digitalen Buchhandel als eine Bibliothek.

Es ist nicht nur aus urheber- oder wettbewerbsrechtlicher Sicht problematisch, wenn die Pflege einer so bedeutenden Bibliothek nicht in öffentlicher, sondern in privater Hand liegt: Das in dieser Weltbibliothek versammelte Wissen würde damit von den Vorlieben eines Privatunternehmens abhängig. "Das Verwertungsmodell von Google Books trägt unübersehbar die Handschrift eines privatwirtschaftlichen Arrangements, das dem Gemeinwohl in der Wissensorganisation erst in zweiter Linie verpflichtet ist", betont die Politologin und Netzexpertin Jeanette Hofmann.

Zwar wird kaum jemand daran zweifeln, dass es wünschenswert ist, das in Bibliotheken gespeicherte Wissen online verfügbar und durchsuchbar zu machen. Doch stellt sich angesichts von Googles Bibliotheksprojekt die Frage, inwiefern das, was öffentlich war, unter der Privatisierung leidet - und welche Vorteile durch die Privatisierung dem gegenüberstehen. Zwar gibt es mit dem EU-geförderten Projekt Europeana seit 2008 ein der Google Library vergleichbares Projekt in öffentlicher Kontrolle. Wie arm an Beständen dies noch ist, wird aber deutlich, wenn man dort vergeblich etwa nach Werken von Franz Kafka auf Deutsch sucht - was umso bemerkenswerter ist, da diese Texte keinem urheberrechtlichen Schutz mehr unterliegen.

Offensichtlich ist das Scanprogramm des Privatunternehmens Google also nicht nur wegen seiner fraglichen Praxis leistungsfähiger als öffentliche Initiativen. Aus diesem Grund kooperiert auch die Bayerische Staatsbibliothek mit Google und lässt urheberrechtsfreie Werke einscannen - gegen eine Kopie der Digitalisate und gegen die Zusicherung, kostenfrei auf Googles Library zugreifen zu können.

Beitrag zur Europeana

Als Antwort auf Google hat die Bundesregierung im Dezember 2009 die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) aus der Taufe gehoben. Ein zentrales Portal soll die Bestände von 30.000 öffentlichen Institutionen online zugänglich machen und so den deutschen Beitrag zur Europeana erbringen. Insgesamt werden 2,6 Millionen Euro pro Jahr für das Projekt zur Verfügung gestellt - nicht viel, gemessen an Googles Investment. Dabei sollen im Unterschied zu Google die Rechteinhaber der zu digitalisierenden Werke zuerst gefragt werden. Allein durch den dadurch entstehenden Aufwand dürfte der Finanzbedarf für die DDB den von Google Books übertreffen. So löblich der Ansatz ist, das "kulturelle Erbe in öffentlicher Verantwortung" zu behalten, es wäre nachzurechnen, ob durch eine Urheberrechtsreform - die etwa festlegt, dass vergriffene Werke von öffentlichen Bibliotheken online verfügbar oder zumindest durchsuchbar gemacht werden dürfen - dem Allgemeinwohl nicht besser gedient wäre. Wünscht man sich eine öffentliche Bibliothek im Netz, so ist der Staat nicht nur als Investor gefragt.

Mitte 2011 soll die DDB in den Pilotbetrieb gehen. Es dauert also noch anderthalb Jahre, bevor sie zum "Quantensprung in der Welt der digitalen Information" (Kulturstaatsminister Bernd Neumann, CDU) ansetzt. Ob durch diese öffentliche Initiative oder aufgrund einer Public-Private-Partnership, wichtig ist, dass die Interessen der Allgemeinheit gesichert werden: Damit auch im Netz öffentlich zugänglich bleibt, was veröffentlicht ist.

Der Autor schreibt als freier Journalist

über Buch- und Medienthemen.