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An die Natur dachten sie alle nicht

ZENTRALASIEN Das Gift der Monokulturen - Weite Gebiete in der Krisenregion zerstört - Die Sisyphus-Arbeit der GTZ

09.08.2010
2023-08-30T11:26:02.7200Z
5 Min

Mitten in der Einsamkeit der kasachischen Berge steht eine Jurte. Der Filzstoff ist schwarz vor Ruß. Vor dem Eingang sitzt ein von der Sonne gezeichneter, alter Mann und scharrt in einem kleinen Ofen das Holz zusammen. An die hundert Ziegen verteilen sich unweit seiner Jurte auf dem Hang im Landkreis Almaty und grasen. Auf den höher liegenden Gipfeln glänzt der Schnee.

Es könnte ein idyllisches Postkartenmotiv aus den zentralasiatischen Bergen sein. Doch aus der Ferne sieht man, dass die grünen Grasflächen ausgedünnt sind. Trittspuren und Erdflecken überziehen den Hang. Der Boden gibt nicht mehr viel her. "Die Wiese zeigt deutliche Anzeichen der Überweidung", sagt Heino Hertel, Mitarbeiter der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) in Kasachstan. "Zur Regeneration bräuchte sie dringend eine Pause." Hertel ist Bodenspezialist, ein drahtiger Mann, der stets einen Cowboyhut trägt. In Kasachstan leitet er das GTZ-Projekt zum mobilen Weidemanagement.

Zentralasien, zwischen kaspischem Meer und chinesischer Grenze gelegen, ist wie keine andere Region der Welt von Desertifikation betroffen. "Schon heute sind weite Gebiete der Länder Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Kirgisistan ökologisch zerstört", erklärt Hertels GTZ-Kollege Reinhard Bodemeier. "Intensive Bewässerung, Überweidung der Steppe und Abholzung der Bergwälder haben die natürlichen Ressourcen vernichtet. Und täglich gehen weitere hunderte Hektar fruchtbaren Bodens verloren, das Wasser versickert oder verdunstet ungenutzt - die Menschen berauben sich ihrer eigenen Lebensgrundlage", so sein Fazit.

Spuren der Sowjetzeit

Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die zentralasiatischen Staaten unabhängig. Statt demokratischen Regierungen bildeten sich jedoch Autokratien, statt zusammenzuarbeiten mehrte jeder seinen eigenen Nutzen - auch auf Kosten der Nachbarrepubliken. "Dabei sind die Staaten als eine ökologische Einheit zu sehen", sagt Weidenexperte Hertel. Während der Sowjetzeit leiteten zudem zwei Stauseen in Kirgisistan und Tadschikistan das Schmelzwasser aus dem Tien-Schan- und Pamirgebirge um - für die landwirtschaftlichen Bedürfnisse, aber vor allem für den Baumwollanbau in den Unterlaufstaaten Usbekistan, Turkmenistan und Kasachstan. Die Tadschiken und Kirgisen erhielten dafür zu günstigen Konditionen Gas und Öl - an die Natur dachten sie alle nicht. Monokulturen wie der Baumwollanbau sowie verschwenderische Bewässerungssysteme führten nicht nur zum Austrocknen des Aralsees (siehe Text auf dieser Seite), sondern auch zu einer Versalzung und Vergiftung der Böden. Hinzu kommt heute der Klimawandel, der die Gletscher in der Region abzuschmelzen droht.

Zu Sowjetzeiten trieben die Hirten das Vieh in Zentralasien über die Grenzen hinweg im Winter auf die Steppe und im Sommer in die Berge. In dem Gebiet um Almaty in Kasachstan legten die etwa 180.000 Tiere dabei bis zu 150 Kilometer in zweiwöchigen Wanderungen zurück. Heute sind die Grenzen jedoch weniger durchlässig, die Tradition der wandernden Hirten ist zu Ende. "In Kasachstan gibt es keine Nomaden mehr", sagt Hertel, "die Farmen heuern Angestellte an, die die Tiere dann vor allem auf siedlungsnahe Weideplätze führen." Und das hat fatale Folgen. "Die Flächen in der Ferne sind unterweidet und die in unmittelbarer Dorfnähe abgegrast", erklärt Hertel.

Und so ist heute kaum eine Region so nachhaltig von Verwüstung bedroht wie Zentralasien. Zwischen Baku und Taschkent sind die Böden geschädigt, drohen Seen auszutrocknen und Hänge abzurutschen. Deshalb hat die deutsche GTZ Zentralasien zu einem Schwerpunkt in ihrer internationalen Desertifikationsbekämpfung gemacht. Dabei setzt sie direkt bei den Menschen an. "Die Selbsthilfekräfte der lokalen Bevölkerung sollen gestärkt werden, betroffene Bauern die Entwicklung, Planung und Umsetzung von lokalen Problemlösungen erst erlernen und dann nach und nach selbst übernehmen", sagt GTZ-Mitarbeiter Bodemeier.

