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Stadtluft macht arm

Slums In Afrikas Mega-Cities leben Millionen unter katastrophalen Bedingungen

07.03.2011
2023-08-30T12:16:39.7200Z
5 Min

Mit der globalen Verstädterung verbreiten sich nicht nur moderne Lebens- und Bauformen, sondern auch Armut und Slums in den Städten. Dabei umfasst der Begriff "Slum" ein breites Spektrum von Bau- und Wohnformen, beispielsweise vernachlässigte Altstädte, informelle Selbstbau-Quartiere oder desolate Hütten-Siedlungen. Auch gibt es eine kontroverse Debatte über die ambivalente Rolle von Slums in den Südmetropolen, wobei nicht nur die Probleme, sondern auch das soziale und produktive Potenzial der Slumbevölkerung im Blickpunkt stehen, die einen wichtigen Beitrag zur Stadtökonomie leistet.

Um die Verbreitung von Slums zu erfassen und international zu vergleichen, hat UN-Habitat Kriterien entwickelt wie: schlechte Bausubstanz, hohe Belegungsdichte, fehlender Zugang zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen, unsichere Wohn- oder Aufenthaltsrechte. Auf dieser Grundlage zeichnete der Bericht "The Challenge of Slums" (2003) für Afrika ein kritisches Bild. Der aktuelle UN-Habitat-Bericht "State of the World´s Cities 2010/2011" bestätigt die dramatischen Zahlen, zeigt aber auch, dass in anderen Regionen das Slum-Problem deutlich reduziert werden konnte, so in Nordafrika, Ostasien und Lateinamerika.

Städte boomen

In Afrika leben bereits 40 Prozent der Bevölkerung in Städten, wobei es große regionale Unterschiede gibt (beispielsweise Liberia 60 Prozent, Kenia 22 Prozent.) Mit durchnittlich 3,3 Prozent pro Jahr wachsen die Städte Afrikas, besonders die Großstädte, schneller als im boomenden Ostasien. Die Prognosen zeigen, dass um 2030 die Mehrheit der Bevölkerung in Städten leben wird, in West-Afrika wird der "tipping point" sogar bereits 2020 erreicht.

Mit rund 16 Millionen Einwohnern ist Lagos in Nigeria eine Mega-stadt, die in der Rangliste der bevölkerungsreichsten Städte neben Mumbai und Dhaka steht. Darüber hinaus ist Lagos Teil einer gigantischen Verstädterungszone, die sich über 600 km von Ibadan bis Accra erstreckt. Dieser ökonomische Kern Westafrikas ist gleichzeitig "...ein Korridor von Hüttenstädten mit 70 Millionen Menschen und wahrscheinlich die längste Spur städtischer Armut auf der Erde". Die rasche Verstädterung Afrikas wird von einem wirtschaftlichen Aufschwung begleitet, das Wirtschaftswachstum von vier Prozent und ein Bruttosozialprodukt pro Kopf von rund 600 US-Dollar reichen aber nicht aus, um die städtische Armut und damit die Slumbevölkerung signifikant zu reduzieren. Im Gegenteil: eine rasche Verstädterung ohne ausreichendes Wirtschaftswachstum erzeugt neue Armut und neue Slums, das heißt eine "Verstädterung der Armut", deren Ausmaß fast schon die ländliche Armut übertrifft.

Armut

Der Anteil der städtischen Bevölkerung, die südlich der Sahara mit nur 1,25 US-Dollar pro Person und Tag auskommen muss, hat zwar leicht abgenommen, liegt aber immer noch bei rund 50 Prozent. Ähnliches gilt für die Zahl der Slumbewohner: 1990 waren dies 70 Prozent und 2010 62 Prozent der städtischen Bevölkerung. Dies erscheint zunächst als Verbesserung, die absoluten Zahlen zeigen aber eine dramatische Zunahme der Slumbevölkerung von rund 100 Millionen (1990) auf rund 200 Millionen (2010).

Allerdings muss man hierbei berücksichtigen, dass UN-Habitat ein breites Spektrum von Stadtquartieren und Siedlungen bereits als "Slum" bezeichnet, wenn diese lediglich ein oder mehrere Slum-Merkmale aufweisen. Dies betrifft unter anderem nicht nur völlig desolate "slums of despair", sondern auch halb-konsolidierte "slums of hope" und relativ etablierte informelle Siedlungen, in denen oft die untere Mittelschicht der Bevölkerung baut und wohnt. Deshalb ist die tatsächliche Lage möglicherweise etwas besser als die Zahlen es zeigen.

