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Weihnachten gibt es zweimal

MIGRATION Zuwanderer sind Brückenbauer zwischen den Kulturen - auch im Bundestag. Gedanken zum Jahreswechsel

19.12.2011
2023-08-30T12:16:54.7200Z
7 Min

Vorweihnachtliche Klänge erfüllen den Bundestag. Während die meisten Abgeordneten durch die langen Gänge und Flure eilen, findet sich in der großen Halle des Paul-Löbe-Hauses, direkt neben dem imposanten Reichstagsgebäude, ein Pol der inneren Ruhe. Ein Posaunenchor stimmt mit seinen festlich golden schimmernden Instrumenten Weihnachtslieder an. Die Klänge schallen bis unter die Decke der hohen Halle in schwindelerregender Höhe. Auf den einzelnen Etagen beugen sich neugierige Menschen über die Brüstung der Balkone zur Halle, um trotz der Eile und Arbeit wenigstens einen kurzen Augenblick lang teilzuhaben. Am letzten Abend vor den parlamentarischen Weihnachtsferien, drei Tage vor dem vierten Advent, haben sich hier Abgeordnete, ihre Mitarbeiter, Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, Gäste und Besucher unter dem imposanten Weihnachtsbaum zum alljährlichen Adventssingen getroffen.

Überfraktionelle Initiative

Etwa 70 sind gekommen, um an der vorweihnachtlichen Veranstaltung der überfraktionellen Kulturinitiative teilzunehmen. Begleitet von dem kleinen Blasensemble stimmen sie sich fast eine Stunde lang auf das nahende Fest ein. Ein evangelischer Prälat heißt alle willkommen; Menschen aller Religionen seien herzlich eingeladen, teilzunehmen. Einige der Gesichter in der stimmungsvollen Runde wirken fremdländisch, einige davon südländisch. Eine Selbstverständlichkeit auch im Bundestag. Denn der beschäftigt in seiner Verwaltung auch ausländische Mitarbeiter.

Über diese Erkenntnis ist Slobodan Djunovic ein Stein vom Herzen gefallen, als er sich vor rund zwei Jahren um eine Stelle in der Bundestagsverwaltung beworben hatte.

Der heute 29-jährige Diplom-Informatiker ist für die Serverwartung zuständig. Er kommt gerade von einer Weihnachtsfeier mit Kollegen zurück in sein Büro und erinnert sich, wie er sich damals "ganz spontan" beim Bundestag beworben hat. Darauf hin fragten ihn Freunde und Bekannte, ob er als serbischer Staatsbürger ohne deutschen Pass überhaupt im Bundestag arbeiten dürfe. An diese Einschränkung hatte Djunovic ganz und gar nicht gedacht und "sofort erst einmal nachgefragt" - um zu erfahren, dass "die Staatsbürgerschaft für den öffentlichen Dienst nicht relevant ist". Und, fügt Djunovic hinzu, "als EU-Bürger kann man in Deutschland sogar Beamter werden". Als er die Stelle schließlich bekam, bewarb er sich sofort um die deutsche Staatsbürgerschaft. "Die habe ich auch sofort problemlos bekommen. Zuvor hatte ich eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung, das hat vollkommen ausgereicht, ich habe keinen deutschen Pass gebraucht. Ich konnte mich hier frei bewegen, wie jeder Deutsche auch".

Er ist froh, dass es so reibungslos geklappt hat, "für mich ist es auch wirklich eine Ehre zu sagen, ich arbeite beim Deutschen Bundestag".

Orthodoxe

Slobodans Eltern stammen aus Belgrad, "wie fast alle Serben", fügt er ein wenig traurig hinzu, "viel mehr ist nach dem Krieg vom Land damals auch nicht übrig geblieben". Sie seien aber nicht wegen des Krieges, sondern schon viel früher nach Deutschland gekommen, um hier zu arbeiten. Slobodan ist zweisprachig aufgewachsen; jeden Sommer fährt die Familie in die Heimat auf dem Balkan. Neben der zweiten Muttersprache profitiert der junge Mann auch von seiner Religion: "Ich habe Glück, wir feiern zwei Mal Weihnachten. Am 24. gibt es Geschenke, da feiern wir deutsche Weihnachten und am 6. Januar steht dann das Religiöse im Vordergrund." Slobodan Djunovic gehört der serbisch-orthodoxen Kirche an, die nach dem alten Kalender das Weihnachtsfest am 6. Januar begeht. In Berlin, wie vielerorts in Deutschland, gibt es eine serbisch-orthodoxe Gemeinde, der er angehört.

