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Schuld sind immer die anderen

IRAN Peyman Jafari glaubt an ein unvermeidliches Ende der Islamischen Republik

15.11.2010
2023-08-30T11:26:09.7200Z
3 Min

Hätten die Massendemonstrationen im Sommer 2009 zum Sturz des iranischen Mullah-Regimes führen können? In seiner aktuellen Studie versucht der gebürtige Iraner Peyman Jafari, der seit 20 Jahren im niederländischen Exil lebt, dem Leser die politische Entwicklung seines Heimatlandes nahe zu bringen. Er berichtet vom Kampf der Menschen für Freiheit und soziale Gerechtigkeit, zugleich räumt er mit Fehlurteilen auf. Die Massenproteste hätten gesellschaftliche Kräfte freigesetzt, die weder die regierenden "Konservativen" noch die oppositionellen "Reformer" beherrschen könnten, schreibt Jafari und bewertet sie als Anfang vom unvermeidlichen Ende der Islamischen Republik.

Ausführlich beschreibt Jafari die Politik von Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Allerdings erscheinen die Versuche des Politologen, die Hasstiraden des iranischen Präsidenten gegen den Staat Israel zu erklären, reichlich naiv. So ist es schlicht eine gefährliche Verharmlosung, wenn Jafari behauptet, die aggressiven Aussagen Ahmadinedschads seien "nur" innenpolitisch motiviert. Erinnert sei nur an das Diktum des Präsidenten, Israel müsse "von der Landkarte gefegt" werden. Obwohl Ahmadinedschad das Existenzrecht Israels leugnet, interpretiert Jafari diese Aussage nicht "als akute Drohung". Mit Blick auf die Leugnung des Holocausts zeigt sich ein ähnliches Bild: Zwar kritisiert Jafari Ahmadinedschads Haltung, zugleich versucht er aber, die Motive des Präsidenten mit seiner Empörung über die in westlichen Zeitungen publizierten Mohammed-Karikaturen zu relativieren.

Auch bei der Darstellung des Nuklear-Programms des Irans übernimmt der Autor kritiklos die Erklärungen Teherans nach dem Motto: Schuld an der verfahrenen Lage sind immer die anderen. Als unabhängiger Beobachter hätte er zumindest darauf hinweisen müssen, dass Teheran die Existenz des Atomprogramms stets abgestritten hatte und immer nur das zugibt, was zweifelsfrei bewiesen werden kann.

Konfliktlinien

Im Gegensatz zu dieser außenpolitischen Einseitigkeit arbeitet Peyman Jafari die innenpolitischen Konfliktlinien im Iran hervorragend heraus: Überzeugend erklärt Jafari, warum Achmadinedschad an die Macht kommen konnte und wie sein System funktioniert. Während seiner ersten Amtszeit versuchte der Präsident, die in Koran und Scharia enthaltenen Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit tatsächlich zu realisieren. Und scheiterte. Danach schlug er den Weg eines "Neopopulisten" ein: Achmadinedschad nahm bei seinen Reisen in 350 Städte und Dörfer rund 9 Millionen Bittschriften entgegen und übergab medienwirksam kleine Geldgeschenke in bar - in einer Gesamthöhe von 10 Millionen Dollar.

Im Rahmen seiner Kampagne für "soziale Gerechtigkeit" verschenkte der iranische Präsident aus dem Staatseigentum so genannte Gerechtigkeitsanteile im Wert von je 1.000 US-Dollar an Bedürftige, und auf dem Land ließ er Lebensmittel verteilen. Wie schon in Russland führte diese Politik der Eigentumsübertragung jedoch auch im Iran dazu, dass einflussreiche politische Kreise und Institutionen den Einkommensschwachen ihre "Gerechtigkeitsanteile" abkauften und die Betriebe privatisierten. Folglich stärkte Achmadinedschad "die Staatsklasse", wie Jafari die politisch einflussreiche Schicht der "iranischen Nomenklatura" nennt.

Insbesondere die Revolutionsgarde, die Pasdaran, übernahm die Filetstücke der Petrochemie, der Rüstungsindustrie und des Transportwesens. Entsprechend enttäuscht zeigten sich die Anhänger des Präsidenten von den Folgen dieser Politik.

Der Kampf um die Kontrolle über die iranische Wirtschaft ist in vollem Gange: einander gegenüberstehen die "Reformer" um Ex-Präsident Rafsandschani und Achmadinedschads "Neokonservative". Der tiefe Riss, der die politische Elite trennt, wurde nach der Präsidentschaftswahl 2009 für alle Welt sichtbar.

Peyman Jafari:

Der andere Iran. Geschichte und Kultur von 1900 bis zur Gegenwart.

Verlag C.H.Beck, München 2010; 223 S., 19,95 €