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Abwicklung statt Auflösung

BUNDESWEHR Die schwierige Integration der DDR-Armee

06.09.2010
2023-08-30T11:26:03.7200Z
3 Min

Der 28. August 1990 markiert den Anfang vom Ende der Nationalen Volksarmee (NVA). Im DDR-Ministerium für Abrüstung und Verteidigung in Strausberg bei Berlin nimmt eine Verbindungsgruppe der Bundeswehr ihre Arbeit auf. Ihr Prüfauftrag: Wie schnell kann die NVA aufgelöst und Personal sowie Ausrüstung in die Bundeswehr integriert werden. Die von DDR-Verteidigungsminister Rainer Eppelmann (CDU) ins Spiel gebrachte Idee "ein Land - zwei Armeen" ist Geschichte. Am 3. Oktober übergibt Eppelmann die 103.000 NVA-Soldaten an Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU).

Übernommen werden dabei zunächst auch 51.000 Berufs- und Zeitsoldaten der NVA, von denen 58 Prozent die Bundeswehr Ende 1991 wieder verlassen haben sollten. Neben dem Personal bekommt die Bundeswehr auch mehr als 2.000 NVA-Kampfpanzer, gut 1,2 Millionen Handfeuerwaffen und 300.000 Tonnen Munition, knapp 400 Kampfflugzeuge und 57 Kampfschiffe sowie 3.315 Liegenschaften von NVA und Grenztruppen.

Neuer Fahneneid

General Jörg Schönbohm erhält als Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost den Auftrag, die NVA abzuwickeln und Teile zu integrieren. Noch ist für viele undenkbar, Soldaten einer "Armee unter Schießbefehl" in demokratische Strukturen zu übernehmen. Ebenso wenig akzeptabel scheint es, den "Anteil der NVA am friedlichen Verlauf des gesellschaftlichen Umgestaltungsprozesses" zu sehen, wie Eppelmanns Staatssekretär Werner Ablass beim letzten Zapfenstreich der DDR-Armee sagte. Dennoch wird entschieden, die NVA nicht völlig aufzulösen.

Rückblick: Die Gründung der NVA erfolgte 1956. Allerdings wurden die Grundstrukturen bereits mit der Kasernierte Volkspolizei Anfang der 1950er Jahre gelegt. Bis zur Einführung der Wehrpflicht 1962 war die NVA offiziell eine Freiwilligenarmee. Im Laufe der Jahrzehnte schworen mehr als drei Millionen junge Männer, der DDR "allzeit treu zu dienen und sie auf Befehl der Arbeiter-und-Bauern-Regierung gegen jeden Feind zu schützen".

Im Frühjahr 1990 beschloss die frei gewählte Volkskammer, die NVA-Soldaten unter einen neuen Fahneneid zu stellen. Jetzt hieß es, getreu den Gesetzen die "militärischen Pflichten stets diszipliniert und ehrenhaft zu erfüllen". Bewusst am 20. Juli, dem Jahrestag des Attentates gegen Hitler, wurden die Soldaten erstmals nicht mehr dazu verpflichtet, den Sozialismus zu verteidigen. Am 24. September unterzeichneten dann Eppelmann und der sowjetische General Pjotr Luschew das Protokoll über die Herauslösung der NVA aus dem Warschauer Vertrag. Der Weg auch zur militärischen Einheit Deutschlands war frei.

Bereits im August 1990 hatten sich der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Willy Wimmer (CDU), und sein damaliger DDR-Amtskollege Bertram Wieczorek (CDU) innerhalb von drei Tagen auf "Grundsätze für die Einordnung der NVA in den Vereinigungsprozess" geeinigt. Ausgegangen wurde von einer Gesamtstärke der Armee von 370.000 Mann: 320.000 aus der Bundeswehr und 50.000 aus der NVA. Bereits bis Dezember 1990 sollte die NVA-Generalität um etwa 80 Prozent schrumpfen.

Letztlich wurden alle NVA-Generale entlassen. Von 17.000 einstigen NVA-Offizieren, die am 4. Oktober 1990 der Bundeswehr zugeteilt wurden, hatten am 1. Januar 1991 etwa 8.000 einen Zweijahresvertrag erhalten. Letztlich wurden nur 2.500 vom Heer sowie einige Hundert bei Luftwaffe und Marine übernommen. Rund 7.600 Unteroffiziere erhielten weiterführende Dienstverhältnisse der Bundeswehr. Was viele als Erfolg der Integration feierten, bezeichnete Ex-DDR-Verteidigungsminister Theodor Hoffmann als Ausgrenzung der meisten der rund 32.000 früheren Berufsoffiziere.

Für eine Abwicklung der NVA statt Auflösung gab es noch einen anderen Grund, wie sich Wimmer erinnert: "Das Beispiel, wie man mit der Armee eines verbleichenden Systems umgehen kann, ist auch in den sowjetischen Streitkräften, die sich noch in Deutschland befinden, nicht ohne Wirkung geblieben." Denn mit der Auflösung des Warschauer Pakts kam 46 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg auch für die sowjetischen Truppen in Deutschland der Befehl zur Rückverlegung in die Heimat. Etwa 380.000 Militärangehörige, mehr als 120.000 Zivilangestellte und Angehörige verließen Deutschland zwischen 1991 und 1993 in Jahresetappen zu je 30 Prozent. Die letzten 10 Prozent folgten 1994 - die größte Truppenverlegung zu Friedenszeiten.

20 Jahre nach der Wiedervereinigung lobte Bundespräsident Christian Wulff bei seinem ersten Truppenbesuch an der Marineschule in Flensburg-Mürwik: "Die Bundeswehr ist nach dem Mauerfall ein Vorbild für Integration. Als ,Armee der Einheit' haben die Streitkräfte eine Vorreiterrolle beim Zusammenwachsen und der Überwindung der Teilung seit 1989/90 eingenommen." Das war am 13. August, dem 49. Jahrestag des Mauerbaus in Berlin.

Der Autor ist sicherheitspolitischer Korres- pondent der Nachrichtenagentur dapd.