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»Teurer und gefährlicher Blödsinn«

EUROPARAT Expertenstreit über Schweinegrippe in der Parlamentarischen Versammlung

01.02.2010
2023-08-30T11:25:46.7200Z
2 Min

Die Schweinegrippe hat auch die Wintersession der Parlamentarischen Versammlung des Europarats erreicht. Der Vorwurf vieler Abgeordneter: Die WHO habe unter dem Druck der Arzneiindustrie die Schweinegrippe ohne Not zur Pandemie ausgerufen und so dem Pharmasektor zu Milliardengeschäften mit Impfstoffen verholfen. Eine Mehrheit der Abgeordneten wollte das Thema am 28. Januar nicht nur bei einem spektakulären Hearing diskutieren, sondern auch im Plenum darüber abstimmen. Doch wegen des Vetos des Präsidiums wäre dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich gewesen, und die wurde verfehlt. Zur Verurteilung oder zum Freispruch der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Pharmabranche kam es daher nicht. Aber auch ohne einen solchen Showdown ist es dem Staatenbund gelungen, die Aufklärung der umstrittenen Vorgänge um die Schweinegrippe auf die internationale Tagesordnung zu setzen. In der Anhörung machten Abgeordnete deutlich, dass sich auch viele Regierungen fragen lassen müssten, wieso sie trotz einer glimpflich verlaufenen Infektion massenhaft und in diesem Umfang nicht benötigte Impfdosen geordert haben - 50 Millionen Ampullen allein in Deutschland. Bei dem Hearing führte der

Münsteraner Medizinprofessor Ulrich Keil diese "gigantische Geldverschwendung" auf

"hysterische Reaktionen" und "Angstkampagnen" zurück. Der Arzt, Epidemiologe und frühere Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wodarg machte dafür nationale Gesundheitsinstitute und die WHO verantwortlich, die als staatliche Einrichtungen mit der Wirtschaft verflochten seien.

Bei der Anhörung prallten unter riesigem Medienandrang die Gegensätze hart aufeinander. Während Wodarg der WHO einen "teuren und gefährlichen Blödsinn" vorwarf, wies Luc Hessel als Vertreter des Verbands europäischer Impfstoffproduzenten "Anschuldigungen", man habe aus finanziellen Gründen die WHO-Entscheidung beeinflusst, zurück. Die Impfsubstanzen seien "sachgerecht" getestet worden: Bei 38 Millionen geimpften Europäern sei dies laut europäischer Arzneibehörde bei der großen Mehrheit "ohne schwerwiegende Nebenwirkungen" erfolgt. Damit versuchte Hessel Wodargs Kritik zu kontern, Millionen seien unwägbaren Risiken ausgesetzt worden, da Nebenwirkungen der Impfstoffe nicht ausreichend geprüft worden seien.

Vorwürfe zurückgewiesen

Keiji Fukuda, Chefberater von WHO-Direktorin Margaret Chan, entgegnete dem Vorwurf der Verfilzung zwischen WHO und Arzneisektor, dass die WHO-Experten "wissenschaftlich neutral und unparteiisch beraten" würden. Er rechtfertigte die Definition der Schweinegrippe als Pandemie mit dem Hinweis, es handele sich um einen "neuen Virus" mit "unkalkulierbaren Risiken", der sich "mit nie gesehenem Tempo" ausgebreitet hätte. Für Wodarg hingegen stand die Antwort auf die Frage aus, wieso die WHO plötzlich nur noch die schnelle und massenhafte Ausbreitung einer Infektion zum Kriterium gemacht und das Erkrankungs- wie Sterberisiko im Vergleich zu einer normalen Grippe außer acht gelasssen habe. Auch Ulrich Keil bemerkte, dass die übliche Grippe in Deutschland jährlich zu 10.000 Todesfällen führe, bei der Schweinegrippe seien es weniger als 200 gewesen. Zu dem Thema will der Sozialausschuss des Europarats-Parlaments jetzt eine Expertise erarbeiten, die im Frühjahr auch im Plenum debattiert werden soll.