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Partnerschaft auf Augenhöhe

Kooperation mit Europa In Addis Abeba loten AU und EU die gemeinsamen Interessen aus

07.03.2011
2023-08-30T12:16:38.7200Z
6 Min

John K. Shinkaiye und Koen Vervaeke sind gute Nachbarn. Der Erste ist ranghoher Diplomat bei der Kommission der Afrikanischen Union (AU). Der Zweite ist Europas Sonderbeauftragter bei den Institutionen der AU. Tür and Tür arbeiten beide in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba daran, dass die Beziehungen zwischen ihren Kontinenten so gut sind wie ihre persönlichen Bande. "Durch intensive Gespräche bügeln wir so manches Problem bereits aus, bevor es im großen Plenum überhaupt zum Problem wird", sagt John K. Shinkaiye über seine zahlreichen Sitzungen mit dem Sonderbeauftragten der Europäischen Union. Und zu bereden gab es jüngst einiges: die unklare Lage nach dem Unabhängigkeitsreferendum im Südsudan, der schwelende Machtkampf in der Elfenbeinküste und auch die revolutionären Umbrüche in Tunesien und Ägypten sind sicherheitspolitische Brennpunkte. Gut, dass die Wege kurz seien, sagt der Belgier Vervaeke, der eine 50-köpfige EU-Repräsentanz leitet. "Die Türen stehen hier immer offen und wir beide wissen das zu schätzen".

John K. Shinkaiye und Koen Vervaeke haben, worum sich die EU mit ihren 27 Mitgliedsstaaten und die AU als Repräsentant von 53 afrikanischen Ländern noch bemühen: Vertrauen. Der dritte EU-Afrika-Gipfel im libyschen Tripolis sollte im November 2010 der Lackmustest werden für eine "Partnerschaft auf Augenhöhe". Die Staats- und Regierungschefs beider Kontinente hatten diese immer wieder beschworen, zuletzt in der "Erklärung von Tripolis". Das Dokument bildet den vorläufigen Schlusspunkt eines 2000 in Kairo begonnenen Annäherungsprozesses der Nachbarn, der erst langsam an Fahrt aufgenommen hat. 2002 entstand mit der Gründung der Afrikanischen Union ein echter politischer Ansprechpartner für die EU, der im Gegensatz zu den afrikanischen Regionalorganisationen für ganz Afrika sprechen kann. Doch der AU wurde zunächst wenig zugetraut. So formulierte sie noch 2005 eine Strategie für Afrika im Alleingang. Auf dem EU-Afrika-Gipfel in Lissabon 2007 dann der Paradigmenwechsel. "Die Europäische Union hat eingesehen, dass man keine Strategien für Afrika machen kann, sondern dass man Strategien mit Afrika entwickeln und durchführen muss", sagt Professorin Christa Randzio-Plath, stellvertretende Vorsitzende von Venro, dem Dachverband der deutschen Entwicklungshilfeorganisationen. Ein Lernprozess habe eingesetzt. "1,5 Milliarden Menschen, 80 Länder, zwei Kontinente, eine Zukunft" - so beschreibt die Europäische Kommission die Beziehungen zwischen Afrika und der EU heute.

Arbeitsgrundlage Aktionsplan

Der in Tripolis im November 2010 verabschiedete zweite Aktionsplan für die Jahre 2011 bis 2013 bildet die Arbeitsgrundlage für die strategische Partnerschaft. In acht thematischen Schwerpunkten verpflichten sich beide Seiten, gemeinsame Interessen auszuloten und enger zu kooperieren. Das fällt in den Bereichen Frieden und Sicherheit, demokratisches Regieren und Menschenrechte besonders leicht. Bereits seit Jahren engagiert sich die EU intensiv beim Ausbau einer funktionstüchtigen Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur, vor allem unter dem Dach der Afrikanischen Union. Die von der AU geführten Friedensmissionen im Sudan (AMIS) und in Somalia (AMISOM) werden logistisch und finanziell unterstützt. 2004 bis 2011 standen dafür 740 Millionen Euro EU-Gelder zur Verfügung. Im Kongo bildet eine EU-Mission direkt Polizeikräfte aus, in Uganda werden Sicherheitsexperten für Somalia trainiert.

In Zukunft will die Europäische Union aber noch mehr auf "afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme" setzen. So versprachen die Europäer in Tripolis eine weitere Milliarde Euro Hilfsgelder, vor allem um den noch immer chronisch unterfinanzierten Friedensfonds der Afrikanischen Union zu stützen, durch den Personal- und Transportkosten bei den Grünhelm-Friedensmissionen der AU gedeckt werden. "Die Erfolgsgeschichte dieser Kooperation ist das Resultat einer soliden Finanzierung durch unsere Partner", sagt John K. Shinkaiye. Doch es gehe auch um die richtige Symbolpolitik. Bereits seit Jahrzehnten kämen beispielsweise regelmäßig europäische Wahlbeobachter nach Afrika. Er begrüßt auch, dass die Europäer sich gezielt für ein stärkeres Gewicht Afrikas in internationalen Gremien einsetzen wollen.

Migrations-Probleme

Weniger einfach zeigen sich die nachbarschaftlichen Beziehungen bei der Migration. So düpierte der inzwischen in mörderischer Weise um sein Amt kämpfende Gipfel-Gastgeber in Tripolis, Muammar al-Gaddafi, seine europäischen Partner mit der Forderung, ohne einen weiteren Zuschuss von fünf Milliarden Euro stelle sein Land die Eindämmung der illegalen Einwanderung Europa ein. Dann werde der "christlich, weiße" Kontinent "schwarz" werden.

