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»Europa ist für viele zu selbstverständlich«

Interview Gunther Krichbaum (CDU) über den Umgang mit der Krise in der EU

14.06.2011
2023-08-30T12:16:44.7200Z
4 Min

Herr Krichbaum, erst der Streit um Schengen, nun erneut Sorgen um Griechenland - die Zahl der Euroskeptiker wächst. Bleiben Sie dennoch Optimist?

Absolut. Europa ist eine Notwendigkeit, und wir müssen die Bürger davon überzeugen, dass es zu einem geeinten Europa gerade im Zeitalter der Globalisierung überhaupt keine Alternative gibt. Wir brauchen jetzt positive, unterstützende Stimmen. Ich habe den Eindruck, dass Errungenschaften des vereinten Europas für viele etwas zu selbstverständlich geworden sind.

Was meinen Sie damit?

Um Frieden, Freiheit, Rechtstaatlichkeit und Wohlstand werden wir weltweit beneidet. In den nordafrikanischen Ländern gehen die Menschen hierfür auf die Straße und riskieren ihr Leben. Hier aber geht man davon aus, dass alles auch morgen und übermorgen so bleiben wird. Wir werden unsere Werte aber nur gemeinsam verteidigen können. Dafür brauchen wir Europa und den Euro.

Das sehen inzwischen viele anders.

Die Euroskepsis, die Sie ansprechen, resultiert aus einer Verunsicherung, die wir in diesen Tagen mit Händen greifen können. Gerade mit Blick auf Griechenland. Die Leute fragen sich zu Recht, wie es mit unserer Währung weiter geht. Hier müssen wir dringend Überzeugungsarbeit leisten und darauf hinweisen, dass wir keine Euro-Krise haben, sondern eine Krise in einzelnen Staaten der Eurozone. Und wir müssen erklären, dass gerade Deutschland vom Euro überdurchschnittlich stark profitiert hat.

Also dominieren hierzulande Pessimisten und Schwarzseher?

Das nicht. Aber ich würde mir insbesondere von der deutschen Wirtschaft mehr Bekennermut wünschen. Auch die öffentliche Diskussion möchte ich nicht einem ehemaligen BDI-Präsidenten überlassen, der von Talkshow zu Talkshow tingelt, um den Verkauf seines Buches anzukurbeln. Stattdessen müssen die Repräsentanten der deutschen Wirtschaft klar machen, dass der Euro Wohlstand, Arbeitsplätze und den Export sichert. Zwei Zahlen: Früher musste die deutsche Wirtschaft jährlich über zehn Milliarden Euro für die Absicherung gegen Währungsschwankungen ausgeben. Dies macht bis heute eine Ersparnis von über 100 Milliarden Euro aus!

Momentan scheinen aber die Stimmen in der Überzahl, die Griechenland als ein Fass ohne Boden bezeichnen.

Griechenland ist nun gefordert, seine selbst gegebenen Versprechungen zu erfüllen. Ich denke, das Land könnte aus eigener Kraft noch mehr tun.

Zum Beispiel?

Das angedachte Privatisierungsprogramm und die dabei geplanten Erlöse von 50 Milliarden Euro hätte man schon vor Jahren auf die Bahn bringen können. Immerhin gehört Griechenland zu den EU-Ländern mit der höchsten Staatseigentumsquote. Auch die Verwaltung ist nicht gerade optimal aufgestellt. Wenn wir etwa davon hören, dass über Jahre an Verstorbene weiter die Rente gezahlt wurde, sorgt das hierzulande für Misstrauen und Vorbehalte in der Bevölkerung. Viele werden sich fragen, warum sollen wir einem Staat helfen, der nicht das Notwendige für sich tut?

Sagen Sie es uns.

Weil dies in unserem ureigenen Interesse liegt. Es geht um die Stabilität des Euro. Noch einmal: Griechenland muss seine Hausaufgaben erledigen. Aber: Stimmen, die fordern, Griechenland solle zurück zur Drachme, sind alles andere als hilfreich.

Das müssen Sie erklären.

Die "neue" Drachme müsste zum Zeitpunkt ihrer Einführung gegenüber dem Euro deutlich abgewertet werden. Die Schulden wurden aber in Euro gemacht und sind daher auch in Euro zurückzuzahlen. Dies bedeutet, dass der Schuldenstand plötzlich um den Faktor steigt, um den die Drachme fällt. Damit würde die Krise nicht gelöst. Spätestens dann müsste international wieder geholfen werden.

Also auch dies ein Fass ohne Boden.

Eben. Außerdem könnten dann die ausstehenden Verbindlichkeiten Griechenlands gegenüber anderen Mitgliedstaaten gravierende Auswirkungen auf deren Bonität haben. Könnte dadurch ein Mitgliedstaat eine bestehende AAA-Bewertung nicht aufrecht erhalten, so hätte dies Auswirkungen auf den derzeitig gültigen Euro-Rettungsschirm EFSF, der ja gerade durch die AAA-bewerteten Länder seine Bonität generiert. Die globalen Auswirkungen wären kaum zu beherrschen. Was dies bedeuten würde, wissen wir spätestens seit der Weltwirtschaftskrise nach der "Lehman-Brothers-Bank"-Pleite in den USA. Kurz: Bei allen Alternativvorschlägen stellt sich immer die Frage: Sind diese auch zu Ende gedacht?

Kann sich das Parlament in diesen Fragen in ausreichendem Maß einbringen? Zuletzt gab es Beschwerden über die aus seiner Sicht mangelnde Unterrichtung durch die Bundesregierung.

Nach dem Vertrag von Lissabon und den sogenannten "Begleitgesetzen" stehen dem Bundestag erweiterte Mitwirkungs- und Informationsrechte in der Europapolitik zu. Den daraus resultierenden Unterrichtungsverpflichtungen kommt die Bundesregierung ganz überwiegend nach. Es gibt aber einzelne Streitpunkte wie beispielsweise in der Diskussion über die Zuleitung der Dokumente zum dauerhaften Rettungsschirm ESM. Hier kann ich tatsächlich nicht ausschließen, dass einzelne Fraktionen das Bundesverfassungsgericht zur Streitlösung anrufen werden.

Das klingt nicht nach harmonischer Zusammenarbeit.

Kritische Fragen zu stellen, ist nicht nur zulässig, sondern notwendig. Schließlich hat das Parlament nicht nur die Aufgabe, die Bundesregierung zu kontrollieren, sondern wir tragen auch letztlich die Verantwortung gerade in allen Budgetfragen. Und die Entscheidungen, die in der Zukunft noch anstehen werden, können handfeste Auswirkungen auf den Haushalt der Bundesrepublik haben.

Und eine Alternative zum Bundesverfassungsgericht…

…. gibt es natürlich auch! Noch einmal: Insgesamt fühlen wir uns durch die Bundesregierung gut informiert. Nur in wenigen Einzelfällen eben nicht. Im Übrigen: Es handelt sich in diesen Fragen ja immerhin um Gesetze des Deutschen Bundestages. Und wenn es Interpretationsschwierigkeiten gibt, dann ist das Parlament eben selbst dazu berufen, im Zweifelsfall Klarheit zu schaffen - und für eine entsprechende Klarstellung in den Gesetzestexten selbst zu sorgen. So selbstbewusst sollte ein Parlament sein.

Das Interview führte Jörg Müller-Brandes

Gunther Krichbaum (CDU) leitet als Vorsitzender den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und ist stellvertrendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.