Doppelte Freude zur Weihnachtszeit gibt es auch für Argirios Kehagias, einem Bundestagsmitarbeiter griechischer Eltern. "Ich bin auch Christ", sagt der dunkelhaarige junge Mann, "griechisch-orthodox." Im Gegensatz zu den serbisch-orthodoxen Christen feiern sie Weihnachten am 25. Dezember. "Aber der 24. ist bei uns auch kein normaler Tag", führt Kehagias aus, "sondern das Fastenbrechen. Wir fasten vor Weihnachten." Es gebe drei "große Fastenzeiten" in der griechisch-orthodoxen Kirche, "vor Ostern, vor Weihnachten und vor dem 15. August, Maria Himmelfahrt".

Weihnachtsdekoration

Seit 2007 ist Argirios Kehagias in der Bundestagsverwaltung tätig, damals hat er seine Ausbildung im Bundestag begonnen und erfolgreich beendet. Er wurde übernommen und ist nun vornehmlich für die Serverwartung im Hause zuständig. Seine Kollegen und Aufgaben schätzt er sehr im Bundestag - und auch die Weihnachtsdekoration. "Wie wäre es, wenn man alles normal lassen würde?", empört er sich. Das Weihnachtsfest feiere seine Familie zwar am 25. Dezember, "aber ganz normal. Wir treffen uns mit der Familie am Nachmittag, dann essen wir und gehen in die Kirche". Auch die griechischen Orthodoxen haben eine eigene Gemeinde in Berlin. Der Unterschied zu anderen orthodoxen Kirchen, erklärt Kehagias, sei, dass die Griechen nicht nach dem alten Kalender ihre Feste begehen. Deshalb falle das Neujahrsfest auf den 1. Januar.

Für Slobodan Djunovic ist zwar das "Hauptneujahrsfest", wie er Silvester nennt, "das normale". Das serbische Neujahr sei dann etwa zwei Wochen später, aber "das feiern wir nicht wirklich, da es meistens in die Woche fällt und der nächste Tag nicht extra frei ist. Wir stoßen nur im kleinen Kreis an. Man gratuliert sich und sagt 'Ich wünsche Dir ein frohes serbisches Neujahr'".

Persisches Nouruz-Fest

Jasmin Merati-Kashani muss sogar noch ein wenig länger auf das neue Jahr warten. Denn das persische Neujahrsfest, "Nouruz" genannt, ist erst im Frühling. Allerdings sei ja "nur" ihr Vater Iraner, ihre Mutter ist deutsche und so profitiert auch sie nicht nur in sprachlicher und kultureller Hinsicht von ihrem Migrationshintergrund, sondern auch in festlicher Hinsicht. "Natürlich feiern wir Weihnachten", sagt die 34-jährige Juristin. Besonders begeistert ist sie aber vom persischen Neujahrsfest und beschreibt, dass man "Kräuter und andere Symbole auf einen Gabentisch" stelle. "Und einen Goldfisch in einem Glas." Glücklicherweise habe der Nachbar ihrer Eltern eine großen Gartenteich, so dass die Zukunft des Fisches alljährlich gesichert sei. Die lebensfrohe junge Frau reist gerne. Seit noch nicht allzu langer Zeit ist sie beruflich nach Stationen in Spanien und Peru im Deutschen Bundestag angekommen. Jetzt arbeitet sie im Untersuchungsausschuss Gorleben. Die Arbeit sei natürlich "sehr spannend", sagt sie begeistert. Und sehr gern, wenn auch sehr selten, reist sie in die Heimat ihres Vaters. Jasmin Merati-Kashani spricht sogar ein wenig persisch.

