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Ungleiches Doppel

UKRAINE unD POLEN Entfremdung zwischen den Gastgeberländern der Fußball-EM 2012

02.01.2012
2023-08-30T12:17:22.7200Z
3 Min

Wenn selbst der polnische Partner murrt, muss etwas im Argen liegen. "Können wir mit dieser Ukraine überhaupt gemeinsam eine Fußball-Europameisterschaft veranstalten?", fragte kürzlich die "Gazeta Wyborcza", Polens wichtigste liberale Tageszeitung. Der Kommentator äußerte erhebliche Bedenken, auch wenn niemand in Warschau oder Kiew ernsthaft eine Absage der sportlichen Großveranstaltung in Erwägung zieht. Doch der Fall der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko und die Menschenrechtslage in der Ukraine bereiten vielen Polen in Politik, Wirtschaft und auch Sport zunehmend Bauchschmerzen.

Ehrgeizige Ziele

So recht in die Stimmungslage zwischen Oder und Bug mag das nicht passen. Die Regierung in Warschau hat soeben eine erfolgreiche EU-Ratspräsidentschaft hinter sich gebracht. Fazit: Polens Stimme hat in Brüssel Gewicht. Wirtschaftlich geht es im Land bei stabilen Wachstumsraten zwischen drei und sieben Prozent seit Jahren bergauf. Und der im November in seine zweite Amtszeit gestartete Ministerpräsident Donald Tusk hat weitere ehrgeizige Ziele vorgegeben. Er sagt es zwar nicht offen, aber mit seinem Programm für die kommenden vier Jahre lässt Tusk keinen Zweifel daran, dass Polen möglichst bis 2015 der Währungsunion beitreten möchte. "Wenn die Entscheidungen in der Euro-Zone fallen, muss Polen mit am Tisch sitzen", erklärt der Ministerpräsident. Das aber gewährleiste nur die Mitgliedschaft im Euro-Club.

Die Beziehungen zum Nachbarn im Südosten trüben allerdings die Jahresbilanz der Regierung Tusk. Polen versteht sich seit dem eigenen EU-Beitritt im Jahr 2004 als Anwalt der Ukraine in Europa - und dies vor allem aus ureigenem Interesse. Eine prosperierende Ukraine vor der Haustür würde die Sicherheit des Landes, aber auch die eigene Attraktivität und die wirtschaftlichen Perspektiven verbessern. In Kiew jedoch regiert seit knapp zwei Jahren Viktor Janukowitsch als Präsident. Und der hat die Uhren nach der demokratischen "Orangenen Revolution" des Jahres 2004 wieder zurückgedreht.

Vor allem entfesselte Janukowitsch nach Meinung westlicher Beobachter eine regelrechte Hatz auf die Opposition um die ehemalige Regierungschefin Julia Timoschenko. Mehrere hochrangige Vertreter ihrer prowestlichen Partei Vaterland sitzen derzeit im Gefängnis. Auch Timoschenko selbst ist inhaftiert. Ein Kiewer Gericht verurteilte die 51-Jährige im Oktober zu sieben Jahren Haft, weil sie in ihrer Amtszeit als Ministerpräsidentin einen für die Ukraine ungünstigen Gas-Liefervertrag mit Russland geschlossen und dabei ihre Macht missbraucht haben soll.

Der Prozess sei politisch motiviert, heißt es in Brüssel. Die EU hat deshalb aus Protest bei den Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine zuletzt auf die Bremse getreten. Der Vertrag, der unter anderem freien Handel und freies Reisen vorsieht, wurde beim jüngsten EU-Ukraine-Gipfel am 19. Dezember in Kiew entgegen den ursprünglichen Plänen vorerst nicht unterzeichnet. Für die proeuropäischen Kräfte in der ukrainischen Gesellschaft und auch im Regierungsapparat in Kiew war das ein Rückschlag.

Niederlage

Und auch für die polnische EU-Ratspräsidentschaft, die sich eine Vertiefung der Partnerschaft mit den Ländern Osteuropas auf die Fahnen geschrieben hatte, war dies eine Niederlage. "Die Enttäuschung in Polen über die ausbleibenden demokratischen Reformen in der Ukraine sind mit Händen zu greifen", sagt der Warschauer Politikwissenschaftler und Osteuropa-Experte Lukas Adamski im Gespräch mit "Das Parlament" und fügt hinzu: "Die Defizite beim Aufbau eines Rechtsstaates sind eklatant. Die Korruption blüht. Das alles behindert westliche Investitionen in der Ukraine. Die Wirtschaftsbeziehungen zu Polen haben sich in den vergangenen Jahren viel schlechter entwickelt als erhofft." Auch die Fußball-Europameisterschaft werde in diesem politischen Umfeld kaum einen Stimmungsumschwung herbeiführen können.

In Polen hoffen Marketing-Spezialisten mittlerweile, dass das derzeit düstere Bild der Ukraine während der EM keine Schatten auf das eigene Land werfen möge. Wie zum Beleg für Adamskis Prognosen rutschte die Ukraine im jüngsten Korruptionsindex von Transparency International um weitere 18 Plätze auf Rang 152 unter 183 Staaten ab und befindet sich nun auf einem Niveau mit der afrikanischen Republik Kongo und dem zentralasiatischen Tadschikistan.

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