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Parlamentarischer Kraftakt

USA Kongressabgeordnete suchen nach Wegen, um die strauchelnde Gesundheitsreform zu retten

01.02.2010
2023-08-30T11:25:46.7200Z
4 Min

Die Senatswahl in Massachusetts war ein Schlag ins Gesicht für Amerikas Demokraten. Der Sitz des "linken Löwen" Ted Kennedy war neu zu vergeben - und auf einmal stand am 19. Januar ein Republikaner auf dem Siegerpult. Scott Browns Sieg in dem linksliberalen Ostküstenstaat war ein unangenehmer Weckruf vor den Kongresswahlen im November. Für das wichtigste Gesetzesprojekt der Regierung bedeutet er Alarmstufe Rot. Nach dem Verlust der demokratischen Mehrheit von 60 Stimmen im Senat ist Präsident Obamas Gesundheitsreform gefährdeter denn je.

Dabei hatte es am Heiligabend so ausgesehen, als ob die letzte Hürde genommen sei. Am Morgen des 24. Dezember hatte der Senat seine Fassung des Gesetzes verabschiedet - mit den 60 Stimmen Mehrheit, die in der Kammer nötig sind, um eine Blockade der Opposition zu verhindern. Der Rest schien Formsache: Das Gesetz musste jetzt nur noch mit der Vorlage vereint werden, die das Repräsentantenhaus am 7. November gebilligt hatte, bevor beide Häuser über das Endprodukt noch einmal abstimmen könnten. Es galt als abgemacht, dass Obama das Gesetz pünktlich vor seiner ersten Rede an die Nation unterschreiben sollte - der krönende Höhepunkt seines ersten Jahres im Amt. Doch statt eine Erfolgsbilanz zu ziehen, verbannte der Präsident sein bisheriges Lieblingsprojekt in seiner Rede an die Nation am Abend des 27. Januar in die Rubrik "ferner liefen" - weit hinter seinen Plänen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Innovation, Bildung und Hilfen für den Mittelstand. Das Thema bleibe wichtig, aber er trage die Schuld daran, dass er es nicht richtig erklärt habe, räumte der Präsident ein. An den Kongress appellierte er: "Kehren Sie der Reform nicht den Rücken." Das Wie lässt er offen.

Die Lage ist verzwickt - und führende Demokraten im Kongress gestehen ihre Ratlosigkeit offen ein. "Wir müssen herausfinden, wie wir vorgehen können", sagte Harry Reid, Fraktionsführer der Demokraten im Senat, in der vergangenen Woche. "Wir sind nicht in Eile." In den Abgeordnetenbüros auf dem Kapitolshügel forsten derweil Mitarbeiter die parlamentarische Geschäftsordnung nach legislativen Manövern durch, mit denen die Reform auch ohne die sechzigste Senatorenstimme ins Ziel einlaufen könnte. Eine Idee: Das Repräsentantenhaus könnte einfach über die Senatsversion in ihrer jetzigen Form abstimmen. Doch die Sprecherin des Repräsentenhauses, Nancy Pelosi, verkündete bereits, dass sie die nötigen Stimmen dafür nicht hat. Denn linksliberale Demokraten sind empört, dass der Senat die Option eines nationalen staatlichen Krankenversicherungssystems vom Tisch gefegt hat. Und sie lehnen die Steuer ab, die der Senat auf besonders komfortable Krankenversicherungspläne erheben will, wie sie großzügige Arbeitgeber in den USA ihren Angestellten anbieten. Stattdessen fordern sie, die Reform durch höhere Abgaben für alle Besserverdienenden zu finanzieren. Vertreter des sozialkonservativen Flügels wiederum sind unzufrieden, weil die Senatsversion Spielraum für staatlich subventionierte Abtreibungen lassen würde - was der Entwurf des Repräsentantenhauses ausschließt. Für Missfallen hat außerdem gesorgt, dass die Senatsführung die Zustimmung zweier Demokraten mit teuren Subventionsversprechen in deren Staaten erkauft hat.

Ein Weg, um den Abgeordneten das Senatsgesetz dennoch unterzujubeln, sähe so aus: Die Kammer stimmt über die Senatsversion ab und verabschiedet zugleich eine Reihe von Ergänzungen. Diese Ergänzungen könnten dann der "budget reconciliation" unterzogen werden. Das ist ein parlamentarisches Instrument, mit denen die Mehrheit budgetrelevante Entscheidungen im Senat auch mit einer einfachen Mehrheit von 51 Stimmen verabschieden kann. Doch auch dieses Verfahren birgt Risiken. Die Opposition würde es als Trickserei verunglimpfen, und auch konservativen Demokraten, die im Herbst um ihre Wiederwahl bangen, ist nicht wohl bei dem Gedanken, ein unpopuläres Gesetz derart durchzuprügeln.

Und so muss vielleicht ein ganz neues Gesetz her, ein Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, den Obama in der Rede an die Nation schon andeutete, indem er nur noch von einer "Krankenversicherungsreform" sprach. Die Regulierung ist das Gebiet, auf dem beide Seiten am ehesten zueinander finden könnten. So sieht das Gesetz vor, den Krankenkassen zu verbieten, Patienten mit Vorerkrankungen auszuschließen. Denkbar wäre auch, Vorschläge der Republikaner einzubringen wie eine Abschaffung der Wettbewerbsgrenzen der Krankenkassen zwischen Bundesstaaten oder eine Begrenzung der Schadenersatzklagen bei medizinischen Fehlern. Um das vorzubereiten, bräuchte es jedoch viel Zeit.

Mitch McConnell, Führer der republikanischen Minderheit im Senat, ist ohnehin der Meinung, dass die Demokraten ihre 2.700 Seiten lange Gesundheitsreform "ins Regal stellen" sollten. Auch viele Demokraten würden das Projekt am liebsten vergessen und sich Themen zuwenden, die den Wählern wichtiger sind als die komplexe Reform des Gesundheitswesens. Angesichts einer Arbeitslosenquote von 10 Prozent erwecken etwa die Pläne, ein neues Programm zur Belebung des Arbeitsmarktes aufzulegen, größeres Interesse. Doch nun gebe es kein Zurück mehr, meint Bill Galston, der frühere Berater von Präsident Clinton. Eine Regierung, die ihr wichtigstes Vorhaben nach einem Jahr einfach fallen lässt, würden die Wähler nicht mehr ernst nehmen. "Eine Sache ist klar: Sie werden Wanken und Schwäche nicht respektieren."