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Kurz notiert

05.12.2011
2023-08-30T12:16:53.7200Z
4 Min

Wer sich mit politischer Kommunikation im Internet wissenschaftlich beschäftigen will, dem steht mit "Bürger online" jetzt eine Arbeit zur Verfügung, die auf der Grundlage aktueller Statistiken und Umfrageergebnisse umfassende Analysen präsentiert. Die Studie bietet detaillierte Antworten auf die Fragen, wie die Bürger in Deutschland in den Jahren 2001 bis 2009 das Internet für ihre individuelle politische Kommunikation und Information genutzt haben und wie sich dabei ihr politisches Verhalten insgesamt veränderte. Die Ergebnisse der Untersuchung machen deutlich, dass die Online-Angebote der traditionellen Qualitätsmedien im vergleich zu anderen Angeboten im World Wide Web zumeist stärker wahrgenommen werden. Dabei handelt es sich um kein deutsches Phänomen: Vor kurzem berichtete die "New York Times", dass die Zahl der Abonnenten ihres kostenpflichtigen Online-Angebots enorm angestiegen sei.

Die Autoren stellen fest, dass die klassischen Zeitungen und Fernsehnachrichten nach wie vor zu den beliebtesten Informationsquellen gehören. Obwohl die Online-Aktivitäten insgesamt zugenommen haben, verzeichneten die übrigen Informationsquellen keinen Rückgang. Allerdings gehe die Nachfrage nach den klassischen Medien bei den jüngeren Internet-Nutzern zurück. "Insgesamt kann keine Abkehr von politischer Kommunikation beobachtet werden", lautet das Fazit der Wissenschaftler.

Als Informationsquelle erfreut sich das Internet wachsender Bedeutung: Nutzten im Jahr 2002 weniger als 30 Prozent der Deutschen das Internet als Quelle für politische Informationen, waren es 2009 bereits fast 50 Prozent. Genutzt werden aber nicht nur die Online-Angebote der klassischen Medien, sondern auch der politischen Akteure, die nicht nur in Wahlkampfzeiten 30 Prozent der Deutschen erreichen. Zu den interessantesten Befunden der Studie gehört, dass sich zwar 75 Prozent der Befragten im Alltag über Politik unterhalten, aber nur 15 Prozent der Internet-Nutzer dies auch über das World Wide Web tun.

Martin Emmer, Gerhard Vowe, Jens Wolling:

Bürger online.

Die Entwicklung der politischen Online-Kommunikation in Deutschland.

UVK Verlag, Konstanz 2011; 343 S., 39 €

"Wetten, dass ich eine Million Leute finde, die gegen Ahmadinedschad sind?" Tatsächlich bringt es diese Facebook-Initiative nur auf 26.000 Fans. Demgegenüber verfügt Mir Hossein Mousawi, der innenpolitische Gegner des iranischen Präsidenten, immerhin über 43.000 Unterstützer. Doch von einer "Facebook-" oder "Twitter"-Revolution kann kaum die Rede sein, wenn sich im Iran - immerhin das am stärksten vernetzte Land des Nahen und Mittleren Ostens - nur wenige Zehntausend Internet-Nutzer aktiv für ihre politischen Ziele einsetzen.

Die Überbewertung der Rolle der sozialen Netzwerke, über die 2009 die Massenproteste im Iran organisiert wurden, hat zwei zentrale Ursache: zum einen die Bedeutung, die dem Internet für die politische Kommunikation in den westlichen Staaten zukommt; zum anderen der Umstand, dass den westlichen Journalisten oft nur die sozialen Netzwerke als Informationsquelle zur Verfügung stehen, weil eine freie Berichterstattung aus dem Iran nicht möglich ist.

Dass diese Quellen nur eingeschränkt aussagekräftig sind, belegen folgende Zahlen: Lediglich 100 Personen twitterten auf Englisch über die Unruhen im Iran nach der Präsidentschaftswahl 2009. Über die Wahl selbst wurden zwar mehr als zwei Millionen der sogenannten "Tweets" veröffentlicht, allerdings twitterten 60 Prozent der Nutzer nur ein einziges Mal. Unklar ist zudem, "wie viele der Leser im Iran selbst leben", betonen die in London lehrenden Wisenschaftlerinnen Annabelle Sreberny und Cholam Khibany.

In ihrer herausragenden Studie "Blogistan" halten die Autorinnen überraschende Informationen über die Bedeutung des Internets und der sozialen Netzwerke in der Auseinandersetzung zwischen "Konservativen", "Reformern" und Mullahs bereit. So würden sich die iranischen Blogger all zu sehr dafür interessieren, was gerade populär ist, und zu wenig für die politischen Inhalte selbst. Allerdings muss man die Einschätzung der beiden Wissenschaftlerinnen, dass das politische Regime im Iran nicht "totalitär" sei, durchaus kritisch hinterfragen.

Annabelle Sreberny, Cholam Khibany:

Blogistan. Politik und Internet im Iran.

Hamburger Edition, Hamburg 2011; 285 S., 22 €