Slum-Sanierung

Natürlich können die Regierungen dem Anwachsen der Slum-Problematik nicht untätig zusehen. Der Bericht "State of the Worlds Cities 2010/2011" weist darauf hin, dass in Afrika bereits rund 24 Millionen Slumbewohner von Slum-Projekten profitiert haben, wodurch in Nordafrika die Zahl der Slumbewohner reduziert werden konnte. Auch in Nigeria, Ruanda, Uganda, Senegal und Ghana gibt es zahlreiche Projekte zur Slum-Sanierung, die die Lebensbedingungen von Millionen Menschen verbessert haben, den allgemeinen Trend einer zunehmenden Slumbevölkerung aber nicht aufhalten konnten. Die Stadtbevölkerung in Afrika (südlich der Sahara) wächst um zehn Millionen jährlich, davon findet aber nur ein Drittel eine reguläre Arbeit und Wohnung in einem formellen Stadtgebiet. Der Rest von rund sieben Millionen ist auf informelle Siedlungen und Slums angewiesen, meist auf Dauer und mit nur geringen Chancen auf einen sozialen Auftieg.

Slum-Cities

UN-Habitat nennt Städte mit einer großen Slumbevölkerung "Slum-Cities". Solche Slum-Städte findet man unter anderem in Nigeria, Togo, Tansania, Niger, Tschad und Äthiopien. In sehr armen Städten sind bis zu 90 Prozent der Stadtbevölkerung Slumbewohner. Allerdings ist in vielen Städten der Unterschied zwischen "Slums" und "Nicht-Slums" oder zwischen informellen und formellen Wohnquartieren oft so gering, dass schon wenige Massnahmen (beispielsweise eine verbesserte Wasserversorgung oder ein Abwassersystem) einen "Slum" in ein "normales" Wohngebiet verwandeln können. Hier sieht UN-Habitat deshalb ein großes Potenzial, mit relativ geringem Aufwand die Slum-Merkmale in vielen Wohngebieten zu beseitigen.

Eine groß angelegte oder sogar flächendeckende Slum-Sanierung erscheint in Afrika aber außer Reichweite, und so rechnet UN-Habitat damit, dass rund die Hälfte des zukünftigen Stadtwachstums von Armut und mangelnder Grundversorgung geprägt sein wird, mit gravierenden Folgen für eine ganze Generation, die unter hoher Kindersterblichkeit, schlechter Gesundheit und mangelnder Schulbildung leiden wird.

Kibera-Slum in Nairobi

Als ein drastisches und weithin bekanntes Beispiel für eine "pathologische Verstädterung" nennt der UN-Habitat-Bericht 2010/2011 den Kibera-Slum in Nairobi, wahrscheinlich der größte Slum Ostafrikas. "Extreme Armut, mangelhafte Wasserversorgung, überflutete Abwasser-Kanäle, aufgehäufter Müll, überbelegte Lehmhäuser, Vertreibung als ständige Bedrohung, weit verbreitete Kriminalität und Arbeitslosigkeit..." kennzeichnen die desolaten Lebensbedingungen in Kibera. Hier leben nach neuesten Schätzungen auf rund drei Hektar 300.000 Menschen. Dicht gedrängt steht hier Hütte neben Hütte. Wasser ist Mangelware, sanitäre Einrichtungen fehlen, Plastiktüten werden als Toiletten benutzt. Meist wohnen sechs bis sieben Familienmitglieder in einem drei mal drei Meter großen Zimmer ohne Fenster, Strom und Toilette. Der Bericht hebt insbesondere die kritische Lage verwitweter Frauen und ihrer Kinder hervor, die - oft durch die eigenen Verwandten - von ihrem Stück Land vertrieben wurden und nun zu Tausenden versuchen, in den Slums zu überleben.

Nach UN-Habitat könnte bis 2015 die globale Slumbevölkerung auf rund 1,3 Milliarden und allein in Afrika auf 330 Millionen steigen. Diese gigantischen Zahlen stellen die im Jahr 2000 verkündeten Milleniums-Ziele der Vereinten Nationen in Frage, auch wenn durch zahlreiche Projekte das Leben von annähernd 100 Millionen Slumbewohnern verbessert werden konnte. Wie es scheint, werden die Städte, bislang Symbol und Chance für ein besseres Leben, zunehmend zu einer Armutsfalle. Für UN-Habitat ist die "Verstädterung der Armut" in Afrika ein dramatischer Wettlauf mit der Zeit, der nur mit internationaler Hilfe und unter Einsatz massiver Mittel gewonnen werden kann. Wenn überhaupt.

Professor Ribbeck forscht über Städtebau in Asien, Afrika und Lateinamerika