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Dünne Verdachtsmomente mit dramatischen Folgen

DER FALL KURNAZ Das Schicksal des Bremer Türken und Guantanamo-Häftlings beschäftigte zwei Untersuchungsausschüsse des Bundestages. Nicht alle Vorwürfe konnten…

29.08.2011
2023-08-30T12:16:48.7200Z
3 Min

Max Stadler, als FDP-Abgeordneter bis 2009 in der Opposition, blickt zurück: "Der Bundestag hat im Fall Murat Kurnaz erfolgreiche Aufklärungsarbeit geleistet." So sieht es auch Michael Hartmann (SPD), damals als ein Vertreter der Großen Koalition Gegenspieler Stadlers: "Wir sind im Untersuchungsausschuss unserer Aufgabe gerecht geworden." Als Beleg für den Erfolg gelten beiden Politikern die nach den Erfahrungen rund um die Guantanamo-Inhaftierung des in Bremen aufgewachsenen Türken Murat Kurnaz ausgeweiteten Kontrollrechte des Parlaments gegenüber den Geheimdiensten. Und der CDU-Abgeordnete Bernd Siebert zeigt sich zufrieden, weil der Verteidigungsausschuss, ein zweites Untersuchungsgremium im Fall Kurnaz, eine bessere Unterrichtung der Fraktionen über Einsätze des Bundeswehr-Spezialkommandos KSK erreicht habe.

Kurnaz' Fall zählte zu den zentralen Themen des BND-Untersuchungsausschusses des Bundestages, der zwischen 2006 und 2009 tagte. Viele Prominente marschierten als Zeugen auf, frühere und aktuelle Spitzen von Geheimdiensten und Bundeskriminalamt, Ex-Minister wie Joschka Fischer (Grüne) und Otto Schily; Frank-Walter Steinmeier, unter Kanzler Gerhard Schröder (alle SPD) Chef der Regierungszentrale und dann bis 2009 Außenminister, Thomas de Maizière (CDU), während der Großen Koalition Steinmeiers Nachfolger als Kanzleramtschef und heute Verteidigungsminister.

Jahrelang inhaftiert

Kurnaz war Ende 2001 in Pakistan von US-Soldaten verhaftet und über Afghanistan nach Guantanamo verschleppt worden; nach seinen Schilderungen wurde er schon am Hindukusch und dann im Lager auf Kuba auch gefoltert. Ohne strafrechtlich festgestellte Schuld blieb er dort inhaftiert, bis er 2006 nach einer Intervention von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Washington entlassen wurde. Strittig im Ausschuss war vor allem das Ende 2002 von den Geheimdienstspitzen und Steinmeier gegen Kurnaz wegen dessen Einstufung als eines "Gefährders" verhängte Einreiseverbot im Falle einer damals im Raum stehenden Freilassung.

Rot-grüne Rolle umstritten

Gegensätzlich bewerten Hartmann und Stadler die Ergebnisse der Aufklärungsarbeit. Für den SPD-Obmann im Ausschuss liegt die Verantwortung bei den USA, die im Anti-Terror-Kampf "übers Ziel hinausgeschossen" seien und Menschenrechte verletzt hätten - auch bei Kurnaz. Die rot-grüne Regierung sei jedoch "kein Mittäter" gewesen. Ende 2002 habe "kein leidenschaftliches Interesse" an Kurnaz' Rückkehr bestanden, sagt Hartmann, weil er auch hierzulande als "verdächtig" gegolten habe - auch wenn sein Gefährdungspotenzial innerhalb der Geheimdienste unterschiedlich eingeschätzt worden sei. Als Türke hätte Kurnaz bei einer Freilassung im Übrigen in die Türkei reisen können.

Aus Sicht Stadlers hätte die seinerzeitige Regierung sich zumindest "aus moralischen Gründen" für eine Aufnahme von Kurnaz engagieren müssen. Die "Haupterkenntnis" für den FDP-Obmann: Dieser Fall zeige, wie "aufgrund dünner Verdachtsmomente" gegen einen einzelnen vorgegangen werde - mit dramatischen Folgen für den Betroffenen. Als Konsequenz sei jüngst bei der Verlängerung der Anti-Terror-Gesetze die Hürde für solche Eingriffe in die Rechte der Bürger erhöht worden: Künftig seien "konkrete Tatsachen" und nicht mehr bloß "tatsächliche Anhaltspunkte" zur Begründung eines Verdachts erforderlich.

Offene Frage

Nicht klären konnte der Verteidigungsausschuss, ob Kurnaz in Afghanistan von KSK-Soldaten misshandelt wurde. Bei der Schilderung seiner Erlebnisse habe Kurnaz einen "glaubwürdigen Eindruck" hinterlassen, erinnert sich Siebert. Allerdings habe es für seinen Vorwurf bei der Befragung anderer Zeugen keine konkreten Belege gegeben. Die Einschätzung, dass diese Frage offenbleibt, teilen im Abschlussbericht neben Union und SPD auch FDP und Grüne. Für Die Linke indes sprach "alles dafür", dass Kurnaz misshandelt wurde. Ohne den Ausschusses, sagt Siebert, hätte allein die mediale Darstellung dieses Falls die öffentliche Debatte geprägt.