Beispiele für das GTZ-Engagement gibt es viele: Im Landkreis Almaty organisiert die deutsche Entwicklungszusammenarbeit seit 2009 das Management der Herden. In vier Regionen des Dschambul Rayons, 150 Kilometer westlich von Almaty, gründete sie mit den Einwohnern sogenannte Weidekomitees. Deren Aufgabe ist es, neu zu regeln, wann und wo welche Tiere zu welcher Weide getrieben werden. "Nur so kann der Boden den Viehbestand noch meistern", sagt Hertel. Zu den Versammlungen, über die im Vorfeld die lokalen Medien informieren, kommen bis zu 50 Männer und Frauen, die angeregt ihre Probleme beschreiben. "Wichtig ist vor allem, dass der Bürgermeister, der Ältestenrat, die Vertreterin der Frauenorganisation und Vertreter der wichtigsten Viehfirmen dabei sind", sagt Hertel.

Gleichzeitig setzt die deutsche Entwicklungshilfe die Treibwege in der Region wieder instand und baut oder repariert die Brunnen. Ohne ausreichende Wasserreserven können die Hirten die Tiere nicht über das Land führen. Die GTZ plant zudem den Ankauf von Jurten für die Hirten, um sie wieder mobiler zu machen.

Die deutsche Organisation fordert dabei auch Eigeninitiative. So hat der 70-Jährige Viehhalter Altynbek von sich aus einen verfallenen Brunnen wieder funktionstüchtig gemacht und träumt jetzt von einer windbetriebenen Pumpe. "Dann müssten wir nicht immer den Generator anwerfen, um die Tiere zu tränken", sagt der Kasache, der sich schon über Solarzellen Strom in sein Farmhaus geholt hat.

Langfristige Ziele

Auch außerhalb des Landkreises Almaty gibt es viele GTZ-Projekte. Im Hochgebirge des Pamirs von Tadschikistan fördert die Organisation die Aufzucht von Yak- Rindern und die Aufforstung. In dem Dorf Temirovka am kirgisischen Bergsee Issyk-kul führt sie Simulationsübungen zum Weidemanagement durch. An den Berghängen in dem turkmenischen Dorf Konegümmus bei Nokhur baut sie Dämme, befestigt Dünen und legt Gemüsegärten an, um den Bauern eine alternative Einkommensquelle zu eröffnen. "Wir verfolgen einen sogenannten Bottom-up-Ansatz", sagt Heino Hertel, Problemlösung also von unten nach oben. So lautet das langfristige Ziel in Kasachstan, die Weidekomitees durch einen Parlamentsbeschluss zu legitimieren, denn in den meisten ehemaligen und heute autokratischen Sowjetrepubliken haben Parlament und Bevölkerung bislang nur wenig Rechte.

Regionales Programm

Zusammengefasst werden die Projekte vor Ort in einem Versuch, ein regionales Desertifikations-Bekämpfungsprogramm gemeinsam auf die Beine zu stellen. Bereits 2007 schlossen sich die betroffenen Staaten und die internationalen Geberorganisationen zur "Central Asian Countries Initiative on Land Management" mit Sitz in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek zusammen.

Hier allerdings liegen die größten Herausforderungen für die Hilfe, wie etwa das Beispiel Kirgisistan zeigt. Dort erhielten die Weidekomitees in den Dörfern zwar Anfang des Jahres durch einen Parlamentsbeschluss eine legale Grundlage. Im April 2010 allerdings kam es zu einem Putsch, das Parlament wurde aufgelöst. Nun ist unsicher, ob die damals beschlossenen Gesetze weiterhin Bestand haben werden. Das Land taumelt derzeit von einer politischen Krise in die nächste und die gewaltsamen Auseinandersetzungen haben eine ethnische Komponente bekommen. Im Juni verwüsteten Kirgisen usbekische Wohnviertel im Süden des Landes. Zwischen beiden Staaten kommt es seither zu großen Spannungen. So liegt auch die Arbeit der CACILM-Initiative derzeit auf Eis. "Die aktuelle politische Situation in Kirgistan belastet die regionale Kooperation", sagt die GTZ-Expertin Anneke Trux. Und auch die ehemalige kirgisische Abgeordnete Kabai Karabekow ist skeptisch. "In Zentralasien gibt es faktisch keine Zusammenarbeit zwischen den Staaten mehr. Schon gar nicht, wenn es um Landnutzung oder Wasserrechte geht."

Für die einzelnen Projekte ist der regionale Ansatz jedoch alternativlos. Gebirge, Flüsse, Weiden und Wolken machen vor den nationalstaatlichen Grenzen nicht Halt. Für GTZ-Mann Hertel ist klar: "Bleibt Desertifikationsbekämpfung in Zentralasien auf kleine Einheiten beschränkt, bleibt sie wirkungslo."

Der Autor arbeitet als freier Journalist in Zentralasien.