Das persische Neujahrsfest gewinnt in Deutschland immer mehr an Beliebtheit. So wird es in einigen Ballungsgebieten wie beispielsweise dem Ruhrgebiet bereits als Großereignis gefeiert. Sogar persische Musiker werden dazu eingeflogen. Ob Kultur oder Kommerz der Anlass ist, fest steht, dass zu diesem Anlass deutsche und junge Menschen mit Migrationshintergrund gemeinsam in den Frühling feiern.

Bewerbungen

Wie viele Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung einen Migrationshintergrund haben, das lässt sich aus Gründen des Datenschutzes nicht erheben. Außerdem sei "Migrationshintergrund" auch schwer zu definieren, erklärt ein Mitarbeiter des Personalreferats. Allerdings unterstützt die Bundestagsverwaltung "die Ziele des Nationalen Integrationsplans". In Stellenausschreibungen wird deshalb teils explizit darauf verwiesen, dass die Verwaltung auch "an Bewerberinnen und Bewerbern mit Migrationshintergrund interessiert" sei.

Yüsra Erkus hat mittellange, glatte, dunkle Haare und ist eine fröhliche junge Frau. "Ich bin seit gut einem Jahr hier im Bundestag. Nach dem Abi habe ich die Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten begonnen, die dauert drei Jahre. Es gefällt mir gut und macht Spaß", fügt sie hinzu. Yüsra Erkus ist in Berlin geboren, ihre Eltern sind aus der Türkei, in die sie gemeinsam mit ihren Geschwistern jedes Jahr reisen. "Meine Mutter kommt aus einem Dorf in der Nähe von Istanbul. Mein Vater stammt aus der Nähe der türkisch-syrischen Grenze", sagt sie. Die Eltern kamen unabhängig voneinander nach Deutschland, ihre Mutter im Alter von zehn Jahren, gemeinsam mit ihren Eltern, die auf der Suche nach Arbeit waren. Ihr Vater war bereits 20 Jahre alt, als er zuerst in Holland und dann in Deutschland arbeitete. Zuhause spreche die Familie abwechselnd türkisch und deutsch, wobei sie so manches Mal durcheinander komme, erzählt Erkus lachend.

Fest des Glaubens

Natürlich sei sie Muslima. "Weihnachten feiere ich nicht", sagt sie resolut und fügt hinzu: "Ich feiere Weihnachten nicht. Nicht, weil ich nicht daran glaube, sondern weil ich keine Christin bin. Und ich finde es nur berechtigt, wenn man wirklich Christ ist". Sie verstehe es "wirklich nicht", dass Leute Weihnachten feiern, die nicht daran glauben. Dann macht sie eine Pause, sucht nach Worten und fährt fort, "das ist doch ein christliches Fest! Mitfeiern, obwohl ich nicht dran glaube, ist schon sehr widersprüchlich!"

Sie selbst gehe aber gern auf den Weihnachtsmarkt mit ihrer Familie, das gehöre schon dazu. Und die Weihnachtsbeleuchtung vom Bundestag sei schon "nett". Und Weihnachtsbäume auch. Im letzten Jahr hat Yüsra zwischen den Jahren gearbeitet, denn den christlichen Kollegen sei der Urlaub natürlich wichtiger. Aber in diesem Jahr kann sie ein paar Tage frei nehmen. Yüsra Erkus will die Zeit nutzen, um endlich einmal Verwandte in Wien zu besuchen. "Unsere Familie ist eben überall", sagt sie lachend.

Politischer Ort

Im Paul-Löbe-Haus klingt das interfraktionelle Adventssingen aus. "Gerade hier an einem sonst so politischen Ort", heißt es seitens der Initiatoren, stimme man sich gemeinsam auf Weihnachten ein. Im "Forum der Nation" sind es längst nicht mehr nur die Abgeordneten, die die Interessen ihrer Wähler vertreten und somit die Bevölkerung repräsentieren. Sondern es sind vor allem auch die Mitarbeiter, die für die kulturelle und religiöse Vielfalt Deutschlands stehen.