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Rettungsschirm für Kleine

Kinderschutz Schröder wagt neuen Anlauf - doch selbst der eigene Koalitionspartner ist kritisch

03.01.2011
2023-08-30T12:16:34.7200Z
4 Min

Immer wieder beherrschten schreckliche Fälle von Kindesmisshandlung in den vergangenen Jahren die Medien: So das Schicksal der 14 Monate alten Jacqueline, die in der Wohnung ihrer Eltern in Hessen verhungerte. Oder das Leiden der fünfjährigen Lea-Sophie, die ihre Eltern ebenfalls verhungern und verdursten ließen. Die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) wollte daraufhin ein Kinderschutzgesetz schaffen, das auf stärkere Kontrollen durch das Jugendamt setzte. Sie scheiterte aber am Widerstand von Experten und des damaligen Koalitionspartners SPD.

Mehr Misshandlungsfälle

Das Wie in Sachen Kinderschutz ist zwischen den Fraktionen umstritten - nicht aber das Ob. Seit 1990 hat sich die Zahl misshandelter Kinder verdreifacht. Mehr als 4.000 Fälle wurden allein im Jahr 2009 in der polizeilichen Kriminalstatistik registriert. Und in den vergangenen fünf Jahren stieg die Zahl der Fälle, in denen Eltern das Sorgerecht entzogen wurde, um 40 Prozent.

Mitte Dezember machte nun von der Leyens Nachfolgerin Kristina Schröder (CDU) einen neuen Vorstoß und präsentierte ihren Entwurf für ein Kinderschutzgesetz. Das geplante Regelwerk - nach Aussagen Schröders "eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben dieser Bundesregierung" - soll sowohl Kindesvernachlässigung als auch sexuellen Missbrauch verhindern. Die Eckpunkte: Kinder und Jugendliche sollen in Schulen, Internaten oder Sportvereinen besser vor sexuellem Missbrauch geschützt werden. Diese Institutionen haben dem Entwurf zufolge künftig Mindeststandards zum Kinderschutz zu erfüllen, wenn sie staatliche Förderung beziehen wollen. Ihre hauptamtlichen Mitarbeiter müssen ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen.

Eine Kernregelung des Gesetzes, das Anfang 2012 in Kraft treten soll, ist ferner, dass immer dann, wenn Eltern umziehen, alle Informationen zum dann zuständigen Jugendamt übermittelt werden. Eltern sollen sich so nicht mehr qua "Jugendamts-Hopping" der Kontrolle des Amtes entziehen können. Schröder will die Jugendamtsmitarbeiter zudem zu Hausbesuchen verpflichten, sofern es schwerwiegende Anhaltspunkte für Misshandlungen gibt. Eine Regelung, die auch von der Leyen vorgesehen hatte, die aber damals heftig kritisiert wurde. Auch jetzt regt sich Widerstand: "Die Familienministerin sollte sich stärker darauf konzentrieren, die Zusammenarbeit aller für den Kinderschutz relevanten Bereiche zu verbessern und die entsprechenden Akteure personell und materiell ausreichend auszustatten", erklärte die Vizefraktionschefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Ekin Deligöz.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Wenn Hinweise auf eine "akute Kindeswohlgefährdung" vorliegen, soll es Ärzten erlaubt sein, Informationen an Jugendämter weiterzugeben -sie werden nach dem Willen Schröders also in bestimmten Fällen von ihrer Schweigepflicht entbunden.

Grundsätzlich sollen Kinder vom frühestmöglichen Zeitpunkt an geschützt werden: Schon während der Schwangerschaft und kurz nach der Geburt sind Hilfen für Eltern vorgesehen, und zwar in Gestalt von Familienhebammen. Diese Hebammen kümmern sich um Familien mit besonderem Hilfebedarf. 120 Millionen Euro will die Ministerin für ihren Einsatz bereitstellen.

Schröder möchte den Entwurf nach der Ressortabstimmung in zwei oder drei Monaten ins Kabinett einbringen. Bis dahin steht voraussichtlich noch viel Arbeit an: Zunächst einmal muss sie den Koalitionspartner mit ins Boot holen. Denn die FDP kritisierte das Konzept nach der Präsentation massiv. Der Entwurf sei nicht mit der FDP-Fraktion abgestimmt gewesen, klagte etwa die familienpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Miriam Gruß. Sie forderte, Schröder müsse ein "schlüssiges Finanzierungskonzept" vorlegen. Schon jetzt hätten die Jugendämter personelle Probleme. Mit dem neuen Kinderschutzgesetz käme noch mehr Arbeit auf sie zu. Im Vergleich zur Kritik der Liberalen fiel das Urteil der Opposition fast schon milde aus: Die SPD-Familienpolitikerin Caren Marks kündigte zunächst eine genaue Prüfung der Regelungen an, sobald der Entwurf vorliege. Auch sie mahnte an, die Kommunen müssten in der Lage sein, Jugendämter und Jugendhilfe "bedarfsgerecht" auszustatten. "Daher erwarten wir von der Bundesfamilienministerin, dass sie die Kommunen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben nicht im Regen stehen lässt", betonte Marks. Sie begrüßte aber die geplante Stärkung der Familienhebammen: Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, "Eltern schon vor der Geburt zu begleiten", sagte Marks, "Kinderschutz darf nicht erst dann ansetzen, wenn etwas schiefgelaufen ist."

Die kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Diana Golze, plädiert für ein "verlässliches und breites Netz von niedrigschwelligen Hilfe- und Beratungsangeboten". Die Vorstellungen der Familienministerin zum Thema Kindesschutz "bekämpfen Symptome, verbessern aber nicht die Situation", bemängelte Golze.

Projekt »Riskid«

Eine kleine Verbesserung der Situation misshandelter Kinder könnte es schon vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes geben: Kürzlich stellten in Berlin die Deutsche Kinderhilfe und der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BKD) das Projekt "Riskid" (Risiko-Kinder-Informationssystem Deutschland) vor. "Riskid" ist eine Datenbank für Ärzte. Medizinern soll unter Wahrung der Schweigepflicht ermöglicht werden, Verdachtsfälle und Diagnosen untereinander auszutauschen. Allerdings müssen die gesetzlichen Vertreter der Kinder zustimmen. In vielen Fällen dürfte allein das schon zum Scheitern führen. Katja Wilke z