Verzwickt zeigt sich auch die Lage beim Handel und der wirtschaftlichen Kooperation. Und dass, weil Afrika wirtschaftlich unabhängiger geworden ist. 27 der 30 größten Volkswirtschaften Afrikas verzeichneten zwischen 2000 und 2008 Wachstumsraten von mindestens fünf Prozent pro Jahr, verglichen mit den Jahrzehnten davor eine Verdopplung. Die EU und Afrika sind wirtschaftlich eng miteinander verflochten. Die EU ist wichtigster Absatzmarkt für afrikanische Produkte, vor den USA und China. Umgekehrt gehen heute neun Prozent des EU-Außenhandels nach Afrika. Doch neue Partner buhlen um die Gunst Afrikas. Die Schwellenländer China, Indien, Brasilien oder Türkei konkurrieren mit Europa um Energiereserven oder Rohstoffe wie Gold, Kupfer, Uran und Coltan. "Europa kann sich nicht mehr auf die Vergangenheit und die traditionell guten Beziehungen verlassen", sagt Christa Randzio-Plath. Zudem kämpft Europa um den Bestand seiner Gemeinschaftswährung Euro und einen Abbau der Staatsverschuldung bei vielen Mitgliedsländern. Das Resultat: der Umgangston von Seiten der EU gegenüber Afrika ist zurückhaltender geworden. "Es gibt auch Bereiche, in denen die EU nur sehr ungern zuhört.", sagt Shinkaiye.

Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) sind so ein Thema, bei dem die Nachbarkontinente noch Verständigungsschwierigkeiten haben. Viele AU-Mitgliedsstaaten haben es bislang abgelehnt, wie von der EU gefordert ihre Märkte zu 80 Prozent für EU-Exporte zu öffnen. Die EU drängt. Nur dadurch könnten im Gegenzug - gemäß dem geltenden Recht der Welthandelsorganisation WTO - die vergünstigten Einführzölle für afrikanische Produkte in die EU aufrechterhalten bleiben. Verhandlungspartner für die EU sind die afrikanischen Regionalorganisationen, von denen viele finanzielle Zugeständnisse der EU bei der Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele fordern, um einzulenken. Für Randzio-Plath sind die Abkommen Teil einer expansionistischen EU-Agrar- und Industriepolitik und nicht einer kohärenten Partnerschaft. "Ohne einen Abbau der Subventionen der EU-Landwirtschaft ist es einfach ein Unding, von den afrikanischen Staaten eine Öffnung ihrer Märkte zu fordern."

Sozialstandards

Auf Antrag der Fraktion Die Linke (Drucksache 17/3672) wurde die Diskussion um das Für und Wider der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen auch in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages geführt. "Für hiesige Unternehmen winken neue Absatzmärkte und Gewinne, für Afrika aber noch mehr Armut", sagt Niema Movassat von Die Linke und fordert eine vollständige Aussetzung der Abkommen. Hartwig Fischer von der CDU/CSU-Fraktion ist überzeugt, dass der Freihandel eine Chance für sozialen Aufstieg und wirtschaftlichen Fortschritt ist. "Der Gewinn durch die Handelsbeziehungen ist ungleich größer, als jede Form von Entwicklungszusammenarbeit es jemals sein kann." Dem stimmt Karin Roth von der SPD-Bundestagsfraktion nur dann zu, wenn bei der Verhandlung wie bei der Durchführung der Abkommen sichergestellt sei, dass "die von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vorgeschriebenen Sozialstandards und ökologische Mindeststandards verbindlich festgeschrieben und eingehalten werden." Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen seien per se entwicklungsförderlich, das zeige ihr Erfolg, sagt dagegen der FDP-Abgeordnete Joachim Günther: Schon 35 der 78 afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP-Staaten), mit denen die EU verhandelt, hätten die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen unterzeichnet und sich so zoll- und quotenfreien Marktzugang für Waren in die EU gesichert.

Ungleiche Ausstattung

Der für Entwicklung zuständige EU-Kommissar Andris Piebalgs reiste indes Ende Januar zum AU-Gipfelt nach Addis Abeba, nicht nur um für gemeinsamen Freihandel zu werben. Sondern auch, um ein sichtbares Zeichen für eine "Partnerschaft auf Augenhöhe" zu setzen. Genau diese Augenhöhe scheitere oft an der ungleichen Ausstattung der Institutionen, sagt der AU-Spitzendiplomat Shinkaiye: "Während die EU-Seite hier in Addis Abeba jegliches technisches und fachliches Know-how zur Verfügung hat, was man sich nur vorstellen kann, fehlt es auf afrikanischer Seite oft am Nötigsten."

Das wirkte sich auch auf die Verhandlungen aus. Zwar unterstützen die Europäer den institutionellen Aufbau der Afrikanischen Union derzeit mit 55 Millionen Euro. Doch noch bestehen die Ungleichgewichte. "Wir müssen dieses Ressourcenproblem gemeinsam anpacken, um nach Lösungen zu suchen, die ein Gleichgewicht in unsere Partnerschaft bringen", sagt Shinkaiye. "Bis heute muss man sagen, dass diese Partnerschaft ein unbekanntes Wesen ist", bilanziert Christa Randzio-Plath. Bislang sei die afrikanische wie europäische Zivilgesellschaft von der Ausgestaltung der Partnerschaft weitgehend ausgeschlossen. Zentrale Bereiche, wie die ländliche Entwicklung in Afrika, spielten praktisch keine Rolle, obwohl 80 Prozent der Armen in Subsahara-Afrika auf dem Land lebten.