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Ich bin dann bald weg

VERTEIDIGUNG I Die Verkürzung des Wehr- und Zivildienstes zwingt Bundeswehr und Sozialverbände zur Umstellung

21.06.2010
2023-08-30T11:25:59.7200Z
5 Min

Auf dem Flughafen Köln/Bonn werden die Transportflugzeuge für die Soldaten beladen, die im Einsatz in Afghanistan sind. Versorgungsgüter, aber auch militärisches Gerät verschwindet in den großen Laderäumen der zumeist für teures Geld gemieteten Transporter. Die Gabelstapler, die immer wieder die Laderampe hinauffahren, werden von jungen Soldaten gesteuert. Es sind in der Regel Grundwehrdienstleistende, die dem Besucher schon mal die "Tageszahl" entgegen rufen - jene Zahl, die besagt, wie lange der Grundwehrdienst des Betroffenen noch dauert.

Die Grundwehrdienstleistenden unterstützen die Einsätze, in die sie erst mitgenommen werden, wenn sie sich freiwillig länger verpflichten. Der "W-9er", also der Grundwehrdienstleistende für neun Monate, hätte auch nach seiner Ausbildung zu wenig Dienstzeit, um mit einem Kontingent in den Auslandseinsatz zu gehen. Das Beladen der Transportflugzeuge, finden die meisten, sei eine sinnvolle Tätigkeit während des Wehrdienstes.

»Fauler Kompromiss«

Aber bleibt das so? Vergangene Woche beschloss der Bundestag, die Grundwehrdienstzeit auf sechs Monate zu verkürzen. Als dieses Vorhaben, auf das sich Union und FDP bei den Koalitionsverhandlungen im vergangenen Herbst verständigt hatten, bundeswehrintern bekannt wurde, schüttelte Hauptmann L., der eine Ausbildungskompanie führte, erst einmal den Kopf: "Fauler Kompromiss", murmelte er in sich hinein. Sicher: Er ist Befürworter der Wehrpflicht und ist deshalb froh, dass sie erhalten bleibt. Schließlich sei die heutige Akzeptanz der Bundeswehr in der Gesellschaft ohne Wehrpflicht kaum denkbar. Auch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sagte Ende Mai an der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr, die Wehrpflicht habe "Schlüsselqualität für die Regenerationsfähigkeit und die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft".

Aber wie soll die Zukunft der Bundeswehr aussehen? In vielen Konferenzen entwickelten die Streitkräfte unterschiedliche Modelle für den neuen, kürzeren Grundwehrdienst. Beim Heer bleibt alles beim Alten: Die Grundausbildung dauert auch weiterhin drei Monate, die Luftwaffe kommt künftig mit zwei Monaten aus. Das bedeutet, dass beim Heer - wie bislang auch - alle drei Monate Wehrpflichtige zum Grundwehrdienst einberufen werden, bei der Luftwaffe alle zwei Monate. Denn die Ausbildungskompanien müssen durchgehend beschäftigt sein. Die Bundeswehr insgesamt wird dann zu zehn Einberufungsterminen im Jahr junge Männer in die Kasernen rufen - das ist für die Kreiswehrersatzämter, die die Einberufungen vornehmen, deutlich mehr Arbeit. Und nach dieser Allgemeinen Grundausbildung werden die Soldaten dann auf ihre sogenannten "Funktionsdienstposten" geschickt, also zum Gabelstapler auf dem Flughafen Köln/Bonn zum Beispiel. Mit den sechs Tagen Urlaub, die sie dann bekommen, bleiben sie also knapp vier beziehungsweise drei Monate auf ihren Posten. Dann muss wieder ein Neuer eingearbeitet werden.

Nutzen für Zivilleben

Der Kompaniefeldwebel bei Hauptmann L., Hauptfeldwebel S., hält davon nichts. "Jetzt müssen wir viel öfter junge Soldaten einarbeiten", schimpft er. Er ist schon länger für eine reine Berufsarmee; den Mix aus Grundwehrdienstleistenden, Zeitsoldaten und Berufssoldaten hält er für überlebt. Er meint, diese Verkürzung mache den Wehrdienst nun endgültig überflüssig. S. hat schon einige Verkürzungen mitgemacht: "Immer haben die da oben uns versprochen, dass sie die Ausbildungsinhalte durchforsten; nichts ist passiert."

