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Vergeudete Talente

BILDUNG Viele ausländische Fachkräfte finden in Deutschland keine angemessene Arbeit: eine »traumatische« Erfahrung

12.07.2010
2023-08-30T11:26:00.7200Z
6 Min

Viel Papierkram und etwas Geduld: Damit würde es klappen, dachte Alexey Monakhov, in Deutschland einen Job zu finden. 2005 verließ der heute 50-Jährige seine Heimat Wolgograd, gemeinsam mit seiner Familie. Vor allem seine Frau, eine Russlanddeutsche, wollte in die Heimat der Vorfahren auswandern; beide hofften in Deutschland auf bessere Zukunfsaussichten für ihre Tochter. In Russland hatte der Bauingenieur Monakhov eine eigene Firma geleitet und gehofft, auch in Deutschland schnell in seinem Beruf arbeiten zu können. "Aber es hat einfach nicht geklappt. Ich habe immer wieder Bewerbungen geschrieben - und nur Ablehnungen bekommen", berichtet er. Besonders frustrierend sei es gewesen, dass man in Berlin sein Diplom nicht anerkennen wollte: "Meine Ausbildung war gut und ich hatte in Russland jahrelange Berufserfahrung. Dass das nicht reichen sollte, um hier zu arbeiten, hat mich sehr traurig gemacht."

»Viel Bürokratie«

Wenn Monakhov über diese Zeit berichtet, wägt er jedes einzelne Wort ab. Auf keinen Fall will er undankbar gegenüber seiner neuen Heimat erscheinen. Er habe "zu einhundert Prozent erkannt", dass er viel tun müsse, um seinen Berufschancen zu verbessern. Nur gelegentlich lässt Monakhov erahnen, wie kränkend es für ihn gewesen sein muss, dass sein Diplom in Berlin nichts zählte - während der Abschluss seiner Frau, im gleichen Fach an der selben Fachhochschule abgelegt, problemlos anerkannt wurde. Der Grund: Für Spätaussiedler, zu denen auch Monakhovs russlanddeutsche Frau gehört, gelten besondere Regeln. Sie haben einen Anspruch darauf, dass ihre Abschlüsse zumindest geprüft - und in vielen Fällen anerkannt - werden. Einen solchen Anspruch hatte Monakhov als Russe bislang nicht.

"Alle Deutschen in Russland wissen, dass man viel Bürokratie erledigen muss, wenn man in Deutschland leben will, und dass es nicht einfach wird, gerade am Anfang. Aber zwischen Wissen und Erleben besteht ein großer Unterschied", sagt Monakhov. Hatte er schon kaum verstanden, warum sein Studium und seine Berufserfahrungen für den deutschen Arbeitsmarkt nichts wert sein sollten, so war Monakhov der Verzweiflung nahe, als die deutschen Behörden sich weigerten, seiner Tochter, die in Russland Betriebswirtschaft studiert hatte, wenigstens ihr Abitur anzuerkennen. "Sie hatte schon zwei Semester lang studiert und musste dann wieder für zwei Jahre aufs Gymnasium. Das war superschlimm für uns."

Doch Monakhovs Familie arrangierte sich mit dem, was sie nicht ändern konnte. Noch im Grenzdurchgangslager Friedland, wo Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion ankommen, hatte er von der Otto-Benecke-Stiftung gehört. Die Stiftung bietet Eingliederungshilfen für Zuwanderer an, auch Qualifizierungsprogramme für Akademiker.

Im Rahmen dieses Programms absolvierte der Bauingenieur einen Sprachkurs und drückte dann noch einmal 13 Monate lang die Schulbank. "Auf diese Weise konnte ich mein Wissen auffrischen, vor allem in Fächern wie Baukonstruktion und Auto-CAD", einem Computerprogramm für dreidimensionale Zeichnungen. Zum Programm gehörte auch ein Praktikum, das sich für Monakhov als Sprungbrett erwies: "Ich wurde danach von ´Maurer Söhne´, einer Münchner Firma, als Konstruktionsingenieur übernommen und konstruiere jetzt Lagersysteme für Brücken vor allem für Projekte in Osteuropa. Mit diesem Job bin ich sehr glücklich."

Doch nicht alle qualifizierten Zuwanderer schaffen es so weit wie Alexey Monakhov. Rund eine halbe Million Migranten lebt nach verschiedenen Studien in Deutschland und geht Tätigkeiten nach, die nicht ihrer Qualifikation entsprechen. Anspruch auf ein Anerkennungsverfahren haben ohnehin nur die wenigsten: Spätaussiedler und EU-Bürger, wenn sie in einem so genannten reglementierten Beruf - etwa als Arzt oder Jurist - arbeiten wollen. Wer aus einem so genannten Drittstaat kommt, hat Pech - und wird im Computersystem der Arbeitsagenturen in aller Regel als "ungelernt" geführt. Das ist, wie es der kürzlich verstorbene Migrationsforscher Rolf Meinhardt formulierte, nicht nur eine "traumatische Erfahrung der Deklassierung" - es ist angesichts des viel beklagten Fachkräftemangels auch eine unverständliche Ignoranz gegenüber den wertvollen Ressourcen der Zuwanderer. Das hat inzwischen auch die Bundesregierung erkannt und bemüht sich, qualifizierten Migranten bessere Chancen zu bieten. Auf ein "Eckpunktepapier" haben sich die Ressorts bereits im Dezember geeinigt; ein Gesetzentwurf soll nach der Sommerpause folgen. Klar ist jetzt schon: In Zukunft sollen alle ausgebildeten Zuwanderer in Deutschland einen Anspruch darauf haben, dass ihre Qualifikation geprüft wird - unabhängig von ihrem Heimatland und ihrem Beruf. Außerdem soll festgelegt werden, wie lange die Prüfung dauern darf - Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) hält maximal sechs Monate für angemessen.

