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Offene Gefängnistüren

RECHT Ein Straßburger Urteil heizt die Debatte über die geplante Reform der Sicherungsverwahrung an

23.08.2010
2023-08-30T11:26:02.7200Z
3 Min

Manfred K. (52) ist in Deutschland mehrfach wegen Gewaltverbrechen verurteilt worden, zuletzt im Jahre 1986 wegen versuchten Raubmordes. Das Gericht ordnete damals seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an - die zu dieser Zeit im Höchstfall zehn Jahre dauerte. 1998 verschärfte die damalige Bundesregierung deren Dauer auf unbestimmte Zeit. Manfred K., der sich eigentlich schon im September 2001 als freier Mann gesehen hatte, klagte dagegen - und gewann: Ende 2009 beanstandete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass auch all jene, die schon zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung in Sicherungsverwahrung saßen, von der Verschärfung betroffen waren.

Widerspruch zurückgewiesen

Die Straßburger Richter sahen darin einen Verstoß gegen das Verbot rückwirkender Strafverschärfungen. So, wie die Sicherungsverwahrung in Deutschland ausgestaltet ist, sei sie eine Strafe, erklärten sie. Der EMGR vertrat damit eine diametral entgegengesetzte Ansicht als das Bundesverfassungsgericht: Das Karlsruher Gericht vertrat 2004 die Auffassung, die Sicherungsverwahrung sei keine Strafe, sondern eine "Maßregel". Der Widerspruch der Bundesregierung gegen das EGMR-Urteil wurde im Mai dieses Jahres abgelehnt. Der Betroffene bekam eine Entschädigung in Höhe von 50.000 Euro zugesprochen.

Etwa 80 Personen sind nach Angaben des Bundesjustizministeriums (BMJ) von dem Urteil betroffen. Manche von ihnen haben während der Haft jegliche Therapie abgelehnt. Das Ministerium verweist darauf, dass die betroffenen Personen zum Schutz der Bevölkerung automatisch der sogenannten Führungsaufsicht unterliegen. So kann das Gericht dem Entlassenen auferlegen, sich bestimmten Orten wie etwa Schulen oder Kindergärten nicht zu nähern.

Nach wochenlangem Koalitionsstreit um die Reform der Sicherungsverwahrung räumte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vergangene Woche ein, die von ihm ins Spiel gebrachte "Sicherungsunterbringung" greife bei einem Teil der 80 Altfälle nicht. Nach einem Vorschlag von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) soll bei den aus der Sicherungsverwahrung Entlassenen die elektronische Fußfessel zum Einsatz kommen, um jederzeit feststellen zu können, wo die Betreffenden sich aufhalten. Bedenken gegen diesen Vorstoß äußerten indes Vertreter der Opposition. Es müsse diskutiert werden, ob die elektronische Fußfessel ein geeignetes Mittel sei, da sie lediglich die "Ortung" des Betreffenden, nicht jedoch die Verhinderung von Straftaten ermögliche, sagte die SPD-Rechtsexpertin Christine Lambrecht dieser Zeitung. Ihr Grünen-Kollege Jerzy Montag ergänzte, die "Forderung nach einer elektronischen Fußfessel ist nicht durchdacht, denn diese ist technisch überhaupt nicht geeignet, die Einhaltung zulässiger Weisungen zu überwachen". Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, wies darauf hin, dass sich Kinderschänder auch mit einer solchen Fessel in der Nähe eines Kinderspielplatzes aufhalten könnten. Ein Eingreifen der Polizei könne dann zu spät kommen. Wendt wandte sich auch gegen eine dauerhafte Bewachung potenziell gefährlicher Personen, die in die Freiheit entlassen wurden, durch die Polizei. Dies sei "völlig unakzeptabel" und mit dem knappen Personal der Polizei auch nicht leistbar. Stattdessen sollten Foto und Adresse von einschlägig Vorbestraften im Internet veröffentlicht werden.

Nach Auffassung der Bundesjustizministerin müssen die Länder entscheiden, wie es nach dem Spruch aus Straßburg weitergeht. Der Vollzug der Sicherungsverwahrung müsse sich von der Haft unterscheiden, forderte die FDP-Politikerin. Zugleich warf sie den Ländern vor, die Vorbereitungen auf die anstehenden Entlassungen seien nicht hinreichend koordiniert gewesen.

Bereits im Herbst 2009 hatten CDU, CSU und FDP bei ihren Koalitionsverhandlungen vereinbart, die Sicherungsverwahrung neu zu ordnen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf legte Leutheusser-Schnarrenberger Anfang Juni vor. Darin ist unter anderem vorgesehen, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung künftig nur noch in absoluten Ausnahmefällen angeordnet werden kann. Diese Maßnahme habe sich als "wenig praxistauglich" erwiesen, begründete die Ressortchefin ihre Linie. Die von ihr angestrebte Neuordnung beruhe auf einem Wechsel hin zu einer "möglichst frühzeitigen und verlässlichen Entscheidung über die Gefährlichkeit des Täters". Künftig sollten Gerichte bei der Verurteilung Sicherungsverwahrung anordnen dürfen. In unklaren Fällen müssten die Richter sich eine endgültige Anordnung vorbehalten.

Die SPD-Fraktion signalisierte für Leutheusser-Schnarrenbergers Konzept Unterstützung und betonte, die Sicherungsverwahrung auf Sexual- und Gewalttäter zu beschränken. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung müsse abgeschafft und die "Möglichkeit der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung erleichtert werden, ohne dass diese zur Regel wird", sagte Lambrecht. Dagegen bewertete der Rechtsexperte der Linksfraktion, Wolfgang Neskovic, den Entwurf der Ministerin als "Fortsetzung des überzogenen Sicherheitsdenkens". "Der Rechtsstaat ist immer eine Risikoveranstaltung. Wer das nicht erträgt, hat ihn nicht verdient", sagte er.