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Wirbelwind an der Waterkant

SCHLESWIG-HOLSTEIN Bis 2012 wird neu gewählt, weil das oberste Gericht das Wahlgesetz für verfassungswidrig erklärte

06.09.2010
2023-08-30T11:26:03.7200Z
3 Min

Der Schleswig-Holsteinische Landtag liegt direkt an der Kieler Förde. Bald werden wieder Herbststürme gegen die Glasfassade des Parlaments prallen. Auch drinnen dürfte es dann stürmisch zugehen: Denn das Land bereitet sich erneut auf einen vorzeitigen Urnengang vor. Schon im September 2009 wurde sieben Monate früher als geplant gewählt, weil die Große Koalition geplatzt war. Am vergangen Montag setzte das Landesverfassungsgericht eine Frist bis Ende September 2012 für die nächste Landtagswahl.

"Sicher wird die nächste Landtagssitzung spannender als manch andere", sagt CDU-Landtagspräsident Torsten Geerdts. Von Mittwoch bis Freitag kommender Woche stünden "ganz vorne die Beratungen zum nächsten Haushalt an". Der Ältestenrat hat deshalb Überstunden verhängt. Die Mittagspausen werden um eine Stunde verkürzt, am Freitag soll getagt werden, bis alle Punkte komplett abgearbeitet sind.

Jetzt haben die Parlamentarier darüber hinaus noch ganz andere Sorgen: Die Verfassungsrichter erklärten das Wahlgesetz in Teilen für unvereinbar mit der Landesverfassung und gaben dem Landtag bis Ende Mai 2011 Zeit, ein neues Gesetz zu verabschieden. "Das ist eine ambitionierte Frist, aber ich bin sicher, dass wir es schaffen werden", sagt Geerdts. Bereits in der kommenden Woche "werden wir uns mit den Spitzen der Fraktionen zusammensetzen". Die verfassungsmäßige Größe von 69 Parlamentssitzen soll nach dem Spruch des Gerichts möglichst eingehalten werden. Derzeit hat der Landtag aber 95 Abgeordnete. Die Zweitstimmenverhältnisse der Wahl vom 27. September 2009 werden dennoch nicht abgebildet. Zwar erhielten SPD, Grüne, Linke und die Partei der dänischen Minderheit, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), rund 27.000 Stimmen mehr als CDU und FDP. Schwarz-Gelb verfügt aber über eine Mehrheit, weil drei Unions-Überhangmandate nicht ausgeglichen wurden.

Einer Wahlprüfungsbeschwerde der Linken gegen die umstrittene Sitzverteilung hatten sich knapp 50 weitere Beschwerdeführer angeschlossen. Grüne und SSW klagten in Schleswig parallel gegen das Wahlgesetz. Laut Gericht muss die sogenannte Erfolgswertgleichheit aller Stimmen garantiert sein. Ungedeckte Mehrsitze, wie sie das Wahlgesetz mit einer missverständlichen Vorschrift zur Begrenzung der Parlamentsgröße vorsieht, darf es künftig nicht mehr geben. Bei einem vollen Ausgleich der CDU-Überhangmandate säßen im Kieler Landtag insgesamt 101 Abgeordnete, aber nur 50 von CDU und FDP.

An einer Reduzierung der aktuell 40 Wahlkreise führt deshalb kaum ein Weg vorbei. Darüber herrscht im Prinzip Einigkeit. Die Grünen haben bereits einen Gesetzentwurf eingebracht. Sie wollen höchstens 30, die SPD will möglichst nicht unter 35 Wahlkreise gehen. Die Initiative "Mehr Demokratie wagen" schlägt elf Wahlkreise wie bei der Bundestagswahl vor, in denen jeweils vier Kandidaten direkt gewählt werden. Die Bürger hätten drei Stimmen, die sie auf einen Bewerber konzentrieren oder auf Kandidaten verschiedener Parteien verteilen könnten. Die Sozialdemokraten regen eine Rückkehr zum Einstimmen-Wahlrecht an.

Landtagspräsident Geerdts möchte die Debatte moderieren. Auch deshalb will er auf dem Parteitag am 18. September nicht mehr als CDU-Landesvize kandidieren, sondern sich künftig voll auf das Amt des Landtagspräsidenten konzentrieren. Auf dem Rückzug ist auch Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU): Er kündigte bereits seinen Verzicht auf den Landesvorsitz an und schlug den 39-jährigen Fraktionschef Christian von Boetticher als Nachfolger vor.

Zweifelhaft ist, ob CDU und FDP angesichts knapper Mehrheit und geplanter Haushaltseinschnitte wie angestrebt bis 2012 durchhalten. Die Opposition drängt auf einen schnellen Wahltermin - auch weil CDU und SPD nach einer Infratest-Umfrage derzeit gleichauf bei 32 Prozent liegen. Beide könnten gemeinsam mit den Grünen (19 Prozent) regieren. Schwarz-Gelb wäre derzeit demnach nicht möglich.

Wie rau die Stimmung zwischen den Lagern ist, zeigt die teilweise Aufkündigung des Pairing-Abkommens mit der CDU durch die Grünen. Der gute parlamentarische Brauch sieht vor, dass ein Grüner für jeden kranken oder verhinderten CDU-Abgeordneten Abstimmungen ebenfalls fernbleibt. Von nun an wollen die Grünen dies nur noch im Krankheitsfall tun.

Der Autor ist Redakteur von dapd