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Man versteht nur Bahnhof

STUTTGART 21 Expertenstreit im Verkehrsausschuss vor vollen Rängen- Grüne zweifeln Nutzen-Kosten-Verhältnis an

15.11.2010
2023-08-30T11:26:09.7200Z
4 Min

Ein Hauch von Schlichtung wehte am vergangenen Mittwoch durch den Bundestag. Der Verkehrsausschuss hatte zu einer öffentlichen Expertenanhörung zum Thema Stuttgart 21 geladen. Die Ränge im großen Anhörungssaal des Elisabeth Lüders Hauses waren voll besetzt. Mit Bahn-Vorstand Volker Kefer und dem Stuttgarter Stadtrat Hannes Rockenbauch waren auch zwei in Schlichtungsrunden erprobte Experten im Saal. Was folgte, war allerdings nur ein weiterer Austausch von Argumenten der Befürworter und Gegner des Bahnprojektes. Wie in dem Streit ein Kompromiss gefunden werden soll, mit dem beide Seiten leben können, blieb aber auch nach dieser Anhörung unklar. Zu verhärtet sind nach wie vor die Fronten.

15 Jahre Planung

Da sind auf der einen Seite die Unterstützer eines Bahnhofsneubaus - allen voran die Deutsche Bahn AG. Deren Vorstandsmitglied Volker Kefer verwies bei der Anhörung darauf, dass alle Genehmigungsverfahren für die Projekte eingeleitet und bis auf zwei Verfahren auch bereits zu Ende geführt seien. "Zu den wesentlichen Bauabschnitten liegen rechtskräftige Genehmigungen vor", betonte Kefer und sprach sich für die Weiterführung der Baumaßnahmen aus. 15 Jahre Planung dürften nicht umsonst gewesen sein, sagte er und verwies auch auf die städtebaulichen und verkehrstechnischen Vorteile, die durch die Projekte erreicht würden. So würden durch den unterirdischen Bahnhof "100 Hektar städtebaulich wertvolle Fläche frei". Unterstützung fand er bei Udo Andriof, Sprecher des Bahnprojektes Stuttgart 21, der es "politisch falsch" nannte, rechtsstaatliche Genehmigungsverfahren durch einen Volksentscheid aushebeln zu wollen. Das Projekt habe über Jahrzehnte hinweg auf Bundes- wie auch auf Landes- und Kommunalebene eine parlamentarische Mehrheit gefunden.

Hannes Rockenbauch, erklärter Gegner des Projektes, sieht hingegen im Umgang mit Stuttgart 21 den "Prototyp einer Entscheidungskultur, die die Menschen ausgrenzt". Immer wieder sei die Wahrheit - etwa über die Kostenentwicklung - nur "scheibchenweise" herausgekommen. Rockenbauch sprach von einem "Projekt aus dem letzten Jahrtausend". Heute wollten die Menschen keine Investition mehr in Beton, sagte er und erneuerte seine Forderung: "Stoppen Sie Stuttgart 21."

Ein solcher Stopp verstoße nicht gegen die "demokratischen Spielregeln" sagte der Wirtschaftswissenschaftler Christian Böttger. Zwar sei das Planungsrecht für die Projekte "unstrittig" vorhanden. "Das Haushaltsrecht gebietet es aber schon, dass man Projekte regelmäßig überprüft und auch abbricht, wenn die Ziele nicht erreicht werden", urteilte Böttger.

Der Argumentation von Bahn-Vorstand Kefer, wonach der entstehende Durchgangsbahnhof "zukunftsfähiger als der bisherige Kopfbahnhof" sei, widersprach der Verkehrsplaner Karlheinz Rößler. Der Stuttgarter Kopfbahnhof sei in seiner Leistungsfähigkeit durchaus optimierbar. Es gebe hingegen kaum eine deutsche Stadt, die einen Fernbahn- und Regionalbahnhof mit nur acht Durchgangsgleisen habe, sagte Rößler. Lediglich in Hamburg und Köln sei dies der Fall, was auch immer wieder zu Engpässen führe. "Ein solcher Engpass soll nun in Stuttgart mit Milliardenaufwand erst gebaut werden", kritisiert er.

Neubaustrecke

Ebenso umstritten aber auch fest verwoben mit dem Bau des unterirdischen Durchgangsbahnhofes ist die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Die 60 Kilometer lange Trasse soll die Fahrzeit zwischen Stuttgart und Ulm fast halbieren und rund 2,9 Milliarden Euro kosten. Hierbei stehe der Bund in der Verantwortung und trage das volle Kostenrisiko, sagte Enak Ferlemann (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium während der Anhörung. Diese Risiken seien jedoch eingeplant worden, sagte er und stellte klar: "Die Strecke ist wirtschaftlich." Das bestätigte auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) bei der Vorstellung des Bedarfsplans für Straße und Schiene bis zum Jahr 2025. Daraus gehe hervor, dass die Strecke ein Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) in Höhe von 1,5 und im schlechtesten Falle von 1,0 habe.

Um auf diese Ergebnisse zu kommen, habe das Ministerium "Taschenpielertricks" benutzt, entgegnete der Grünen-Abgeordnete Winfried Hermann daraufhin. Sein Fraktionskollege Anton Hofreiter hatte schon während der Anhörung Zweifel angemeldet. Rechne man aus dieser Analyse den Güterzugverkehr heraus, der mit "virtuellen leichten Zügen" erfolgen solle, die es derzeit nirgendwo in Deutschland gebe, liege das NKV bei 0,92. Die Strecke dürfe also gar nicht gebaut werden.

Höhenunterschied

Die Güterzugtauglichkeit der Strecke hatte auch Verkehrsberater Rößler in Zweifel gezogen. Angesichts eines zu überwindenden Höhenunterschiedes von 400 Metern könne eine moderne vierachsige Lok gerade noch acht Waggons ziehen, sagte Rößler. Dem entgegnete der Wirtschaftswissenschaftler Werner Rothengater, er habe vom Güterverkehr der Zukunft eine ganz andere Vorstellung. "Kompakte Logistikzüge" würden seiner Ansicht nach zukünftig ein wichtiges Bahnsegment sein. Das werde zu "leichten Güterzügen" führen.

Für Uwe Beckmeyer (SPD) gibt es solange nichts zu beanstanden, wie sich das Projekt im vorgesehenen Kostenrahmen bewegt. Die FDP-Fraktion sei zu dem Schluss gekommen, dass Kosten und Nutzen es rechtfertigen würden, an dem Projekt festzuhalten, sagte Patrick Döring.

Der Unionsabgeordnete Stefan Kaufmann erinnerte daran, dass das Projekt "nicht über Nacht gekommen ist". Er kritisierte die Opposition für deren Forderungen nach einem Baustopp. Die Linksfraktion bleibe bei ihrer ablehnenden Haltung, sagte Sabine Leidig. Der Bundestag, so ihre Forderung, müsse den Ausstieg aus den Projekten beschließen.