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Bilanz eines tödlichen Befehls

KUNDUS Luftschlag bleibt nach zwei Jahren parlamentarischer Untersuchung umstritten

05.12.2011
2023-08-30T12:16:53.7200Z
4 Min

Für manch Außenstehenden mag das Ergebnis nüchtern klingen: Der Bundestag nimmt den Abschlussbericht des Kundus-Untersuchungsausschusses "zur Kenntnis". Dabei schlugen die Wellen hoch, als das Bombardement vom 4. September 2009 in der afghanischen Kundusregion mit zahlreichen zivilen Opfern bekannt wurde. Dann sorgte fast zwei Jahre lang der Untersuchungsausschuss des Bundestages, der den verheerenden Luftschlags aufklären sollte, für Schlagzeilen. Vor allem dann, wenn prominente Politiker auftraten wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) und Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sowie der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, und Ex-Staatssekretär Peter Wichert.

Am vergangenen Donnerstag votierten alle Fraktionen im Deutschen Bundestag einstimmig dafür, den Bericht des Gremiums (17/7400) samt Handlungsempfehlungen "zur Kenntnis zu nehmen". Doch diese Formel besagt nur, dass man sich über die Bewertung des Angriffs nicht einig ist. In der Debatte prallten die Positionen von Koalition und Opposition nochmals hart aufeinander.

Rückendeckung

Union und FDP stellten sich hinter Oberst Georg Klein, der die Bombardierung zweier von den Taliban entführter Tanklaster befohlen hatte. Es seien zwar Fehler passiert, räumten der CDU-Abgeordnete Michael Brand und sein liberaler Kollege Joachim Spatz ein. Doch hätten die Fahrzeuge als "fahrende Bomben" auch gegen deutsche Soldaten eingesetzt werden können. Spatz betonte, Klein habe "nach bestem Wissen und Gewissen" auf Basis der damaligen Informationslage gehandelt. Vehement verteidigt die Koalition den einstigen Minister Guttenberg: Für Spatz sind die Vorwürfe der Opposition gegen den CSU-Politiker wegen dessen Umgang mit dem Luftschlag eine "parteipolitische Inszenierung", für Brand ein "unwürdiges Schauspiel".

Kritik an Guttenberg

Die Opposition indes moniert "schwere Fehler" in der Bombennacht, Klein habe Nato-Einsatzregeln verletzt - so lautete die übereinstimmende Einschätzung von Rainer Arnold (SPD), Paul Schäfer (Linke) und Omid Nouripour (Grüne). Ohne die Missachtung dieser Vorgaben hätte der Offizier die zwei US-Piloten gar nicht anfordern können, die den Luftschlag ausführten, unterstreicht Arnold. Schäfer wertete den Angriff gar als "Verstoß gegen das Völkerrecht". Scharfe Kritik übte die Opposition an Guttenberg, der für seine gegensätzlichen Einschätzungen des Luftschlags keine Erklärung geliefert habe und Schneiderhan sowie Wichert zu Unrecht entlassen habe: Sie seien entgegen Guttenbergs Behauptungen eben nicht verantwortlich für den widersprüchlichen Kurs des CSU-Ministers nach dem Bombardement. Der habe den "Überblick verloren", sagte Nouripour.

Alle Fraktionen zeigten sich betroffen über einen der schwerwiegendsten Vorfälle in der Geschichte der Bundeswehr. Nouripour und Brand sprachen von einer "Zäsur". Nie zuvor habe es bei einer Operation so viele Zivilisten als unschuldige Opfer gegeben, sagte der CDU-Abgeordnete. Bis heute sei die genaue Zahl der Toten und Verletzten unbekannt, erläuterte Nouripour, die Schätzungen reichten bis zu 142 Opfern.

Zunächst hatte das Verteidigungsressort unter Minister Jung zivile Opfer bestritten, kurz darauf aber einräumen müssen. Der CDU-Politiker, nach der Bundestagswahl Ende September 2009 an die Spitze des Arbeitsressorts gewechselt, trat von diesem Amt zurück, um die Verantwortung für diese Informationspannen zu übernehmen. Nachfolger Guttenberg setzte Schneiderhan und Wichert vor die Tür, weil sie ihn unzureichend unterrichtet hätten und schuld daran seien, dass er den Angriff zunächst als "militärisch angemessen" und dann als "militärisch unangemessen" eingeordnet hatte.

Grünen-Sprecher Nouripour warf Jung vor, "tagelang die Wahrheit verschwiegen" zu haben, obwohl schon am 4. September 2009 Berichte über Kinder als Opfer vorgelegen hätten. Gleichwohl lobte Arnold den Ex-Minister, der wegen "kleiner Fehler" bei der Öffentlichkeitsarbeit zurückgetreten sei, für eine konsequente Haltung im Vergleich zu Guttenberg. Zweifel an Schneiderhans und Wicherts Seriosität, die Guttenbergs Vorwürfe bestreiten, ließ der SPD-Wehrexperte nicht gelten. Ganz anders der Liberale Spatz: Angesichts des Eindrucks, den Schneiderhan und Wichert im Ausschuss gemacht hätten, erscheine die Begründung des CSU-Politikers für deren Entlassung glaubwürdig.

Konsequenzen

Für die Koalition war der Luftschlag keineswegs völkerrechtswidrig. Spatz konzedierte, das Bombardement sei aus heutiger Sicht als "militärisch nicht angemessen" einzustufen. Doch seien Kleins Aufklärungsmittel unzulänglich gewesen. Diese Mängel seien bei der Bundeswehr mittlerweile abgestellt worden. Auch CDU-Kollege Brand sagte, aus den einstigen Fehlern seien Konsequenzen gezogen worden, so seien die Einsatzregeln verbessert worden. Im Übrigen sei nie auszuschließen, dass Informanten vor Ort fehlerhaft berichten. Klein hatte sich auf Angaben eines afghanischen Informanten gestützt, wonach sich bei den Tanklastern keine Zivilisten befänden. Spatz ergänzte, Defizite in der Kommunikation des Ministeriums seien ebenfalls beseitigt worden.

Für die Opposition ist mitnichten alles geklärt. Aus Sicht des Linken-Abgeordneten Schäfer wollte Klein lokalen Talibanführern einen vernichtenden Schlag versetzen, weswegen nicht genau geprüft worden sei, ob sich bei den Fahrzeugen tatsächlich keine Zivilisten aufhalten. Grünen-Sprecher Nouripour warf der Koalition vor, begangene Fehler "wegdrücken" zu wollen. Arnold und Schäfer mahnten die Regierung, die Opfer und deren Angehörige in Kundus angemessen zu entschädigen. Die SPD verlangte, die rechtliche Basis für Auslandseinsätze zu reformieren und die parlamentarische Überwachung der militärischen Aufklärung zu verbessern. Auch die Grünen wollen ein "Streitkräfte-Einsatzgesetz". Einsatzregeln und Innere Führung müssten vor Ort gründlicher vermittelt werden. Nouripour appellierte an die Soldaten, fragwürdigen Befehlen zu widersprechen.