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Interview mit Günter Nooke : »Selbst stark werden«

Interview mit Günter Nooke Der Afrikabeauftragte der Kanzlerin setzt nicht nur auf westliche Gelder. Er hat auch die Menschenrechte im Visier

07.03.2011
2023-08-30T12:16:38.7200Z
5 Min

Seite einem knappen Jahr sind Sie G8-Afrika-Beauftragter der Bundesregierung. Wie ist Ihre Bilanz?

Für eine Bilanz ist es zu früh. Afrika ist ein Kontinent mit großen Chancen und Möglichkeiten, aber auch vielen Risiken und Instabilitäten. Wir brauchen deshalb ein realistisches Afrikabild und sollten nicht nur über dortigen Rohstoffreichtum reden. Darum bemühe ich mich. Neben den rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für private Investitionen geht es mir auch weiter um elementaren Menschenrechtsschutz und Demokratie in Afrika und eine bessere Verzahnung und Kooperation von Bundesressorts wie dem Entwicklungsministerium und dem Wirtschaftsministerium und mit der europäischen Ebene.

Ist dies für Sie als langjährigem Menschenrechts-Beauftragten der Bundesregierung nicht ein vergebliches Unterfangen, wenn man sieht, das dieses Thema das in Afrika vorpreschende China gar nicht interessiert?

Als erstens muss man verstehen, wie Afrika funktioniert. Wir dürfen da nicht vom europäischen Verständnis ausgehen. Was nützen die besten Gesetze, wenn es keine unabhängige Justiz gibt? Bei solchen Verhältnissen hat nicht nur China, sondern haben auch andere aufstrebende Volkswirtschaften wie Indien oder Brasilien strukturelle Vorteile für Geschäfte in Afrika. Westliche Firmen und Staaten können nicht mit China um die höchsten Schmiergelder konkurrieren. Deutsche Interessenspolitik ist immer auch Menschenrechtspolitik und die Förderung von Rechtsstaatlichkeit. Das ist wichtig auch für unsere kleinen und mittelständischen Firmen, die keine großen Rechtsabteilungen haben oder vor Ort präsent sein können, sondern auf verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen sind. Der Rechtsstaat muss auch von ausländischen Investoren gegen eine afrikanische Regierung in Anspruch genommen werden können. Davon sind viele afrikanische Ländern weit entfernt. Wir sollten aber vor China nicht zu viel Angst haben. Proteste innerhalb Chinas wie in diesen Tagen machen das Land schwächer als es scheint.

Die Bundesregieung plant ein Afrika-Konzept "aus einem Guss". Können Sie Eckpfeiler nennen?

Federführend ist das Auswärtige Amt. Für mich wäre ein zentraler Punkt, ein realistisches Bild von einem Afrika zu zeichnen, nicht paternalistisch von oben herab bewertend, keine Zugeständnisse aus falsch verstandener Romantik bezogen auf die "Schwarzen" in Afrika, die wir woanders auch nicht machen würden. Auch Afrikas Vielfalt muss in einem Afrika-Konzept zum Ausdruck kommen. Für mich geht es aber zuerst darum, politische Leitlinien für das Handeln aller Bundesressorts und darüber hinaus festzuschreiben. Bei Gaddafi in Libyen und in Nordafrika wundern wir uns jetzt über Menschen und Diktatoren, die dort an der Macht waren und mit denen wir viel zu lange viel zu freundlich geredet haben.

Kann sich denn in Nordafrika, wo jetzt reihenweise die Regime stürzen, Demokratie entwickeln?

Ich glaube, Demokratie kann sich in jedem Land entwickeln. In Nordafrika finden Freiheitsrevolutionen statt. Freiheit hat etwas Ansteckendes. Und Freiheit kann missbraucht werden. Wir dürfen das Problem der weltweiten Erstarkung und Ausbreitung des Islamismus nicht unterschätzen. Das gilt auch für Subsahara-Afrika. Die Kunst der Politik besteht auch darin, angesichts großer Probleme die Lage ehrlich zu beschreiben und zuzugeben, dass wir von außen an vielen Stellen nicht so viel ändern können, wie wir gerne möchten. Man kann in souveräne Staaten nicht mit dem Militär Menschenrechtsschutz bringen. Mir wäre es wichtiger, den Despoten klar zu sagen, dass wir im Zweifel immer auf der Seite der Menschen stehen, die für ihre Freiheit protestieren oder dafür, dass sie genug zu essen haben. Wichtig ist das Signal, das der UN-Sicherheitsrat mit den Sanktionen gegen Gaddafi und Libyen an die Diktatoren dieser Welt aussendet: Seid Euch nicht zu sicher, auch was Euren Lebensabend mit Geldern auf Schweizer und Londoner Konten angeht. Ganz wichtig ist auch, dass der Internationale Menschenrechtsgerichtshof in Den Haag im Fall Libyen ermittelt. Vielleicht werden Diktatoren oft zu spät bestraft, noch schlimmer wäre es, wenn sie ungeschoren davon kämen.