Jetzt aber soll es tatsächlich geschehen. Die Ausbildung soll gestrafft werden, damit die Zeit auf den Funktionsdienstposten möglichst lang dauern kann. Denn es gilt immer noch das Ziel, dass beide Seiten, die Bundeswehr und die Grundwehrdienstleistenden, vom Dienst etwas haben sollen. Nur: Das wird nicht immer klappen. Der Gabelstaplerfahrer in Köln/Bonn bekam bisher zum Ende seiner Dienstzeit ein Zertifikat, das er im Zivilleben nutzen konnte - beispielsweise bei einem Transport- oder Logistikunternehmen. Es ist nicht sicher, dass er das bei einem sechsmonatigen Wehrdienst - W 6 - immer noch erwerben kann.

Kleinere, teurere Armee

Auch wenn der Grundwehrdienst um ein Drittel verkürzt wird, wächst die Zahl der Wehrpflichtigen nicht. Denn für den Grundwehrdienst stehen letztlich nur jene jungen Männer zur Verfügung, die als tauglich gemustert sind und auf die keine Wehrdienstausnahmen zutreffen, beispielweise, weil sie verheiratet sind. Diese tauglich Gemusterten werden jetzt schon zu 80 bis 90 Prozent eingezogen; knapp 60.000 junge Männer waren es 2009. Für W 6 wird nun die Zahl der Wehrdienstplätze reduziert, um alle besetzen zu können, und die Quote der Eingezogenen wird auf mehr als 90 Prozent erhöht. Mehr geht in der Praxis kaum. Wegen der Reduzierung der Wehrdienstplätze müssen dann einige Aufgaben, die bisher von Grundwehrdienstleistenden ausgefüllt wurden, von Zeitsoldaten besetzt werden. Zeitsoldaten sind teurer. Sechs Monate Wehrdienst kosten deshalb mehr als neun Monate.

Und hier setzt die Debatte ein, die die Bundestagsentscheidung über die Verkürzung fast überholt hätte: Kann der Verteidigungsminister in den nächsten vier Jahren 8,3 Milliarden Euro einsparen, ohne die Wehrpflicht aufzugeben, die etwa 400 Millionen Euro im Jahr kostet? Viele werfen dem Minister vor, dass er diese Frage zu schnell mit Nein beantwortet. Denn die Einsparungen, die er bei der Ausbildung erzielen kann, werden zu einem beträchtlichen Teil wieder dadurch aufgesogen, dass die Stellenbesetzungen teurer werden. Die Erfahrungen anderer Nato-Staaten, die die Wehrpflicht aufgegeben haben, zeigen, dass eine Armee ohne Wehrpflicht, auch wenn sie etwas kleiner ist, teurer wird. Denn auch die Rekrutierungskosten steigen. Um wirklich zu sparen, muss die Personalstärke insgesamt deutlich reduziert werden - dann aber stellt sich die Frage, welche Aufgaben die Bundeswehr noch erfüllen kann.

Besseres Klima

Auch Hauptmann L. denkt über diese Frage nach. Er ist skeptisch, ob mit dem verkürzten Wehrdienst noch genügend junge Männer für eine Laufbahn als Soldat begeistert werden können. Er selbst kam auch als Grundwehrdienstleistender und entschied sich im achten Monat, länger bei der Bundeswehr zu bleiben. Bis dahin hatte er erfahren, dass die Kameradschaft "beim Bund" doch etwas sei, das den Beruf attraktiv mache, sagt er. Er hatte den Eindruck, dass die Wehrpflicht das Klima in der Truppe verbessere, erzählt er.

Als die Wehrpflicht 1957 eingeführt wurde, wollte man verhindern, dass die Bundeswehr als reine Berufsarmee von der Gesellschaft abgekoppelt wird und sich - wie die Reichswehr in der Weimarer Republik - zu einem "Staat im Staate" entwickelt. Neben den historischen Lehren stand die Befürchtung, auf dem Arbeitsmarkt sonst nicht genügend Soldaten gewinnen zu können. Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland scheinen solche Überlegungen auch heute noch aktuell. Doch solche Aspekte, sagt Hauptmann L., fehlten ihm in der Diskussion. Da gehe es zu sehr nur um die Finanzen.