"Einfacher und transparenter" sollen die Anerkennungsverfahren darüber hinaus werden. Das ist bitter nötig: Heute sind in Deutschland zwischen 300 und 400 verschiedene Stellen mit der Anerkennung ausländischer Abschlüsse befasst. Dank des Bildungsföderalismus hat jedes Bundesland eigene Regeln und Behörden. "Das ist ein Dschungel, den selbst Deutsche nicht durchdringen", sagt die Wissenschaftlerin Martina Müller: "Wie soll das ein Zuwanderer schaffen, der ganz neu ins Land gekommen ist und vielleicht noch Probleme mit der Sprache hat?"

Mehr Anerkennung

Martina Müller hat an der 2007 veröffentlichten Studie "Brain Waste" mitgearbeitet. Diese analysierte das erste Mal umfassend die Anerkennung ausländischer Abschlüsse in Deutschland - und das Scheitern qualifizierter Fachkräfte an den Hürden der deutschen Anerkennungspraxis. Schicksale von Ingenieuren, die in Deutschland als Taxifahrer arbeiten müssen, sind Müller dabei "massenhaft" begegnet. Die Soziologin ist noch immer schockiert darüber, wie schnell die Berufserfahrung der Migranten entwertet wird: "Die Arbeitsverwaltung kann mit dem ausländischen Abschluss nichts anfangen - und das war's. Viele wissen ja überhaupt nicht, welche Möglichkeiten sie haben. Nachdem wir die Fragenbögen für unsere Studie verschickt haben, riefen dauernd Menschen an, die durch unsere Befragung zum ersten Mal von Weiterqualifizierungsmöglichkeiten gehört haben."

Dass künftig jeder Zuwanderer das Recht auf ein Anerkennungsverfahren haben soll, findet Müller gut. Ähnlich sieht das auch Barbara Buchal-Höver. Sie ist Abteilungsleiterin in der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) - der einzigen Stelle in Deutschland, die den Überblick über ausländische Abschlüsse hat und im Auftrag der Länder eine riesige Datenbank unterhält, in der sich Betroffene und Behörden informieren können. Schon jetzt schaffen die insgesamt 33 Mitarbeiter der ZAB die Arbeit kaum. Mit der riesigen Menge neuer Fälle, die das geplante Anerkennungsgesetz mit sich brächte, wären sie komplett überfordert. Dabei ist Buchal-Höver durchaus für Veränderungen in der Anerkennungspraxis: "Aus Angst, die deutschen Berufsstandards zu verwässern, erleben wir oft eine Abschottung des Arbeitsmarkts. Wir würden uns eine informellere Art der Bewertung der Abschlüsse wünschen, in der es nicht darum geht, ob bestimmte Ausbildungen in Länge und Inhalt Eins zu Eins der deutschen entsprechen, sondern in die auch Berufserfahrungen und Kompetenzen einfließen." Doch die bloße Anerkennung ausländischer Abschlüsse ist kein Wundermittel, berichtet Dagmar Maur. Sie leitet das Qualifizierungsprogramm der Otto-Benecke-Stiftung, an der auch Bauingenieur Alexey Monakhov teilnahm: "Die Anerkennung der Abschlüsse hoch qualifizierter Zuwanderer ist ein Problem - aber bei Weitem nicht das einzige. Wichtig ist es, die Leute fit für den deutschen Arbeitsmarkt zu machen, mit Maßnahmen, in denen sie ihr Wissen auffrischen können oder Einblick bekommen, wie die Branchen hier funktionieren. Wenn ein Abschluss anerkannt wurde, heißt das nicht automatisch, dass man damit Arbeit findet", erklärt Maur. Das musste auch Svetlana Bader erfahren, die in der russischen Industriestadt Samara als Diplom-Ökonomin im Gesundheitswesen gearbeitet hatte und 2006 nach Deutschland kam. Obwohl ihr Studienabschluss anerkannt wurde, fand sie keine Arbeit: "Am Anfang war mein Akzent natürlich noch sehr stark - das hat mögliche Arbeitgeber abgeschreckt." Trotz einer Weiterbildung ist die 35-jährige Mutter eines kleinen Sohnes zur Zeit wieder arbeitslos. Ihre jahrelange Berufserfahrung sei hier nichts wert. "Das frustriert mich", sagt sie.

Wie viele andere Zuwanderer sind Alexey Monakhov und Svetlana Bader willig, ihrer neuen Heimat ihr intellektuelles Potenzial zur Verfügung zu stellen - doch Zugreifen muss Deutschland.