Aber jenseits aller Menschenrechte und Demokratie interessiert die Afrikaner doch auch, bald zu Wohlstand zu kommen. Wie sehen Sie da die Chancen?

Die afrikanischen Länder müssen so stark werden, dass sie sich selbst in die Weltwirtschaft integrieren und eine selbsttragende Entwicklung von innen heraus möglich wird. Deshalb darf es nicht nur Hilfsgelder vom Westen geben. Wir können Rechtsberatung anbieten oder die Polizei schulen. Am Ende geht es aber um die Frage: Gibt es verantwortliche Regierungen, die Wachstum für die breite Bevölkerung wollen, oder schafft eine Elite möglichst viel und schnell für sich oder die eigene Familie beiseite? Schauen Sie nur nach Simbabwe, das ehemals vielleicht reichste Land in Afrika. Dort herrscht immer noch Mugabe. Wir haben auch die ungeklärte Machtsituation in der Elfenbeinküste. Unter solchen Bedingungen ist es ganz schwierig, dass sich ein Land aus sich selbst heraus positiv entwickelt. Hohe Wachstumsraten gibt es in Nigeria, Angola, Kenia und Südafrika, aber das muss mehr Menschen nützen.

Gibt es noch andere positive Beispiele?

Das fragile Liberia macht nach dem schrecklichen Bürgerkrieg eine positive Entwicklung durch. Viele rohstoffreiche Länder locken Firmen als Investoren an. Sie müssen aber diese Ressourcen für die eigene Entwicklung nutzbar machen. Botswana ist ein positives Beispiel dafür, mit den Einnahmen aus dem Diamantengeschäft eine gute Entwicklung angestoßen zu haben. Bei Sierra Leone wurden dagegen die Diamanten aus dem Land geschafft ohne davon zu profitieren. Auch im Ostkongo ist der Rohstoffreichtum eher Fluch statt Segen. Wir haben sehr unterschiedliche Entwicklungen in Afrika. In vielen Gebieten gibt es keine staatliche Autorität. Jede Rebellengruppe hatte im Kongo eine eigene Mine, die sie beschützt und mit Geld für Waffen versorgte.

Apropos Staaten: Mit Südsudan entsteht nach dem Referendum jetzt ein neuer Staat in Afrika. Ein neuer Kandidat für Entwicklungshilfe?

Das Referendum war im Nord-Süd-Friedensabkommen von 2005 vorgesehen. Der friedliche Verlauf und ein fast einstimmiges Ergebnis mit 99 Prozent der Bevölkerung für einen eigenen Staat sind absolut positiv. Dieser neue Staat muss von uns unterstützt werden. Er wird am Anfang nicht lebensfähig sein ohne Hilfe der internationalen Gemeinschaft und ohne den guten Willen in Khartum. Wir sollten im Südsudan ernst machen mit dem Ziel, dass wir nur Hilfe zur Selbsthilfe geben und keine neuen Abhängigkeiten schaffen.

Auf dem EU-Afrika-Gipfel in Tripolis Ende 2010 wurde von afrikanischer Seite die EU-Forderung nach Öffnung des afrikanischen Marktes für EU-Exporte kritisiert. Afrikanische Bauern hätten keine Chancen gegen subventionierte Agrarprodukte aus Europa. Was sagen Sie dazu?

Fairer Wettbewerb heißt: Afrikanische Produkte müssen auch nach Europa kommen können. Agrarsubventionen verhindern das. Sie sind nicht nur in Europa, sondern z. B. auch in den USA bei der Baumwollproduktion ein Problem. Für viele afrikanische Staaten wäre es aber selbst nach Abbau aller Agrarsubventionen nicht einfach, den europäischen Markt zu beliefern, wo Handelsketten bei der Logistik und Qualität hohe Ansprüche stellen. Man muss hier eine differenzierte Debatte führen.

Günter Nooke (52) war DDR-Bürgerrechtler und saß 1990 für Demokratie Jetzt in der ersten frei gewählten Volkskammer in Ost-Berlin. 1990 bis 1994 führte er die Fraktion Bündnis´ 90 im brandenburgischen Landtag. 1998 bis 2005 saß Nooke für die CDU im Bundestag. 2006 bis 2010 war Nooke Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, seit März 2010 ist er Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin.